15.12.2019 15:23

krone.tv-Reportage

Bellas Ehehölle: Gewalt, Waffen und Morddrohungen

Ein signifikanter Anstieg an Frauenmorden hat 2018 das Land erschüttert. Auch in diesem Jahr haben bis dato 34 Frauen Gewalt gegen sie nicht überlebt. Weltweit sterben 50.000 Frauen und Mädchen durch Gewalttaten, in vielen Ländern der Welt gab es 2019 Aktionen und Proteste. Frauen werden verprügelt, vergewaltigt, misshandelt, die Taten von der Öffentlichkeit erst wahrgenommen, wenn etwas passiert. Doch meist bleiben die Vergehen dort, wo sie stattfinden, hinter verschlossenen Türen. Die krone.tv-Reportage über das stille Leid der Frauen.

Als sie 19 war, ist Bella P. (43) mit ihrem Mann zusammengekommen. 24 Jahre später kämpft die Künstlerin nun für ein Leben in Freiheit. Ein Dasein ohne Angst und Gewalt, auch für ihre Kinder. „Eine toxische Beziehung passiert nicht von heute auf morgen. Das kommt schleichend, das muss man realisieren und verarbeiten. Das Aufwachen ist hart.“ Mit allen Mitteln, „Wegweisungen und einer Anzeige“, wehrt sich Bella seit einem Jahr. Der Ehemann schwört, er werde sich ändern. Bella glaubt ihm, aber nun hat sie eingesehen, dass Trennung die einzige Möglichkeit ist. Heute früh ist eine weitere Verhandlung am Bezirksgericht Wien-Josefstadt.

40-Jähriger schnitt sich vor den Kindern die Pulsadern auf
Wieder muss Bella ihm in die Augen sehen. Gemeinsam haben sie vier Kinder, eigentlich fünf. Die zwei jüngsten, ein Bub (11) und ein Mädchen (8), sind in psychologischer Betreuung: „Das Schlimmste ist, dass er sich vor den kleinen Kindern die Pulsadern aufgeschnitten hat. Die körperlichen Übergriffe an mir. Er hat mich so getreten, dass ich ein Kind verloren hab. Er streitet das ab. Es gibt noch Schlimmeres, aber das möchte ich lieber nicht erwähnen.“ Bella lebt mit ihren zwei jüngsten Kindern in einer schönen Altbauwohnung, ein Sohn (18) ist bereits ausgezogen, die älteste Tochter (18) hält zum Vater. Der Mietvertrag läuft auf den Mann, es ist also „seine“ Wohnung. Die Kinder sind von der Gewalt bereits traumatisiert: „Meine achtjährige Tochter leidet an Panikattacken, wacht in der Nacht auf, schreit und brüllt herum: ‚Mama, ich muss sterben.‘ Dafür ist er verantwortlich.“ Auch sie leide unter Panikattacken, erzählt Bella.

Morddrohung und Waffenfund
Bis vor Kurzem saß der gewalttätige Vater der Kinder im Gefängnis wegen gefährlicher Drohung. Er hat sich „illegal Waffen besorgt“. Eine musste sie sogar selbst finden. „Er hat gesagt, er wird mich umbringen, ihm ist eh schon alles egal“, so die Künstlerin. Bella brachte den erschreckenden Fund direkt zur Polizeiinspektion. „Die Beamten meinten, ich habe das Richtige getan.“ Bei der Festnahme fanden Polizisten in seiner Wohnung eine zweite Waffe. Der ältesten Tochter schenkte der 40-Jährige zum 18. Geburtstag eine Schusswaffe. Nun wird der gewalttätige und verurteilte Ex-Partner auch noch zum Stalker. Im Internet habe er Falschinformationen über sie verbreitet und so versucht, wieder Kontrolle über ihr Leben zu bekommen.

Ex zerfetzte Bellas Gemälde mit einem Messer
Ihre Leidenschaft, das Malen, hat er niedergemacht. „Er meinte, ich kann nichts, ich bin nichts, ich werde nie was sein.“ Wenn sie dann weitermalte, hat ihr Ex zur Strafe die Gemälde mit Messern zerfetzt. Diese restauriert, repariert sie, Hand in Hand, „wie meine Seele“. Sie atmet tief ein. Ihr aktuelles Kunstwerk aus Strukturpaste und Öl trägt den Namen: „Wenn schon zerrissen, dann im Ganzen. Aber nach außen hin, trag Würde und Stolz.“ Wo sieht Bella sich in fünf Jahren? Sie blüht auf, lächelt sogar. „Keine Ahnung. Sicher nicht verheiratet, sicher werde ich meine Freiheit nicht mehr aufgeben, mein Sein und Selbst nicht mehr hergeben, ich erkenne die Warnzeichen mittlerweile.“ Jetzt will sie „einmal Leben“. Endlich keine Vorwürfe, keine Kontrolle, keine Eifersucht, keine Gewalt und keine Angst und kein Leid mehr.

