Album „Treat Myself“

Meghan Trainor: Viele Köche verderben den Brei

Musik
31.01.2020 06:00

Mehr als zwei Jahre legte US-Popstar Meghan Trainor ihr Album „Treat Myself“ auf Eis, bis es nun endlich doch noch das Licht der Welt erblickt. Darauf unterzieht sich die mittlerweile 26-Jährige einer radikalen Kur und verzichtet zugunsten trendiger Massentauglichkeit vermehrt auf ihre bekannten Trademarks. Ihr Drittwerk ist ein Manifest der Selbstfindung, aber auch ein mutiges Klangexperiment, das ihre alten Fans überfordern könnte.

(Bild: kmm)

Es sich selbst und möglichst allen anderen rechtzumachen, ist kein leichtes Vorhaben. Bereits am 31. August 2018 hätte das dritte Studioalbum von US-Popstar Meghan Trainor erscheinen sollen. Die erste Single-Auskoppelung „No Excuses“ war zu diesem Zeitpunkt schon ein halbes Jahr in den Charts, aber irgendwie fühlte sich Trainor bei diesem Vorhaben nicht wohl. Die Popwelt in den USA hat sich seit ihrem guten, aber längst nicht herausragendem Zweitwerk „Thank You“ aus dem Jahr 2016 fundamental verändert. Hip-Hop, Rap und auch R&B haben längst die kommerzielle Speerspitze übernommen, der oftmals an sanften Country angelehnte 50s-Doo-Wop-Reminiszenzensound Trainors mit dem untrüglichen Gespür für Massentauglichkeit wirkte um Dekaden gealtert. Der Disco-Track „Let You Be Right“ sollte als zweites Album-Outtake den Beweis für die eingeschlagene Richtung erbringen. Als sich der Song noch nicht einmal in den Top-100 der Billboard-Charts festsetzen konnte, zog Trainor die Notbremse und stoppte das Projekt.

Wohin des Weges
Auch wenn das Album schon kurz vor dem Presswerk stand, wurden alle Zeiger noch einmal auf null gestellt. Trainor reflektierte ihre bisherige Karriere, ordnete ihr Familienleben, heiratete 2018 Schauspieler Daryl Sabara und landete in einem regelrechten Kreativ-Wirbelsturm. Material für nicht weniger als vier ganze Studioalben hätte sie in etwas mehr als einem Jahr verfasst, diktierte sie der US-amerikanischen Fachpresse, doch das eingangs beleuchtete Problem blieb genaugenommen dasselbe: mit welcher Art von Songs erwischt man denn die Massen in Zeiten eines großen Umbruchs? Wie kann man erfolgreich sein und sich wohlfühlen, ohne dabei an kompositorischer Authentizität zu verlieren? Wie kann man die eigene musikalische Identität pflegen und trotzdem neue Facetten seines Selbst nach außen kehren? Dazu kamen private Probleme wie Sinnkrisen und immer wieder auftretende Panikattacken, die sie erst unlängst in den Griff bekam.

Trainor flüchtete sich neben dem enormen Schreibprozess in Nebenprojekte, die den auf ihr lastenden Druck zumindest eine Zeit lang kanalisierten. Sie testete neue Soundstrukturen mit der EP „The Love Train“ eher außerhalb des öffentlichen Rampenlichts, half bei Freund Jason Mraz aus, setzte sich in die Jury von „The Four: Battle Of Stardom“ und lieh ihre Stimme diversen Animationsfilmen. Von Faulheit kann keine Rede sein, doch das Hauptprojekt bekam derweil einen langen Bart. Auch der anvisierte Veröffentlichungstermin Anfang Jänner konnte nicht gehalten werden. Noch immer fehlten Trainor Nuancen zur Glückseligkeit, das nun erscheinende, mittlerweile fast zwei Jahre verspätete dritte Studioalbum kann somit schon allein deshalb nur scheitern, weil die Erwartungshaltung von außen in dieser langen Zeit ins Unermessliche stieg. Und die Musikhistorie beweist hinlänglich - nur selten sind lange angekündigte und noch länger verschobene Meisterwerke dann wirklich so prickelnd und bahnbrechend, wie der neumoderne Marketingsprech propagiert.

