Flucht vor 25 Jahren

Foco-Freundin: „Tibor ist mein Lebensmensch“

Österreich
01.03.2020 06:00

Tibor Foco gilt als einer der meistgesuchten Personen auf der Welt. Seit ihm vor 25 Jahren die Flucht aus der Haft gelang. Seine einst engste Vertraute hat nun ein Buch über ihn geschrieben. „Ich bin mir sicher: Er will zurück nach Österreich“, sagt sie im „Krone“-Interview.

Die Frau, die nun in einem Kaffeehaus sitzt und eine Geschichte erzählt, über die bislang nur ihre engsten Freunde und die Behörden Bescheid wussten, will nicht, dass ihre Identität publik wird. „Ich musste mir einfach ein Pseudonym zulegen“, sagt die 52-Jährige.

Für ihr „Projekt“. Für das Buch, das sie gerade veröffentlicht hat, über Tibor Foco - unter dem Decknamen „Trudy Truth“: „Truth bedeutet Wahrheit.“ Warum dann die Verschleierungsmaßnahmen? „Weil es sicherlich Personen gibt, die nicht gut finden, was ich für Tibor getan habe.“ Für diesen Mann, der weltweit gesucht wird, seit seiner spektakulären Flucht vor der österreichischen Justiz im April 1995.

„Drei Jahre besuchte ich ihn in der Haft“
„Bis heute“, erklärt „Trudy“, „ist er mein Lebens-, mein Lieblingsmensch.“ 1992 hatte die Wienerin den wegen Mord zu lebenslanger Haft Verurteilten - „er war damals 36, ich 24“ - kennengelernt. Wie es dazu kam? „Ich hatte in Zeitungen viel über ihn gelesen; über die Tat, die ihm angelastet wurde - und über die Zweifel, die an seinem Urteil bestanden. Der Fall interessierte mich.“

Und irgendwie kam es dazu, dass „Trudy“ - ein „Mädchen aus besserem Haus“, Studentin, der Vater besaß ein kleines Unternehmen - begann, Briefe an Foco zu schicken. Es dauerte Wochen, „bis von ihm ein paar Sätze, mit hellblauer Tinte geschrieben, zurückkamen.“ Der Inhalt der Nachricht? „Er bat mich um ein Kennenlernen.“

Treffen im Besucherraum von Stein
Kurz darauf fand „Trudys“ erste Visite bei Foco in Krems-Stein statt: „Wir waren uns sofort extrem vertraut; wir erkannten nämlich beide, dass wir Seelenverwandte sind.“ Es folgte eine dreijährige „Beziehung“, mit vielen Treffen im Besucherraum der Anstalt, „unter dem Tisch hielten wir Händchen“ - und sowieso: „Wir sprachen täglich miteinander“, per Handy, „er hatte immer eines zur Verfügung, auch ich habe ihm einmal eines ins Gefängnis geschmuggelt.“

Die Anleitung, wie das zu schaffen sei - in den Achselhöhlen verstecken, vor der Durchgangskontrolle - habe ihr Foco gegeben. „Wir plauderten oft stundenlang am Telefon.“ Worüber? „Über Tibors ungerechtes Urteil, und natürlich über mich.“

„Er wusste, wie er mich zu behandeln hatte“
„Trudy“, fühlten Sie sich niemals von ihm manipuliert? „Klar, er wusste, wie er mich zu behandeln hatte, doch Tatsache ist auch: Er hat sich stets sehr um mich gesorgt und mich positiv beeinflusst.“ In welcher Weise? „Er predigte mir, gesund zu leben. Nicht zu rauchen, keinen Alkohol zu trinken, brav zu lernen. Und ich hielt mich an seine Anweisungen. Denn wenn es nicht so war, merkte er das schnell.“

„Trudy“ ging also kaum noch aus, „ich war am liebsten daheim und wartete auf seine Anrufe. Mit ihm ihn Ruhe zu reden, war mir eben immens wichtig.“ Sie waren demnach verliebt in ihn? „Ja, ein bisschen. Denn mit ihm hatte ich endlich einen Menschen an meiner Seite, der sich mit mir und meinen Problemen auseinandersetzte.“

„Er tröstete mich, wenn es mir nicht gut ging“
Und „Trudy“ war problembeladen: „Ich machte mir ständig Sorgen um meine schwer kranke Mutter, in mir ist ständig die Angst gewesen, sie würde bald sterben. Tibor tröstete mich, und er tröstete auch meine Mama.“ Die nichts gegen die Freundschaft der Tochter mit einem Verbrecher hatte? „Nein, denn sie spürte, dass er mich aufbaute; sie schickte ihm sogar regelmäßig Geld nach Krems-Stein, damit er Lebensmittel zukaufen konnte.“ Und der Vater? „Er wusste von alledem nichts.“

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Laufend fühlten Tibor und ich uns näher.

"Trudy Thruth", Vertraute von Tibor Foco

Laufend mehr „fühlten Tibor und ich uns näher.“ Er organisierte schließlich, dass „Trudy“ mit seinen Eltern in Kontakt kam: „Damit gehörte ich zu seiner Familie.“ Womit letztlich logisch gewesen sei, „dass ich ihm bei seiner Flucht helfen musste“.