Mit Security zur Gerichtsverhandlung
Zum Gericht begleitet sie Mario Schmidt, Obmann des Vereins „Weißer Flügel“. „Viel Glück!“ wünscht er Bella, als sich die Tür von Verhandlungssaal 1 öffnet. Begonnen hat sein Projekt als kostenloser Begleitschutzservice. Mittlerweile ist er mit seinem Verein eine Stütze bei Stalking-Fällen, krone.at berichtete bereits über Osama D. und Rhea, ein Fall, den er betreute - RTL flog dafür sogar nach Wien. Selbst er stößt bei seiner freiwilligen Arbeit an seine Grenzen. „Es ist erschreckend, wie Menschen miteinander umgehen. Ich versuche, dagegenzusteuern. Gesetze gibt es. Es hapert an der Umsetzung.“

Klienten suchen seine Hilfe, wenn nichts mehr geht
„Bei gewissen Sachen sind der Justiz und der Polizei die Hände gebunden. So viele Täterinnen und Täter retten sich mit Aussage gegen Aussage. Das macht es schwierig für das Gericht, schnell zu urteilen.“ Wie läuft seine Begleitung ab? „Es muss gewisse Voraussetzungen geben, Anzeigen, Unterlassungsverfügungen. Diese Schriftstücke geben dem Verein den Spielraum vor. Was darf der Täter nicht? Wir dokumentieren dann alles und übergeben es der Polizei und somit dem Gericht.“ Fast immer sind die Täter männliche Ex-Partner. „Allein dass unsere Klientin mit einem Security vor Gericht erscheinen muss, hat die Richterin, glaube ich, schon etwas zum Staunen gebracht.“ Heute entscheidet das Gericht nicht zugunsten von Bella, sie hatte gebeten, den Mietvertrag auf ihren Namen umschreiben zu lassen. Nun ist sie zwei Monate auf Wohnungssuche, mit ihren zwei Kleinen.

Wiens Frauenstadträtin plant bis 2022 neues Frauenhaus
Hilfsangebote und ein Gewaltschutznetz für Frauen gibt es flächendeckend. Wiens Frauenstadträtin Kathrin Gaal lobt den 24-Stunden Frauennotruf. „Hier können sich Frauen, die Opfer von Gewalt oder Belästigung geworden sind, wirklich 24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche, hinwenden. Hier bekommt man eine kompetente, einfühlsame, rasche und unbürokratische Beratung. Hier sitzen Juristinnen und Sozialarbeiterinnen und helfen in Notsituationen. Wir lassen die Frauen nicht alleine, wenn die Frauen Hilfe brauchen, bekommen sie sie.“ Außerdem ist bis 2022 ein fünftes Frauenhaus geplant, „mit 50 weiteren Plätzen für Frauen und Kinder, die von Gewalt betroffen sind“.

Sicherheitsschleuse und 24-Stunden-Beratung
„Wir hatten heuer schon 9150 Beratungen, davon waren 70 Prozent telefonisch, 20 per Mail, und zehn Prozent - das sind fast 1000 Beratungen - hier in unserer Einrichtung“, erzählt Martina K. Steiner, stellvertretene Leiterin des Frauennotrufs. Einzigartig: Neben dem Telefonservice bietet die Einrichtung in Wien auch kostenlos persönliche Gespräche an - sogar Rechtsbeistand. Sechs Kameras bewachen den Lift, das Foyer und den Eingangsbereich - inklusive Sicherheitsschleuse. Ob anonym oder mit Namen, „wir unternehmen keine Schritte gegen den Willen der Frau“, versichert Steiner.

Gewalt „nicht weniger grausam als vor 20 Jahren“
Der Weg aus der Gewalt ist schwer, ein Hilfeplan stützt. „Natürlich können wir nicht zaubern und sagen, alles wird gut mit einem Fingerschnips, aber wir können versprechen, dass alle weiteren Schritte, die eine Frau gehen muss und will, dass sie da nicht alleine ist, dass wir an ihrer Seite sind.“ 34 Frauenmorde bis dato? Die Gewaltvorfälle sind nicht weniger geworden und „nicht weniger grausam als vor 20 Jahren“. Die drei häufigsten Themen bei Beratungen? „Sexualisierte Gewalt, Vergewaltigungen, Belästigung, dann Gewalt in Beziehungen und Stalking.“

Die Gewaltserie scheint endlos. Das Leid der Frauen allgegenwärtig. Während unserer Dreharbeiten wird ein ehemaliger Polizist aus Niederösterreich des Missbrauchs verdächtigt. Er soll sich an seiner dreijährigen Enkeltochter vergangen haben. Es soll auch noch weitere, mittlerweile erwachsene mutmaßliche Opfer des 61-Jährigen geben.

Wer Hilfe sucht oder Opfer von Gewalt ist, kann den Frauennotruf, egal wann, erreichen: 01-717-19.

Der Verein „Weißer Flügel“ bittet um finanzielle Unterstützung für den Umzug und Neustart von Bella über sein Spendenkonto:

IBAN: AT3820 11182 75389 6600
BIC: GIBAATWWXX

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