„Lage hochexplosiv“

Schallenberg im Iran, um den Atomvertrag zu retten

Ausland
21.02.2020 16:07

Die wechselvolle Geschichte des Wiener Anti-Atomwaffen-Vertrags: Außenminister Alexander Schallenberg reist am Samstag zu Verhandlungen nach Teheran. Ist das Abkommen schon tot oder kann es wiederbelebt werden? Das iranische Regime hat zwei Gesichter: Hardliner und Pragmatiker.

„Wenn die Parteien nicht an den Verhandlungstisch kommen, bringen wir den Verhandlungstisch zu ihnen!“ Diesen Aktionsplan hatten Schallenberg und sein EU-Kollege Borrell beschlossen, um den Anti-Atomwaffen-Vertrag zu retten. Das heißt: den Iran zur Wiederaufnahme des Atomdialogs mit den Europäern zu bewegen.

Die Vorgeschichte: US-Präsident Donald Trump war 2018 mit Pauken und Trompeten aus dem „schlechtesten Deal aller Zeiten“ ausgestiegen, die EU will ihn aber erhalten. Doch: Ist der Patient schon tot oder kann er wiederbelebt werden?

„Österreichs besondere Verantwortung“
Am Samstag fliegt Schallenberg nach Teheran zu Gesprächen mit seinem iranischen Amtskollegen Javad Zarif, mit Präsident Hassan Rouhani und auch mit der Zivilgesellschaft. Schallenberg: „Die Lage am Golf ist hochexplosiv und ein völliger Rückzug des Iran aus dem Abkommen brächte unabsehbare Risiken für Europa und für Österreich durch ein nukleares Wettrüsten in der Region.“

Der österreichische Außenminister ist sozusagen der „Hausherr“ des Abkommens, das unter vielen Mühen 2015 in Wien zwischen den fünf ständigen Mitgliedern des UNO-Sicherheitsrates (USA, Russland, China, Frankreich, Großbritannien) plus Deutschland sowie dem Iran „geboren“ worden war. Schallenberg: „Gerade weil das Abkommen in Wien geschlossen worden war, trifft uns eine besondere Verantwortung, hier aktiv zu sein.“

Mit dem Ausstieg der USA und der Verhängung der Würgesanktionen und ebenso Strafen gegen alle, die mit dem Iran Handel betreiben, verlor das Abkommen für Teheran so gut wie jeden Wert. Als „Rettungsnetz“ boten die „EU-Drei“ (Frankreich, Großbritannien, Deutschland) Teheran die Fortsetzung des Wirtschaftsverkehrs über eine Schlupfloch-Konstruktion an.

Teheran steigert die Urananreicherung
Doch die europäische Wirtschaft machte nicht mit. Ihr ist das Aufrechterhalten des Geschäfts mit den USA wichtiger als mit dem Iran. Das Regime in Teheran dreht die Eskalationsschraube, um auf Europa Druck zu machen. Schritt um Schritt steigert das Regime (in Vertragsverletzung) die Uran-Anreicherung - aber doch nicht allzu forsch: von den im Vertrag erlaubten 3,67 Prozent auf bisher 4,5 Prozent. Für eine Atombombe wären 89 Prozent notwendig und vor dem Atomvertrag hatte der Iran schon auf 20 Prozent angereichert gehabt.

„Iran bereit, zum Wiener Abkommen zurückzukehren“
Irans Außenminister zur jüngsten Entwicklung: Keine Maßnahme sei bislang unumkehrbar. Alles könne wieder auf Vertragsniveau rückgängig gemacht werden, wenn … Ja, wenn. Der neue EU-Außenbeauftragte und frühere spanische Außenminister Josep Borrell ortete nach seinem Besuch in Teheran: „Der Iran ist voll und ganz bereit, zum Wiener Atomabkommen zurückzukehren.“ Das Iran-Regime lässt weiterhin die Internationale Atomenergiekommission (IAEO) zu vertragsgemäßen Kontrollen ins Land. Und darüber hinaus gilt laut Iran das oft wiederholte Wort des gottobersten Führers Ali Khamenei: „Massenvernichtungswaffen sind haram (verdammt, verboten).“ Irans Atomchef Ali Larijani bot den schriftlichen Verzicht auf Atomwaffen an.