Flucht wurde jahrelang geplant
Wann, wie wurde sie geplant? „Tibor war das Gehirn.“ Er ordnete „Trudy“ an, mit einer Arztgattin aus Oberösterreich - ebenfalls ein „Fan“ von ihm - in Verbindung zu treten. Die beiden Frauen kundschafteten in der Folge die Gegebenheiten an der Uni Linz, wo Foco Jus studierte, aus: „Und wir suchten einsame Pfade, über die er von dort aus an die Grenze gelangen sollte. Wir schossen an Weggabelungen Bilder; ich brachte sie ihm in die Haft.“

Motorrad, Geld und Proviant besorgt
„Trudy“ tat noch mehr: Sie beschaffte drei Kawasaki: „Mit Tibor befreundete Mechaniker bauten sie zu einer zusammen.“ Sie fotografierte von einer „irgendwo am Straßenrand geparkten Maschine das Nummernschild ab - ein gestohlenes Kennzeichen wäre zu gefährlich gewesen“; Tibors Vater, ein gelernter Fotograf, „pickte eine maßstabgerechte Vergrößerung davon auf eine Blechplatte“. Sie versteckte - mehrmals - die Schlüssel des Gefährts in der Spülung einer Uni-Toilette.

Und „Trudy“ deponierte Geld und Proviant - „Wurstbrote und Chips, die aß er nämlich so gerne“, im Biker-Case der vor dem Gebäude abgestellten Kawasaki. Ebenfalls wiederholt. „Ich wusste ja nicht, wann der ,Tag X‘ sein würde; aber ich spürte, dass sein Drang zu flüchten ständig größer wurde.“


„Er hatte Angst davor, ermordet zu werden“

Der „Knackpunkt“ sei Jack Unterwegers Tod gewesen. Der Serienkiller hatte sich im Juni 1994 nach seinem Schuldspruch im Gefängnis erhängt: „Tibor war davon überzeugt, er sei ermordet worden - und dass er ,der Nächste‘ sein würde.“

„Trudy“, wie konnten Sie diesen Unsinn glauben; warum kapierten Sie nicht, dass Foco Sie bloß als Werkzeug sah? „Das war nicht so. Er hatte wirklich unendliche Angst davor, umgebracht zu werden. Darum musste ich ihm doch beistehen“

„Trudy“ wurde verurteilt
Was erzählte er im Vorfeld seiner Flucht? „Er wollte, dass ich ihn dabei begleite. Ich sagte Nein. Weil ich meine Mama nicht im Stich lassen durfte.“ Wie weitere sieben Personen - darunter Focos Eltern, einige seiner Freunde und die Arzt-Gattin - mussten Sie sich nach seinem Abtauchen einem Prozess stellen. „Ich bekam dabei fünf Monate auf Bewährung.“ Wie ist Ihr Leben weiterverlaufen? „Ich fand einen neuen Partner, bekam mit ihm ein Kind. Als mein Sohn sieben war, starben er und mein Mann bei einem Verkehrsunfall.“ Auch „Trudys“ Eltern sind längst tot.

Über zwei Jahrzehnte hindurch betrieb sie zwei Hundesalons; nun arbeitet sie als freie Autorin für verschiedene Auftraggeber. Warum schrieb sie erst jetzt ein Buch über Foco? „Ich musste Verjährungsfristen abwarten.“ „Trudy“, waren Sie nach seiner Flucht noch jemals in Kontakt mit ihm? „Nicht direkt. Aber ich bekomme immer wieder Informationen über ihn zugespielt.“

„Ich weiß, dass er im fernen Ausland lebt“
Haben Sie eine Ahnung, ob er noch lebt - und wenn ja, wo? „Ich vermute, er ist im fernen Ausland. Ich vermute, dass er als Lkw-Fahrer arbeitet. Ich vermute, dass er oft seine Wohnorte wechselt und ein eher unstetes Dasein führt. Mehr werde ich nicht über ihn preisgeben.“

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Ich vermute, dass er als Lkw-Fahrer arbeitet. Ich vermute, dass er oft seine Wohnorte wechselt und ein eher unstetes Dasein führt.

"Trudy" über das Leben Focos nach seiner Flucht.

Glauben Sie an ein Wiedersehen? „Ich hoffe, dass das Verfahren gegen ihn eingestellt wird. Denn in diesem Fall würde er sofort nach Österreich zurückkehren.“ Und dann? „Würde ich ihn gerne wiedersehen. Und lange Gespräche mit ihm führen. So wie früher.“

Daten und Fakten: Der Fall Tibor Foco
Die einen halten ihn für einen eiskalten Mörder. Andere glauben, er sei ein Justizopfer. Die Meinungen zu Tibor Foco sind so vielschichtig wie er selbst. Und Fakt ist: Ungereimtheiten gab es immer in dem Fall.

Wurde Foco, einst ein bekannter Motorradsportler und Chef eines Bordells, 1987 für schuldig gesprochen, 1986 in Linz eine Prostituierte getötet zu haben, erfolgte später wegen diverser Ermittlungsfehler eine Aufhebung des Urteils. Da er aber trotzdem weiterhin als dringend tatverdächtig galt, sollte er hinter Gittern auf seinen neuen Prozess warten. Er tat das nicht. Am 27. April 1995 gelang ihm bei einer Ausführung an die Uni - er studierte in der Haft Jus - mithilfe mehrerer Personen die Flucht.

Seitdem ist der Oberösterreicher untergetaucht; er schafft es, irgendwo ein unauffälliges Dasein zu führen. Vielleicht mit operiertem Gesicht und gefärbtem Haar. „Aber sein Ich“, sagten Zielfahnder bereits wiederholt in Interviews, „ist mit Sicherheit dasselbe geblieben.“ Foco gilt als ein Meister der Manipulation; geübt darin, Frauen zu beherrschen: „Er liebte immer Hunde mehr als Menschen. Er war ein guter Mechaniker - und ein Gesundheitsfanatiker. Er rauchte nie, hasste Alkohol, legte extremen Wert auf Fitness und gute Ernährung.“ Gewohnheiten, Begabungen, „die er sich sicherlich zunutze macht, bis heute.“

Martina Prewein, Kronen Zeitung

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