Wo sind grüne Ziele?

Rendi-Wagner ortet „türkisen Regierungspakt“

Österreich
02.01.2020 20:24

Unmittelbar nachdem die beiden Parteichefs Sebastian Kurz (ÖVP) und Werner Kogler (Grüne) am Donnerstag offiziell ihr Regierungsprogramm vorgestellt haben, gab es auch schon die ersten kritischen Reaktionen. Den Anfang machte SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner, die trocken feststellte, dass Österreich auf den ersten Blick „eine türkise Regierung“ zu bekommen scheine, „denn die grünen Ziele muss man im Regierungsprogramm lange suchen“. Während Umweltschutzorganisationen indessen durchaus positiv auf den Regierungspakt reagierten, zeigten sich Asyl-NGOs enttäuscht. Weil sich auch Maßnahmen, die bereits unter Türkis-Blau diskutiert wurden, im türkis-grünen Regierungsprogramm finden, forderte FPÖ-Chef Norbert Hofer eine Entschuldigung seitens der Grünen. „Fridays for Future“ kündigte eine Demo vor dem Kanzleramt an, weil die Ökologisierung des Steuersystems zu spät erfolge.

Zumindest was den Umfang angeht, hat das türkis-grüne Regierungsprogramm das türkis-blaue deutlich überflügelt: 326 Seiten umfasst das Papier, in dem ÖVP und Grüne unter dem Titel „Aus Verantwortung für Österreich“ ihre Pläne bis 2024 vorlegen. Die den Grünen besonders wichtige Klimapolitik zieht sich denn auch als roter Faden durch das Programm - mit zahlreichen Einzelmaßnahmen in beinahe allen Bereichen.

SPÖ-Chefin Rendi-Wagner zeigte sich in einer Aussendung dennoch enttäuscht darüber, dass von den grünen Versprechen beim Thema Armutsbekämpfung wenig übrig geblieben sei. „Von Armut bedrohte Kinder haben kaum etwas von den türkis-grünen Plänen zum Familienbonus, während Besserverdiener profitieren“, so die Sozialdemokratin. Die SPÖ werde das Regierungsprogramm nun einer genauen Detailprüfung unterziehen. Schon jetzt sei erkennbar, dass in dem vorliegenden Programm die soziale Handschrift weitestgehend fehle, so Rendi-Wagner.

Positiv bewertet Rendi-Wagner, dass das - von der SPÖ geforderte, wie betont wird - 1-2-3-Klimaticket für ganz Österreich kommen soll. Kritisch sieht die SPÖ-Chefin hingegen, dass keinerlei konkrete Maßnahmen enthalten sind, um Wohnen leistbarer zu machen und Mieter zu entlasten. Ähnliches gilt auch für die Arbeitnehmerinnen, eine „spürbare Entlastung“ für Geringverdiener sei im türkis-grünen Programm zunächst nicht zu finden. Stattdessen soll die Unternehmenssteuer um 1,5 Milliarden Euro gesenkt werden, ergänzte Rendi-Wagner.

Leichtfried sieht „Ansammlung von abstrakten Ankündigungen“
Ihr Fazit: Viele Fragen im neuen Regierungsprogramm seien noch offen, die SPÖ werde „die Regierung daran messen, ob sie im Sinne der Österreicherinnen und Österreicher handelt“. Auch Parteikollege Jörg Leichtfried sparte nicht mit Kritik und sprach von einer „Ansammlung von abstrakten Ankündigungen ohne konkrete Inhalte sowie ohne Finanzierungsplan“. 100 Tage sei verhandelt worden und „rausgekommen sind Überschriften“, so Leichtfried.

FPÖ-Chef Hofer fordert Entschuldigung von den Grünen
FPÖ-Chef Norbert Hofer erinnerte indes am Tag der Präsentation des Regierungsprogramms an die politischen Fehden. So habe just Grünen-Bundessprecher Werner Kogler im Zusammenhang mit Rückkehrzentren und dem Kopftuchverbot von einem „verfassungswidrigen Treiben, einem primitiv-populistischem Kalkül“ gesprochen, so Hofer, der die Parteispitze der Grünen aufforderte, sich für die teilweise untergriffige Kritik an der türkis-blauen Regierung im Allgemeinen und der FPÖ im Speziellen zu entschuldigen

Aus seiner Sicht enthalte das türkis-grüne Programm „überwiegend heiße Luft“. Aber man könne ablesen, dass Österreich nach links driften werde, so Hofer in einer Aussendung. Auf Facebook konstatierte er zudem, die Grünen hätten sich „ordentlich über den Tisch ziehen lassen“. Gleichzeitig hielt er Sebastian Kurz (ÖVP) vor, die Mitte-rechts-Politik beendet zu haben. Für „noch bemerkenswerter“ hält er es, dass im Fall einer neuerlichen Flüchtlingswelle der Asylbereich koalitionsfreier Raum wird.

