Fastenzeit-Gespräche

Strolz: „Bei ihr durfte ich mich fallenlassen“

Vorarlberg
29.03.2020 17:00

„Krone“-Autor Robert Schneider spricht in seinen „Gesprächen zur Fastenzeit“ mit prominenten Vorarlbergern. Diese Woche: Hubert Strolz, Kombinations-Olympiasieger von 1988 in Calgary.

Hubert Strolz, was ist das erste Bild in Ihrem Leben, das Ihnen noch präsent ist?

Ich bin in einem alten Walserhaus in Warth aufgewachsen. Mein Vater hatte eine kleine Landwirtschaft, war Jagdaufseher und Skilehrer. Mein erstes Bild, an das ich mich erinnern kann, ist, wie der Vater ein Glöckchen in der Hand hielt und zur Bescherung geklingelt hat. Wir Kinder sind in die Stube geflitzt, und vor mir lag ein Paar nigelnagelneuer Skier. Der Klang des Weihnachtsglöckchens liegt mir noch heute in den Ohren.

Erinnern Sie sich an eine Kränkung aus Kindertagen? Wie sind Sie damit umgegangen?

Als ich zehn Jahre alt war, wurde ich in die Skihauptschule in Schruns aufgenommen, die 1972 gerade eröffnet worden war. Da es in Warth nur eine Volksschule gab, war klar, dass ich von zuhause weg musste, in ein Internat. Ich freute mich riesig auf die Skischule in Schruns. „Hurra!“, dachte ich, „ich muss zwar in die Schule, darf aber gleichzeitig Skifahren.“ Nach Schruns zu gelangen, war damals eine Weltreise. Es gab ja keine Autobahn. Ich bekam plötzlich schreckliches Heimweh, weil ich mein geliebtes Warth, die Wege, die Plätze, die Menschen wochenlang nicht mehr sehen konnte. Da ich für mein Alter sehr klein war, wurde ich oft geärgert und gehänselt. Das tat mir weh und hat mich gekränkt. Aber ich hatte ein Riesenglück: Die Erzieherinnen und die Trainer haben mein Heimweh ernst genommen und waren sehr verständnisvoll mit mir.

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Das zweite Standbein erwies sich als Irrweg. Ich habe gelernt, dass einem das Leben zur rechten Zeit den richtigen Weg zeigt.

Hubert Strolz

In jedem Leben gibt es Wege und Irrwege. Haben Sie einen Weg in Erinnerung, der sich später als Irrweg herausgestellt hat?

Ich dachte immer, ich müsste mir neben dem Rennsport ein zweites, berufliches Standbein aufbauen. Deshalb machte ich während meiner aktiven Zeit eine Ausbildung bei der Gendarmerie und arbeitete auch zusätzlich bei einer Bank in Lech. Bald musste ich aber feststellen, dass ich mehr der Handwerker bin und mir zum Beispiel das Arbeiten mit Holz eine enorme Erfüllung gab. Ich bin ein Holzwurm, ich gebe es zu. Ich bin gar kein Büromensch. Das liegt mir überhaupt nicht. Dann habe ich die elterliche Heimat übernommen, aus dem uralten Stall einen neuen Laufstall gebaut. Heute bin ich Bauer und Skiführer, und ich gehe ganz darin auf. Ich kann sagen, dass ich wirklich ein gutes „Agricht“ habe. Das sogenannte zweite Standbein erwies sich für mich als Irrweg. Ich habe daraus gelernt, dass einem das Leben zur rechten Zeit den richtigen Weg zeigt.

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Ich habe das große Glück, eine starke Frau an meiner Seite zu haben. Birgit ist das alles immer mit mir durchgegangen.

Hubert Strolz

Gibt es eine Situation, eine dunkle Stunde, in der Sie sich tief verlassen fühlten?

Nein, so ganz dunkle Stunden, wo ich nicht mehr ein noch aus wusste, gab es in meinem Leben bisher nicht. Natürlich gab es Erlebnisse, wo ich Menschen vertraut habe und dann merken musste, dass ich ausgenutzt oder getäuscht wurde. Da lag ich dann nachts im Bett und konnte nicht mehr schlafen, weil es mir einfach nicht mehr aus dem Kopf ging. Ich hatte und habe das große Glück, eine starke Frau an meiner Seite zu haben. Birgit ist das alles immer mit mir durchgegangen. Bei ihr durfte ich mich fallen lassen. Allein, dass wir miteinander darüber reden konnten, war schon ein erster Schritt, und es wurde plötzlich alles leichter.

Was würden Sie einem Menschen raten, der das sprichwörtliche Licht am Ende des Tunnels nicht mehr sehen kann?

Ich war noch nie in einer solchen Situation. Würde jemand zu mir kommen, der ganz am Boden ist, wäre das zuerst einmal ein riesiges Vertrauen, das mir diese Person entgegenbringt. Ich glaube, man muss dann gar nicht viel tun oder reden. Die Tatsache, dass ich zuhöre, dass sich der Mensch mitteilen kann, ist wohl schon eine Art Linderung. Man muss nicht alles allein durchstehen oder bewältigen. Ich kann so jemandem nur von ganzem Herzen wünschen, dass er ein Gegenüber findet, dem er wirklich vertrauen kann.

Wofür haben Sie sich in Ihrem Leben am meisten geschämt?

Deutsch war für mich immer das Problemfach Nummer eins in der Schule. Ich gebe es zu, ich habe nie gern gelesen. Der Lehrer sagte zu meiner Mutter: „Der Hubert muss einfach mehr lesen!“ Aber wenn ich nach Hause kam, war ich sofort draußen. Es gab kein Sauwetter, das mich mit einem Buch am warmen Ofen gesehen hätte. Ich war draußen. Natürlich bin ich dann in Deutsch sitzen geblieben, und dafür habe ich mich viele Jahre geschämt.

„Der Schmerz rettet das Leben“, sagt Nietzsche. Wie würden Sie diesen Satz interpretieren?

Ich bin davon überzeugt, dass uns leidvolle Lebenserfahrungen im Menschsein reifen lassen. Nur dazu ist der Schmerz da. Er bringt mich weiter. Er bringt mich voran. Vielleicht macht er mich sogar zu einem besseren Menschen.

Wenn Sie in die Welt blicken, Hubert Strolz, was bereitet Ihnen gegenwärtig die größte Sorge?

Die momentane, so verschärfte Situation macht mir nicht oft wirklich Angst. Was mich aber beschäftigt, ist, dass der Mensch offenbar einfach gar nichts aus seiner Vergangenheit, aus der Geschichte lernt. Er scheint immer wieder eine Apokalypse zu brauchen, bis er merkt, dass es nur einen gemeinsamen Weg gibt. Das Problem ist, dass es nur um Machterhalt und Ressourcen geht, wie man am Beispiel Trump und anderer sehen kann. So lange wir nicht begreifen, dass wir nur gemeinsam eine lebenswerte Welt gestalten können, so lange ändert sich nichts.

Mit welchem Bild vor Augen möchten Sie sterben, wenn Sie wählen dürften?

Ich bin ein sehr verwurzelter Mensch. Ich möchte an dem Platz sterben, wo ich herkomme, wo ich meine Aufgabe habe. Warth. Und dass ich mit mir selbst im Reinen bin, dass es keine offenen, zwischenmenschlichen Rechnungen gibt. Bei meinen Lieben möchte ich sterben.

Interview: Robert Schneider

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