Das große Interview

Sind Sie Ministerin für alle Frauen, Frau Raab?

Politik
15.01.2020 06:00

Die jüngste Ministerin der türkis-grünen Regierung, Susanne Raab (35), spricht über Kopftücher und den politischen Islam, ihr Frauenbild und den Moment, in dem sie Anfang 20 ihre Komfortzone verlassen hat.

Das Bundesministerium für Frauen und Integration am Minoritenplatz 3 ist ein Hochsicherheitstrakt. Beim Eingang tauschen Security-Beamte unsere Pässe gegen Zutrittsberechtigungskarten. Weiter geht’s durch Sicherheitsschleusen hinauf in den zweiten Stock. Susanne Raab kommt uns durch einen Gang mit Kronleuchtern auf dem roten Teppich entgegen.

Sie trägt schwarze Hose, weißen Blazer, Top und Pumps sind lachsrosa. „Als Frau Ministerin angesprochen zu werden, hört sich noch immer ungewohnt an“, meint sie, „auch dass gerade in den ersten Tagen immer Kameras auf einen gerichtet sind.“

Ihr Büro ist noch fast leer, nur das Einstandsgeschenk ihres Teams, ein kunstvolles Blumengesteck, und das Hochzeitsfoto am Schreibtisch schmücken den Raum. Die Sprache der 35-jährigen, jüngsten Ministerin der türkis-grünen Regierung ist schnörkellos und faktenstark, aber wenn es um Persönliches geht, wird ihre Stimme leiser und sie nutzt kurze Nachdenkpausen.

„Krone“: Die Frauenagenden sind überraschenderweise beim Integrationsministerium gelandet. Glaubt die Regierung, es wandern demnächst so viele Frauen bei uns ein?
(Die Ministerin ist kurz irritiert, dann lächelt sie und legt los.)

Susanne Raab: Es ist ganz üblich, dass eine Ministerin für mehrere Themen zuständig ist. Ich freue mich riesig, dass Frauen, Integration, aber auch Kultusangelegenheiten und Minderheiten in meine Zuständigkeit im Bundeskanzleramt fallen. Gerade Frauenthemen spielen in ganz viele verschiedene Lebensbereiche hinein, in die Arbeits- und Berufswelt, in die Bereiche Familie und Gesundheit. Da werden wir uns auch gut koordinieren.

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Es ist ganz üblich, dass eine Ministerin für mehrere Themen zuständig ist. Zwischen Integration und Frauenpolitik gibt es eine große Schnittmenge.

Integrationsministerin Susanne Raab

Schon, aber in welcher Hinsicht passt Frauenpolitik zu Integration?
Es gibt eine große Schnittmenge zwischen Frauen- und Integrationspolitik. Ich war zehn Jahre im Integrationsbereich tätig und weiß daher: Frauen sind zentrale Integrationsmotoren, weil Frauen Bildung an die Kinder weitergeben, aber auch Rollenbilder. Wenn wir uns die großen Migrationsströme wie zuletzt 2015/2016 anschauen, wo Menschen mit anderem kulturellem Hintergrund, aus eher patriarchal geprägten Kulturen, nach Österreich gekommen sind, dann ist es wichtig zu definieren, dass Gleichberechtigung von Mann und Frau ein hohes Gut ist. Da sind wir hart und fordern unsere Regeln des Zusammenlebens ein.

Hart? Wie ist das gemeint?
Hart im Sinne von klar. Wir müssen Zuwandererinnen und Zuwanderern klar vermitteln, was uns als Gesellschaft wichtig ist, wo die Grenze liegt. Was wir als Gesellschaft im Sinne eines friedlichen Zusammenlebens auch einfordern. Da geht es um unser gemeinsames Wertefundament, und deshalb möchte ich nicht falsch verstandene Toleranz walten lassen. Also: Hart bleiben in der Sache.

Aber ist das Symbol nicht, dass die neue Frauenpolitik sich in erster Linie an Migrantinnen richten, weil unsere Frauen eh schon alles erreicht haben?
Gar nicht. Frauenpolitik ist mir ein Herzensanliegen. Ich möchte Frauenpolitik mit Herz und Hausverstand machen. Ich möchte vermitteln, dass Frauenthemen so vielfältig sind wie wir Frauen selbst. Es gibt kinderlose Frauen, es gibt Mütter wie eine Freundin, die drei Wochen nach der Geburt ihres Kindes schon wieder im Stall gestanden ist. Es gibt auch Frauen, die mit ihren Kindern länger zu Hause bleiben wollen. Alle diese Frauen leisten viel. Ich bin nicht in die Politik gegangen, um Frauen vorzuschreiben, wie sie leben sollen, sondern ich möchte alle Frauen dabei unterstützen, ihr ganz persönliches Lebensmodell zu wählen.