NEOS-Chefin Meinl-Reisinger skeptisch
NEOS-Chefin Beate Meinl-Reisinger zeigte sich nach dem ersten Blick auf das türkis-grüne Koalitionsabkommen skeptisch, auch wenn einige positive Aspekte durchaus herauszulesen seien, wie sie in einer Aussendung erklärte. Bei den großen Zukunftsfragen von Umwelt über Bildung bis Pensionen sei aber wenig Konkretes zu finden. Positiv hob sie das grundsätzliche Bekenntnis zu einem Informationsfreiheitsgesetz und zu einer konsolidierten Budgetpolitik hervor. „Insgesamt bleibt aber übrig: Der Kurs der letzten Regierung wird offensichtlich fortgeführt“, so Meinl-Reisinger unter Verweis auf Punkte wie Sicherungshaft oder Rückkehrzentren. Sie sprach vom türkis-blauen Erbe. Auch die Wiedereinführung der Generalsekretäre mache deutlich, dass wenig Einsicht für alte Fehler bestehe.

Umwelt-NGOs durchaus erfreut
Als einen „Riesenschritt für den Klima- und Umweltschutz“ bezeichnete indes Greenpeace-Geschäftsführer Alexander Egit das türkis-grüne Programm. „Sowohl die geplante Klimaneutralität Österreichs bis 2040 als auch das schrittweise Auslaufen von Öl-, Kohle- und Gas-Heizungen in der Raumwärme sind für Greenpeace echte Meilensteine“, so Egit. Für Greenpeace sei es zudem überaus wichtig und erfreulich, dass mit der Schaffung eines „Super-Ministeriums“ für Klima- und Umweltschutz sowie Energie und Infrastruktur die Zersplitterung der entsprechenden Kompetenzen beendet wird und damit zukünftig zahlreiche Öko-Agenden in einer Hand liegen.

Wenig Freude hat man bei der Umweltorganisation hingegen mit der Auslagerung großer Teile der geplanten öko-sozialen Steuerreform in eine eigene Task Force und der späten Einführung ab dem Jahr 2022, „da ohne sie die Klimaneutralität bis 2040 nicht zu erreichen ist“, kritisiert der Greenpeace-Geschäftsführer die diesbezügliche Verschleppung durch die ÖVP. Als „Chance“ bewertete GLOBAL 2000 den Regierungspakt. Allerdings fehlten der Umweltorganisation noch wichtige Konkretisierungen und detaillierte Zeitpläne zur Umsetzung vieler Maßnahmen.

Der WWF sah in vielen Bereichen eine „ökologische Trendwende, wenn die dafür notwendigen Maßnahmen rasch und ambitioniert umgesetzt werden“. Insbesondere beim Klimaschutz seien mit der vorgezogenen Klimaneutralität, dem Einstieg in die CO2-Bepreisung und dem Klimacheck wichtige neue Verbesserungen geplant. Es brauche aber noch „viele konkrete Verbesserungen und vor allem die notwendigen Budgets“. Hier müsse die neue Koalition rasch liefern.

Fridays for Future kündigt Demo vor Bundeskanzleramt an
Die Klimabewegung „Fridays for Future“ kündigte hingegen nach der Vorstellung des türkis-grünen Pakts für Freitag eine Demonstration in Wien an: Um 13 Uhr soll eine Menschenkette um das Bundeskanzleramt gebildet werden, unter anderem weil Ökologisierung des Steuersystems ab 2022 „nicht der Dringlichkeit der Lage“ entsprechen würde. „Denn erst, wenn die Einhaltung des 1,5-Grad-Ziels und globale Klimagerechtigkeit gesichert sind, werden unsere Klimaproteste ein Ende finden - und davon sind wir, mit Blick auf die österreichischen Emissionen 2019, noch weit entfernt“, teilte Anika Dafert von „Fridays for Future Salzburg“ in einer Aussendung mit. Man könne nicht noch zwei Jahre ungenutzt verstreichen lassen, da die Emissionen ab 2020 radikal sinken müssten. Man begrüße jedoch die geplanten Klimaschutz-Maßnahmen im Regierungsprogramm.

