Live im Gasometer

Liam Gallagher: Nostalgiereise ins Pop-Königreich

Musik
19.02.2020 01:05

Englands charmantester Pop-Rüpel, Liam Gallagher, hat sich erstmals seit neun Jahren wieder in Wien eingefunden, um im Windschatten seines derzeitigen Soloerfolgs mit dem Album „Why Me? Why Not.“ auch live zu triumphieren. Das gelang ihm vor vollem Haus aber nur partiell.

(Bild: kmm)

Den letzten geplanten Auftritt in Wien musste Oasis-Legende Liam Gallagher absagen, dieses Mal hat es doch geklappt. Knapp vor der Show im Wiener Gasometer konnten die Veranstalter auch noch stolz das „Ausverkauft“-Schild anbringen, alles andere wäre aber ob der Legende des Interpreten eine Überraschung gewesen. Dass Liam nach einer leidlichen Schwächephase mit seiner Band Beady Eye wieder in die Spur zurückgefunden hat, verdankt er mitunter externen Songwritern und seinem neuen Album „Why Me? Why Not.“, das nicht nur in England erwartungsgemäß auf Platz eins rutschte, sondern auch im restlichen Europa und bei den Kritikern in der Fachpresse auf Wohlwollen stieß. Im ewigen Zweikampf mit Bruder Noel hat Liam derzeit die Nase vorn und das Momentum für sich. Davon zehrt auch seine Europa-Tour, die bis auf den grippebedingten Abbruch in Hamburg durchaus als gelungen bezeichnet werden darf.

Anfangsschwierigkeiten
Auch in Wien beginnt die Show pünktlich mit den Fangesängen über seinen Klub Manchester City, geht über in das bekannte Oasis-Intro „Fuckin‘ In The Bushes“ und nimmt dann fast ein jähes Ende. Die auf die Bühne segelnden Bierbecher, über diese Unart schrieben wir unlängst an anderer Stelle, hätten beinahe Liams blütenweißen Parka verunreinigt, was der gar nicht lustig findet. Mit dem Oasis-Hit „Rock’n’Roll Star“ steigt er nach kurzer und gewohnt rüpeliger Ermahnung aber doch in die Vollen und muss erst einmal seine Stimme finden. Angeschlagen und dünn wirkt sie in den Strophen, wenn sie sich beim Refrain langzieht wird, dann muss man als Fan schon mal die Zähne zusammenbeißen. Dem Drive des Songs tut das trotzdem keinen Abbruch und die Botschaft stimmt - Liam ist der letzte Rock’n’Roll-Star alter Schule. Die große Klappe wird ihm auch noch heute gerne zum Verhängnis, im Gegensatz zu seinem geschickteren und gewitzteren Bruderherz Noel ist Liams Manchester-Proletenart immer noch erfrischend ungepflegt. Eine an und für sich schöne Charakteristik, die von modernen Rockbands nur äußert selten gepflegt wird.

Im Gasometer krankt es leider wieder am schiefen Sound, der sich durch das ganze Set zieht. Dabei fährt Liam mit einer ordentlichen Truppe auf. Gleich sechs Instrumentalisten und drei Chorsängerinnen unterstützen den Frontmann, als besonderes Zuckerl ist sein Lebensmensch und Oasis-Gründungsmitglied Bonehead an der Gitarre am Start. Der eigentlich zurückgezogen lebende Familienvater ist immer dann dabei, wenn er Lust dazu verspürt und wertet das Projekt mit seiner famosen Spielweise erheblich auf. Dahinter thronen eine Videoleinwand und Stroboskop-Lichter, um das Dargebotene effektiv zu verstärken. Am Licht selbst mangelt es dafür, denn Liam exerziert sein Tun während des ganzen Konzerts quasi im Dunklen. Ob bewusst so geplant oder einfach grandios misslungen ist - man weiß es nicht so genau. Das Schattenspiel ist auf jeden Fall gewöhnungsbedürftig.

Solosongs sitzen
Nach dem wackeligen Start findet Liam glücklicherweise zunehmend in die Stimmspur und beweist mit einer ganzen Wagenladung an Solosongs, dass er mittlerweile auch damit reüssieren kann. „Halo“, „Wall Of Glass“ und das eindringliche „For What It’s Worth“ stechen dabei besonders heraus und übertünchen auch die Tatsache, dass bei „Shockwave“ kompositorisch noch einiges herauszuholen gewesen wäre. Das Publikum zeigt sich begeistert und ist auch bei den neuen Nummern souverän textsicher. Weniger Gefallen findet Liam an einem Besucher, der ihm auf der Schulter eines anderen sitzend zujubelt. Das habe er gefälligst zu unterlassen, ist wohl die grob zensierte Variante, die ihm Liam während und nach dem Song entgegenschleudert. Ein bisschen pöbeln, ein bisschen aufrühren, aber vor allem viel singen, das ist das so einfach wirkende Erfolgsrezept des kultigen Rüpels.

Auf großen Anklang stoßen dann natürlich die Oasis-Nummern. „Morning Glory“ ist ein schöner Anheizer für das schwelgerische „Stand By Me“. Erste frühe Highlights sind die unterschätzte Oasis-Goldnummer „Gas Panic!“ und Liams jüngster Single-Erfolg „Once“. Zu diesem Zeitpunkt sind nach weniger als einer Stunde nicht nur bereits zwei Drittel des gesamten Gigs gespielt, Liam hat seine Stimme längst wiedergefunden und klingt gleichzeitig rau, fragil und unikal. Dass er das famose „Columbia“ ausgerechnet in Wien auslässt ist mehr als schade, später wird er auch noch den Oasis-Überhit „Wonderwall“ im Köcher lassen, was für gemischte Reaktionen sorgt. Die einen trauern dem bekannten Welthit nach, andere sind eher froh darüber, dass ihr Held auf andere Perlen des bunten Band-Oeuvres zurückgreift. Auch optisch ist alles beim Alten. Die Hände hinter dem Rücken verschränkt, den Kopf geneigt, der buschige Vollbart kratzt am Mikro, während Liam in seiner einzigartigen Haltung in ebenjenes nölt. „Live Forever“ möchte man ihm zurufen und schon hallt einem genau das von der Bühne herab entgegen. Chapeau!

Nur fast „biblical“
Bei der Zugabe rattern die Hits im Stakkatotakt. Es gibt Geniales („Acquiesce“), Wundervolles („Roll With It“), Memorables („Supersonic“), Galaktisches („Champagne Supernova“) und Ruppiges („Cigarettes & Alcohol“) zu hören - nur „Wonderwall“ bleibt am Ende gänzlich auf der Strecke. In nicht einmal 90 Minuten rauscht Liam im ICE-Tempo durch das Set, wirkt dabei nicht ganz auf der Höhe und zudem auch wenig begeistert vom Sound, was er gleich am Anfang lautstark kundgibt. Das Wiedersehen mit dem 90er-Britpop-König war aber trotzdem ein erfüllendes, auch wenn zu einer famosen Show einige Komponenten fehlen sollten. „Biblical“ pflegt Liam seine absolvierten Konzerte auf Twitter stets zu nennen. Das wäre heute aber wohl doch eine leichte Übertreibung. Nun darf weitergerätselt werden, ob die Oasis-Reunion doch noch in die Gänge kommt oder nicht. Gebündelt wären die beiden Rabiat-Brüder noch immer souverän am Pop-Thron verhaftet.

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