Nehmen wir eine Alleinerzieherin, kein Partner, kein Job, kann sich kaum ihr Leben leisten. Welches Lebensmodell sollte diese Frau wählen?
Es gibt in Österreich viele alleinerziehende Mütter, die Unvorstellbares leisten. Gerade für sie, aber auch für alle anderen Frauen haben wir im Regierungsprogramm viele unterstützende Maßnahmen geschaffen. Kinderbetreuung, Frauengesundheit, Frauengewaltschutz, Gleichstellung von Frauen am Arbeitsmarkt und vieles mehr - all diese Maßnahmen wollen wir als Regierung rasch umsetzen.

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Als Psychologin will ich ein Zeichen setzen: Mädchen müssen ihre Weiblichkeit nicht verhüllen, sondern sollen stolz darauf sein, eine Frau zu sein.

Susanne Raab

Sind Sie Ministerin für alle Frauen?
Ja, das bin ich. Ich möchte alle Frauen in unterschiedlichsten Lebenslagen bestmöglich unterstützen. Das hat sich diese Regierung auch als Ziel gesetzt. Frauenpolitik ist in erster Linie Gleichstellungspolitik, da ist schon viel passiert in den letzten Jahren, aber da braucht es auch immer wieder Verbesserungen.

Ein viel diskutiertes Thema ist das Kopftuchverbot, es soll auf 14 Jahre ausgeweitet werden - und jetzt steht sogar ein Verbot für Lehrerinnen im Raum. Ist das so ein großes Problem?
Ich möchte hier ein klares Zeichen setzen. Mädchen an unseren Schulen sollen vermittelt bekommen, dass sie selbstbestimmt sein dürfen, dass sie ihre Weiblichkeit nicht verhüllen müssen, dass sie in einer sehr sensiblen Phase des Frauwerdens stolz darauf sein sollen, eine Frau zu sein. Ich glaube, auch als studierte Psychologin, dass wir Mädchen in diesem Entwicklungsprozess unterstützen müssen. Wie soll aus einem zehnjährigen Mädchen, dem man sagt, es soll seine Weiblichkeit verhüllen, später eine selbstbewusste junge Frau werden?

Sie haben behauptet, dass kein Mädchen freiwillig Kopftuch trage. Worauf stützt sich das, es ist doch auch möglich, dass Mädchen ein Kopftuch tragen, weil sie sich ihrer muslimischen Familie zugehörig fühlen.
Mädchen sollen die Frage „Kopftuch ja oder nein“ dann beantworten, wenn sie mündig sind, das ist im Kindesalter nicht der Fall. Da sind Mädchen noch unterschiedlichen Zwängen ausgeliefert, kulturellem Druck, familiärem Druck, auch Gruppenzwang. Mit 14 können sie diese Entscheidung mit großer Tragweite treffen.

Uns westlichen Frauen schreibt ja auch niemand vor, was wir anziehen sollen.
Eben. Für Frauenrechte haben viele Generationen gekämpft, diese sollten nicht als Rechtfertigung dafür verwendet werden, dass Frauen sich verhüllen sollen.

Haben Sie das Buch von Susanne Wiesinger, „Kulturkampf im Klassenzimmer“, gelesen?
Natürlich. Ich bin mit Susanne Wiesinger beim Thema Integration schon seit mehreren Jahren in Kontakt. Auch ich war an vielen Schulen unterwegs, und es kann einfach nicht sein, dass sich Mädchen von Burschen sagen lassen müssen, wen sie treffen und was sie anziehen dürfen.

Die große Kritik ist, dass die Maßnahmen, die im Bereich Integration im Regierungsprogramm stehen, sich mehrheitlich an Muslime richten. Ist das nicht unfair?
Das sehe ich nicht so. Wir unterscheiden sehr klar zwischen der Religion des Islam und der Ideologie des politischen Islam. Der Kampf gegen den politischen Islam wird ein Schwerpunkt in meiner Tätigkeit sein. Gegen Ideologien, die in Österreich keinen Platz haben, werden wir ankämpfen. Und dafür möchte ich auch die Musliminnen und Muslime, die bei uns leben, als Unterstützer.