Liebe und Respekt
„Treat Myself“ ist eine 15-Songs-starke und durch alle Abzweigungen des Pop-Business mäandernde Durchhalteparole. Wie gewohnt setzt Trainor auf die Kraft des Feminismus, predigt Gleichberechtigung und Selbstliebe. Deutlich hörbar ist das Werk eine Abhandlung der fordernden letzten Jahre, ein Entschuldigungsbrief an sie selbst, die Begriffe wie „Tempo rausnehmen“, „Selbstliebe“ oder „berufliche Entschlackung“ lange nicht ernst genommen hat. Noch viel wichtiger als die Relevanz im modernen Popzirkus, war ihr der Respekt der Kollegenschaft. Nach ihrem kometenhaften Nummer-1-Hit „All About The Bass“ vor sechs Jahren wurde ihr nicht nur einmal unmissverständlich nähergebracht, dass sie wohl nur ein „One-Hit-Wonder“ sei. Singles wie „Lips Are Movin‘“, „Dear Future Husband“ oder „Me Too“ bewiesen zwar das Gegenteil, aber mit derartigen Fallbeilurteilen muss die Psyche erst einmal klarkommen.

Somit ist das neue Album ein Reinemachen mit der eigenen Vergangenheit und ein Kampfschrei für eine hoffnungsfrohe Zukunft. Musikalisch lässt Trainor dabei keinen modernen Sound unerwähnt und versucht mit großer Verbissenheit, sich und ihre Kunst in neuem Licht darzustellen. EDM-Versatzstücke, viel R&B, ein deutlich gestiegener Hang zum Hip-Hop und Funk-Referenzen, vermischen sich mit ihrem traditionell harmlosen Happy-Pop und sehr spärlich eingesetzten, balladesken Momenten. Dass die bibelfromme 26-Jährige in den letzten Jahren auch gerne mal bei Kanye West’s Sunday Service Gospel Events vorbeigeschaut hat, beweisen die sakralen Background-Chöre in Songs wie „Babygirl“ und „Wave“. Dazu ist auch die Gästeschar so breitflächig wie die Kompositionen. Nicki Minaj für coolen Rap auf der neuen Single „Nice To Meet Ya“, Lennon Stella und Sasha Sloan auf „Workin‘ On It“ oder die wiedervereinigten Pussycat Dolls im flotten Neo-Funker „Genetics“. Erlaubt ist, was Spaß macht. Auch wenn die Nachvollziehbarkeit oft auf der Strecke bleibt.

Ansichtssache
Im Songwriting hantelte sich Trainor quasi von Liane zu Liane zum nächsten Schritt, wie sie „billboard.com“ in einem Interview erklärte: „Immer wenn ich einen guten Song schrieb dachte ich mir, wow, jetzt musst du aber Gas geben, denn der nächste muss mindestens gleich gut sein. Ich habe in meinem Umfeld so viele verschiedene Meinungen und Ideen darüber gehört, wie dieses Album am Ende klingen soll, dass ich mich einfach darauf konzentrierte, die mir bestmöglichen Songs zu verfassen.“ Den großen Respekt aus der Kollegenzunft wird sie mit diesem mutigen und neuartigen Schritt bestimmt bekommen, treue Fans der alten Klänge von Meghan Trainor werden sich aber vor allem hierzulande mit dem unglaublich US-anbiedernden Chartssound aber schwertun. Die Familienfreundlichkeit ist Trainor freilich nicht abhandengekommen, doch die Trademarks, die das „American Girl“ vor einer halben Dekade zu einem bodenständigen Fixstern im Pophimmel gedeihen ließen, wackeln beträchtlich. Meghan Trainor mag ihren Platz in der modernen Popwelt gefunden haben - die Frage ist nur, ob das auch von anderen so gesehen wird.

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