Asyl-NGO lässt kein gutes Haar an türkis-grünen Pakt
Die „Asylkoordination Österreich“ hat indes in Sachen Asyl kein gutes Haar am türkis-grünen Regierungsprogramm gelassen. Dieses beinhalte „zu viele Altlasten der Strache-Kickl-FPÖ“, hieß es in einer Aussendung. Die Tendenzen zur Isolation von Asylwerbern werde fortgesetzt. Eine „große Enttäuschung“ sei jedenfalls, dass es den Grünen nicht gelungen sei, das Ende der unabhängigen Rechtsberatung zu stoppen.
Auch sei die geplante Sicherungshaft mit der bestehenden österreichischen Verfassung nicht vereinbar, gab sich die NGO überzeugt. Und im Integrationsbereich habe sich die ÖVP mit „desintegrativen Maßnahmen“ wie die Deutschförderklassen und der Ausweitung des Kopftuchverbotes bis zur Vollendung des 14. Lebensjahres durchgesetzt, so die Kritik.

Der ÖGB kündigte an, das nun vorliegende Regierungsprogramm „in den nächsten Tagen eingehend prüfen“ zu wollen, erst dann werde man ausführlich dazu Stellung nehmen. Bei einer ersten Übersicht sei den Gewerkschaftern aber aufgefallen, dass im Vergleich zur Vorgängerregierung zahlreiche Verbesserungen im Koalitionsübereinkommen enthalten sind. Das grundsätzliche Bekenntnis zur Sozialpartnerschaft begrüßte der ÖGB ausdrücklich.

Gewerkschaft kritisiert geplante Steuergeschenke für Konzerne
Kritisch kommentiert Vizepräsidentin Korinna Schumann, dass die unter Türkis-Blau eingeleitete Kräfteverlagerung in Richtung Unternehmen in einigen Bereichen auch unter Türkis-Grün weiter vorangetrieben wird. Zahlreiche in den letzten beiden Jahren beschlossene und öffentlich kritisierte Verschlechterungen, so Schumann, würden nicht thematisiert oder ausgebessert werden. „ArbeitnehmerInnen zahlen 80 Prozent der Steuern, werden aber in der Steuerreform nicht entsprechend entlastet. Stattdessen werden Konzernen weiter Steuergeschenke gemacht. Das Arbeitszeitgesetz oder der Umbau der Sozialversicherung werden nicht zurückgenommen und an einer Pflegeversicherung wird weiter festgehalten“, nennt die Vizepräsidentin nur einige der kritischen Punkte.

Industrie begrüßt Einigung
Begrüßt wurde die Einigung zwischen ÖVP und Grünen am Donnerstag von der Industriellenvereinigung. Mit dieser in Europa neuen und einzigartigen Konstellation würden sich auch neue Möglichkeiten eröffnen, „eine Kombination aus starker Standortpolitik und gesellschafts- sowie bildungspolitischer Offenheit“, so Georg Kapsch, Präsident der Industriellenvereinigung (IV). Inhaltlich sieht der IV-Präsident im bisher Präsentierten „einige gute und richtige Ansätze“. Nun werde es auf die konkrete Umsetzung ankommen.

„Dass es klare Ambitionen hinsichtlich der Fortsetzung des eingeschlagenen Weges der Entlastung von Menschen und Unternehmen gibt“, sei „sehr positiv“ - insbesondere die angekündigte Senkung in den ersten drei Einkommensteuertarifstufen ab 2021. Insgesamt sei die Erwartungshaltung an die neue Bundesregierung durchaus eine hohe. Das umfasse Kapsch zufolge das „Anpacken“ großer Themen wie Pensionen, Gesundheit, Pflege, Bildung, Klima und Energie, Föderalismusreform sowie der Frage nach Generationengerechtigkeit.

Der Pensionistenverband Österreichs kritisierte die im Regierungsprogramm beabsichtigte Einführung einer Pflegeversicherung. Pensionistenverbands-Präsident Peter Kostelka: „Eine würdevolle Pflege und Betreuung eines pflegebedürftigen Menschen darf nicht von der Höhe einer Versicherungsprämie abhängig sein!“ Es sei zwar lange verhandelt worden, „das Ergebnis zum wichtigen Thema Pflege ist leider sehr unkonkret“, so Kostelka.

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