Lost in Isolation

Wieso hast du keine Angst vor dem Virus, Oma?

Leben
23.03.2020 21:00

„Ich habe keine Angst, mir ist das Virus wurscht“, erklärt meine Oma am Telefon und will mir damit sagen, dass ich doch endlich bei ihr vorbeischauen soll.

Neben der Waffe der emotionalen Erpressung, die viele Großeltern wohl meisterlich beherrschen, indem sie uns Schuldgefühle einreden - „Ich hab mein Enkerl doch schon so lange nicht mehr gesehen“ -, weiß sie auch ganz genau, womit sie mich ködern kann: „Ich habe da so eine saftige Heidelbeerschnitte, die du unbedingt probieren musst.“ „Aber Oma, du weißt doch, dass wir keinen Kontakt haben sollten.“

Dass meine Großmutter, die während des Zweiten Weltkrieges aufgewachsen ist und miterlebt hat, wie die Russen das Haus ihrer Eltern besetzt haben, jetzt keine Angst vor einem Virus hat, das den gleichen Namen trägt wie ein Bier, sollte mich eigentlich wenig überraschen. Tut es aber, wenn ich daran denke, dass sie sonst eher besorgt ist, wenn es um ihre Gesundheit wie etwa ihren Blutdruck, Hüftprobleme oder eine einfache Verkühlung geht. Geht es aber um soziale Kontakte, scheint sie es mit der von der Regierung auferlegten Isolation nicht ganz so ernst nehmen zu wollen. Auf eine gewisse Art und Weise auch verständlich, denke ich mir.

Meine Großmutter ist stolze 82 Jahre alt, lebt alleine, hat weder Facebook, WhatsApp noch Instagram und verfügt daher nicht über die Möglichkeit, in die (Schein-)Welt der virtuellen Kontakte abzutauchen. Sie kann mit ihrem Seniorenhandy weder Fotos von der hochgepriesenen Heidelbeerschnitte ins Netz stellen, noch an irgendwelchen aufpoppenden Instagram-Challenges teilnehmen, um sich den tristen Isolations-Alltag zu versüßen. Außerdem geht meine Großmutter aufgrund der besagten Hüftprobleme ohnehin nur aus dem Haus, wenn sich zwei glückliche Umstände zusammenfügen: „Wenn‘s Wetter passt“ und der Physiotherapeut dabei ist. Die wöchentlichen Besuche des Enkerls werden daher immer heiß herbeigesehnt.

Und obwohl wir Medienschaffenden derzeit fast nichts anderes mehr machen, als über Covid-19 zu berichten - das Übel ist und bleibt unsichtbar. Wenn man eine Gefahr nicht sehen kann, ist es oft schwierig, sie ernst zu nehmen. Das Virus meldet sich weder mit Luftschutzsirenen an, noch hört man, wenn die „Bombe“ einschlägt. Bilder von Massenbeerdigungen aus dem weit entfernten Italien tangieren meine Großmutter aufgrund der Tatsache, dass sogar Wien weit weg ist, nur bedingt. Angesichts dieser Umstände sei ihr der Leichtsinn, ihr Enkerl sehen zu wollen, also vergeben.

Ein Blick auf die Virus-Testergebnisse aus Südkorea zeigt, dass junge Erwachsene zwischen 20 und 29 Jahren die „führenden Träger“ des Virus sind. Ich selbst befinde mich in dieser Altersgruppe und musste erst einmal schlucken, als ich verstanden habe, welch immense Verantwortung meiner Generation nun obliegt.

„Genieße deine Zwanziger, da bist du noch frei von jeglicher Verpflichtung und kannst machen, was du willst“, hat mir eine Tante beim letzten Geburtstag erst fröhlich ins Ohr gezwitschert. Dass gerade wir Jungen, die wir sonst so rücksichtslos durchs Leben marschieren können, jetzt die größte Verantwortung gegenüber der Gesellschaft, ja sogar der Welt haben, ist eine Wucht. Aber viele von uns haben es verstanden - vor allem weil wir wissen, dass wir es unseren Großeltern schuldig sind. Denn wie heißt es so schön in einem Zitat, das derzeit im Netz kursiert? „Deine Großeltern wurden in den Krieg berufen. Du nun auf die Couch. Du schaffst das.“

Lost in isolation: Der Großteil unserer Redaktion befindet sich derzeit zu Hause und muss sich - wie alle im Land - in einem völlig neuen Alltag zurechtfinden. Die Herausforderung, Job, Familie und Privatleben unter einen Hut zu bringen, hat eine neue Dimension erreicht. Unsere Erfahrungen und Gedanken zu dieser neuen Realität wollen wir unseren Lesern nicht vorenthalten: krone.at lost in isolation. Alle Artikel unserer Serie finden Sie hier!

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(Bild: kmm)



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