Susanne Raab im krone.at-Talk im Juni 2018:

Erinnern Sie sich noch an den Moment, in dem Sie wussten, dass Integration Sie mehr interessiert als andere Themen?
Während meiner Studien in Innsbruck hatte ich viel mit den Themen Menschenrechte, Fremdenrecht und auch Fragen von Inklusion und Integration zu tun, diese Themen haben mich immer schon interessiert. Im Innenministerium hatte ich erstmals mit dem Integrationsbereich zu tun. Ich hatte das Gefühl, hier etwas ganz Neues gestalten zu können. 2011 wurde Sebastian Kurz dann Staatssekretär und da hatte ich dann das große Glück, die Integration in Österreich mit aufzubauen.

Wie würden Sie Integration definieren?
(Zögert keine Sekunde)
 Integration ist die gleichberechtigte Teilnahme an allen Lebensbereichen und erfordert eine Öffnung der Aufnahmegesellschaft, aber viel Leistung des Zugewanderten.

Ihre Kollegin, Justizministerin Alma Zadic, hat im „Krone“-Interview erzählt, Sie sei bei der Integration immer wieder zurückgeworfen worden, obwohl sie alles getan habe. „Du bist doch keine Österreicherin, woher kommst du wirklich?“ habe man sie immer wieder gefragt. Ist es vielleicht ein Trugschluss, zu glauben, es wäre egal, wo man herkommt?
Mein Motto, das sich durch meine gesamte Arbeit zieht, heißt „Integration durch Leistung“. Wichtig ist nicht, woher man kommt, sondern was man bereit ist, in Österreich zu leisten.

Würden Sie jemanden fragen: „Aber woher kommen Sie wirklich?“
Selbstverständlich. Weil es wichtig und richtig ist, mit Menschen über ihre Geschichte zu sprechen, über ihre persönlichen Erlebnisse. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass Menschen sehr gerne darüber sprechen.

Sie sind im Reiterdorf Ampflwang im Hausruckwald aufgewachsen …
Richtig, es ist das größte Reiterdorf, und wenn man dort groß wird, dann reitet man garantiert auch (lacht).

Mit welchem Frauenbild sind Sie aufgewachsen?
Meine Eltern haben beide nicht studiert … Aber sowohl mein Vater als auch meine Mutter haben uns Mädchen vermittelt, dass wir alles erreichen können, was wir wollen, wenn wir fleißig sind und wenn wir uns treu bleiben. Sie gaben uns jede Sekunde das Gefühl, dass wir tolle, starke junge Frauen sind.

Nicht alle Frauen sind so privilegiert …
Es muss unser Ziel sein, dass allen Frauen in diesem Land vermittelt wird, dass sie selbstbestimmt leben und dass sie stolz darauf sein können, eine Frau zu sein.

Anfang 20 sind Sie nach Brasilien gegangen und haben dort versucht, Mädchen vor den Gefahren der Kriminalität auf der Straße und in den Favelas zu schützen. Wie kamen Sie auf diese Idee?
Ich wollte mit Anfang Zwanzig die Komfortzone verlassen und die Welt sehen. Das war ein oberösterreichisch-steirisches Projekt, ein Haus für Mädchen, die wir nach der Schule betreut, ihnen Tagesstruktur und psychologische Betreuung gegeben, sie beim Lernen unterstützt haben. Gewalt an Frauen war an der Tagesordnung. Das hat mich bis heute geprägt, das werde ich nie vergessen. Ich habe versucht, mit diesen Mädchen zu lachen, Spaß zu haben, eine schöne Zeit mit ihnen zu verbringen.

Wie lange kennen Sie Sebastian Kurz schon?
Seit 2011, als er Staatssekretär für Integration wurde. Ich war schon im Innenministerium, als er Staatssekretär wurde.

Er hat bei der Angelobung „So wahr mir Gott helfe“ gesagt. Wie klingt das für Sie?
Der Glaube ist etwas sehr Persönliches. Auch für mich spielt der Glaube im Leben eine entscheidende Rolle. Auch ich kann manchmal „Hilfe von oben“ brauchen (wie Kurz in „Heute“ erklärte, Anm.). Mit meinem Mann gehe ich auch regelmäßig in die Kirche.