Das letzte Wort hat Ali Khamenei
Ein Problem im Umgang mit dem Iran ist seine komplizierte Machtstruktur. Auf der einen Seite die Hardliner von der klerikalen Justiz bis hin zu den Revolutionsgarden, die alle Feiertage die „Vernichtung des zionistischen Gebildes“ oder die „Befreiung Jerusalems“ ankündigen. Auf der anderen Seite die Pragmatiker etwa um Präsident (= Ministerpräsident) Rouhani oder Außenminister Zarif. Ihnen werden nach Kräften Knüppel zwischen die Beine geworfen.
Das letzte Wort hat Staats-, Revolutions- und Religionsführer Ali Khamenei. Der gottoberste Führer lässt die Flügel untereinander streiten und wirft dann sein Gewicht in die Waagschale - in der Regel eher für die Hardliner.

Am Freitag waren im Iran Parlamentswahlen ohne große Wahl. Schon die Kandidaten werden vom Wächterrat der zwölf „Schriftgelehrten“ auf ihre islamische Tauglichkeit überprüft und aussortiert. Im Frühjahr folgen Präsidentschaftswahlen und Ali Khamenei wird bestimmen, wer gewinnen soll.  Es ist erstaunlich, wie wenig das Regime in den 41 Jahren seit der Khomeini-Revolution seinen Charakter verändert hat. Alles läuft in der Politik so ab, wie es der Autor dieser Zeiten vor 40 Jahren während der Geiselkrise in der US-Botschaft und später erlebt hatte - höchstens weniger Todesurteile und weniger scharfe Revolutionswächter.

Die Macht liegt bei den Moscheen im weiten Land (als soziale Institution). Das urbane Leben etwa im Norden Teherans ist nahezu westlich, aber trotz wiederholter Demonstrationswellen für das Land nicht repräsentativ. Der Unterschied zum Proletariat im viel größeren Süden Teherans könnte nicht größer sein. Auch die Erwartung, dass die Bazaaris als eine Art des Mittelstands die Hardliner zurückdrängen können, hat sich nicht erfüllt. Immerhin leidet ihr Geschäft ganz massiv unter den Sanktionen. Ein Wirtschaftssystem, das von Klerikern gelenkt wird, kann nicht funktionieren.

Warum Trump ausgestiegen war
Diesem Iran sei nicht zu trauen! - Das ist die Litanei von Trump zur Kündigung des Atomabkommens: Die Vertragsdauer sei viel zu kurz gewesen und Irans Raketenrüstung sei darin gar nicht erfasst. Trump fordert den Iran zu einem „besseren Vertrag“ auf. Die Sanktionen sollen den Iran an seinen Verhandlungstisch bringen. Die Iraner jedoch nicht im Geringsten daran, solchen Bedingungen zu folgen. Das verbietet allein schon ihr sehr intensiver Stolz, der „Augenhöhe“ einfordert. Präsident Rouhani dazu: „Die USA glauben, uns durch Druck aus einer Position der Schwäche an den Verhandlungstisch zu bringen. Das werden wir niemals tun. Wir reden nur aus einer Position Stärke und der Würde.“

2000 Jahre Iran, 200 Jahre USA
Wie zäh und listig die iranische Diplomatie sein kann, hatten die langen Atomverhandlungen in Wien bewiesen. Hier zeigte sich 2000 Jahre Praxis in ausgefuchster Verhandlungsführung, während die Diplomatie nicht gerade zu den starken Seiten der USA zählt. Was tun angesichts dieser Sackgasse? Vielleicht sollte man ein neues Verhandlungsformat aufstellen.

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