06.03.2020 18:53

Mit der Türkei reden?

„Erdogan träumt einen großosmanischen Traum“

Bei „Moment mal“ greifen wir aus der Informationsflut Woche für Woche ein spannendes Thema heraus und diskutieren es - tiefgehend, konstruktiv und ganz ohne Streiterei. Diese Woche stellen wir uns die Frage: Was steckte eigentlich hinter dem Deal mit der Türkei? Zu Gast bei Moderatorin Damita Pressl sind Heiko Heinisch, Historiker und Autor, sowie Michael Zinkanell, Forscher am Austrian Institute for European and Security Policy (AIES) und Generalsekretär des Thinktanks Shabka.

„Erdogan ist Teil des Problems, dass diese Flüchtlinge in die Türkei kommen“, das stellt Historiker und Autor Heiko Heinisch gleich zu Beginn klar. Denn die Türkei sei inzwischen kriegsführende Kraft im syrischen Idlib, habe dort Militär und unterstütze Dschihadisten. Wenn der türkische Präsident also von einer humanitären Krise spreche, so habe er diese selbst mitverursacht, erklärt Heinisch: „Er hat dort eine humanitäre Krise ausgelöst und ist nicht dabei, eine zu bewältigen.“

Primär gehe es Erdogan dabei allerdings nicht unbedingt um die Pufferzonen in Nordsyrien, von denen er gerne spricht. Wer seinen Machtaufstieg und sein Schaffen über die Jahre hinweg beobachtet habe, der wisse: „Erdogan träumt einen großosmanischen Traum“, so Heinisch, und Nordsyrien sowie auch Teile des Nordiraks seien Teil dieses Traums. 

Dass die EU in den vier Jahren seit dem Deal mit Erdogan untätig geblieben ist, sei unverständlich, ergänzt Geopolitikforscher Michael Zinkanell. „Aus meiner Sicht ist dieser Deal ein Pflaster gewesen, eine Symptombekämpfung, die sehr kurzfristig angelegt war“, sagt Zinkanell. Dass der Deal nicht ewig halten würde, sei klar gewesen - und die EU habe es verabsäumt, in den vier Jahren erkaufter Zeit konkrete Lösungen für das Problem zu finden. Denn: „Dass Erdogan niemand ist, mit dem man Abkommen schließen kann, die langfristig halten, hätte man damals auch schon wissen können“, fügt Heinisch hinzu.

„EU hat genügend wirtschaftliche Druckmittel“
Die Eskalation diese Woche sei vor allem mit finanziellem Druck zu erklären: „Erdogan will mehr Geld - sowie moralische, politische und letztlich auch militärische Hilfe für seine Vorhaben in Syrien“, erklärt Heinisch. Umso wichtiger sei es jetzt, Härte zu zeigen - da sind sich Heinisch und Zinkanell einig. Die EU habe gegenüber der Türkei genügend Druckmittel, vor allem wirtschaftliche. Die Türkei habe aber auch außenpolitisch keine Verbündeten mehr und sei auf Hilfe angewiesen. 

Die Forderungen Europas müssten sein, dass die Türkei ihre Truppen aus Syrien abzieht und die Dschihadisten in Idlib nicht weiter unterstützt, sonst dürfe die EU keine Waffen und keine Ersatzteile mehr liefern und auch kein weiteres Geld mehr an die Türkei zahlen. Heinisch verweist darauf, dass der russische Präsident Vladimir Putin mit einer ähnlichen Methode bei Erdogan bereits erfolgreich war.

„Europa darf seine moralischen Werte nicht aufgeben“
Gleichzeitig betonen Heinisch und Zinkanell auch, dass Europa seine moralischen Werte an der griechischen Grenze nicht aufgeben dürfe und humanitäre Konventionen aufrechterhalten müsse. „Erdogan bringt Europa in eine moralische Krise“, so Heinisch. Das habe er auch sehr bewusst an der griechischen Grenze und nicht etwa an der bulgarischen getan, da die Bilder hier bereits allgegenwärtig sind und sich so schnell eine Zuspitzung der Lage erreichen ließ. 

Die Sendung wurde Donnerstagnachmittag aufgenommen; seit Freitag um Mitternacht herrscht in Idlib Waffenruhe. Die EU wertet dies als vorsichtiges Zeichen der Hoffnung.

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