Geboren sind Sie als Susanne Knasmüller. Was sagt es über Sie aus, dass Sie den Namen Ihres Mannes angenommen haben?
Eigentlich nur, dass wir einen gemeinsamen Familiennamen wollten und ich finde, es ist ein schöner Name. Mein Mann und ich führen eine sehr gleichberechtigte Partnerschaft, er leistet viel zu Hause, ist beruflich flexibler als ich und unterstützt mich daher ganz viel im Alltag.

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Mein Mann und ich führen eine gleichberechtigte Partnerschaft. Er leistet viel zu Hause, ist beruflich flexibler als ich und unterstützt mich im Alltag.

Susanne Raab

Ist Ihr Mann vielleicht ein Nachkomme von Julius Raab?
Nicht dass wir wüssten (lacht).

Sind in Ihrer Lebensplanung Kinder vorgesehen?
Das bespreche ich lieber zu Hause.

Was hat Ihr Mann zum Aufstieg in die Spitzenpolitik gesagt?
„Du entscheidest, ich werde dich in allem unterstützen.“ In meiner neuen Rolle steht er voll hinter mir.

Was wird nie mehr so sein, wie es einmal war?
Sie fragen mich Sachen ... Man steht plötzlich in einer nie da gewesenen Intensität in der Öffentlichkeit. Trotzdem überwiegt das Positive. Ich bin voller Freude, in der Früh ins Büro zu gehen, voller Enthusiasmus und neuer Ideen.

Susanne Raab: Mit 35 die jüngste Ministerin
Geboren am 20.10.1984 als jüngere von zwei Schwestern in Vöcklabruck, die Mutter ist Krankenschwester, der Vater arbeitet im Immobiliensektor einer Bank. Jus- und Psychologiestudium an der Uni Innsbruck, Rechtsanwaltspraktikum in Bukarest, wissenschaftliche Mitarbeit an verschiedenen Unis. 2010 wird sie Asylreferentin im Innenministerium, 2011 holt Sebastian Kurz, damals Integrationsstaatssekretär, dorthin. 2017 wurde sie jüngste Sektionschefin im Bereich Integration. In der türkis-grünen Regierung ist sie mit 35 die jüngste Ministerin. Raab ist verheiratet und lebt in Niederösterreich, ihre Hobbies sind Reiten, Lesen und Laufen.

Conny Bischofberger, Kronen Zeitung

  • Schwarz-Grün-Pionier: Mit Conny Bischofberger sprach der grüne Sozial- und Gesundheitsminister Rudolf Anschober (59) über Armut und Pflege, Ziele und Sternschnuppen, Zugreisen mit seinem Hund und die Lehren aus einem Burn-out vor sieben Jahren.

  • Erste Ministerin mit Migrationshintergrund: Mit Conny Bischofberger sprach Justizministerin Alma Zadic (35) über ihr Hitlergruß-Posting, Morddrohungen, „90 Prozent Solidarität“ und ihre Flucht vor dem Jugoslawien-Krieg, als sie zehn Jahre alt war.

  • Der Mann fürs Grobe: Mit Conny Bischofberger sprach Innenminister Karl Nehammer (47) über Polizei und Asyl, Ibiza und Kickl und den „General“ in ihm.

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  • Zum zweiten Mal Unterrichtsminister: Mit Conny Bischofberger sprach Heinz Faßmann (64) über die Weltformel für das Schulsystem, eine „innere Verpflichtung“, Zuspruch im Supermarkt und den Luxus einer privaten Auszeit.
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  • Übergangsregierung überlebt: Mit Conny Bischofberger sprach Außenminister Alexander Schallenberg über die Kriegsgefahr im Iran, den Cyberangriff auf das Ministerium, Demut vor dem Amt und seine Glückskatze.
  • Plötzlich Vizekanzler! Mit Conny Bischofberger sprach Grünen-Chef Werner Kogler (58) über Attacken auf die Justizministerin, verhinderte „Grauslichkeiten“ im türkis-grünen Programm und seine neue Rolle.
  • In den Prunkräumen von Prinz Eugen fanden Türkis und Grün in den letzten 47 Tagen des alten Jahres zueinander. Dort ließ ÖVP-Chef Sebastian Kurz im Interview mit Conny Bischofberger die Regierungsverhandlungen Revue passieren. Es war sein letzter Auftritt im Winterpalais, bevor er wieder ins Bundeskanzleramt am Ballhausplatz übersiedelt.
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