Trojaner, Kameras

„Sicherheitspaket“ von ÖVP/FPÖ verfassungswidrig

Österreich
11.12.2019 13:42

Weite Teile des türkis-blauen „Sicherheitspakets“ sind verfassungswidrig. Diese Entscheidung hat der Vizepräsident des Verfassungsgerichtshofs Christoph Grabenwarter am Mittwoch bekannt gegeben. Aufgehoben wurden unter anderem Bestimmungen über den sogenannten Bundestrojaner sowie über die automatische Auswertung von Video- und Section-Control-Daten über Autofahrer.

Die von ÖVP und FPÖ ab April 2020 geplant gewesene Überwachung von Computersystemen mit einem „Bundestrojaner“ hat der Verfassungsgerichtshof damit noch vor Inkrafttreten gekippt. Diese verdeckte Überwachung von Computersystemen wäre aus Sicht der Verfassungsrichter „nur in äußerst engen Grenzen zum Schutz gewichtiger Rechtsgüter zulässig“, zitierte Grabenwarter aus dem Erkenntnis des Höchstgerichts. Die vertrauliche Nutzung von Computersystemen und digitalen Nachrichtendiensten sei nämlich „wesentlicher Bestandteil des Rechts auf Achtung des Privatlebens“ gemäß der europäischen Menschenrechtskonvention.

Insbesondere kritisiert der Verfassungsgerichtshof, dass die geplanten Überwachungsmaßnahmen keinen ausreichenden Schutz von in die Überwachung einbezogenen unbeteiligten Dritten vorsehen. Die Überwachung von Computersystemen erlaube „Einblick in sämtliche, auch höchstpersönliche Lebensbereiche“ und lasse Rückschlüsse auf die Gedanken, Vorlieben, Neigungen, Orientierungen und Gesinnungen der Anwender zu. Dies sei nur in äußerst engen Grenzen zum Schutz gewichtiger Rechtsgüter zulässig.

Zwar räumte Grabenwarter ein, dass auch von anderen Überwachungsmaßnahmen wie etwa Videoüberwachung oder Observation unbeteiligte Dritte betroffen sein können. Die verdeckte Infiltration von Computersystemen erreiche aber eine „signifikant erhöhte Streubreite“.

Verstoß gegen das Hausrechtsgesetz
Nicht nur die verdeckte Überwachung verschlüsselter Nachrichten durch Installation eines Programms auf einem Computersystem ist gemäß dem Spruch nicht erlaubt. Auch die Ermächtigung, zur Installation dieses „Trojaners“ in Räume einzudringen, Behältnisse zu durchsuchen und spezifische Sicherheitsvorkehrungen zu überwinden, wurde aufgehoben.

Zum angefochtenen Eindringen zwecks Installation des „Bundestrojaners“ hält der VfGH fest, dass hier ein Verstoß gegen das verfassungsrechtlich gewährleistete Recht auf Unverletzlichkeit des Hausrechts vorliegt. Vorgesehen waren nämlich Hausdurchsuchungen, ohne dass der Betroffene davon Kenntnis erlangt. Dies widerspricht aber dem Hausrechtsgesetz 1862, wonach Betroffene innerhalb der nächsten 24 Stunden zu informieren sind - womit die heimliche Installation der Schnüffelsoftware aber sinnlos wäre.

Kritiker warnten vor „Überwachungspaket“
Die türkis-blaue Regierung hatte die im April 2018 beschlossenen Maßnahmen als „Sicherheitspaket“ kommuniziert, Kritiker sprachen jedoch stets von einem „Überwachungspaket“. Dies deshalb, weil die Behörden damit das Recht erhielten, die von den Section-Control-Anlagen der Autobahnen erfassten Daten automatisch auszuwerten. Außerdem sollte die Polizei auf Überwachungskameras von Verkehrsbetrieben, Autobahnen und Flughäfen zugreifen dürfen.

Bei der verdeckten Erfassung und Speicherung von Daten zur Identifizierung von Fahrzeugen und Fahrzeuglenkern sieht der VfGH einen gravierenden und unverhältnismäßigen Eingriff in die Geheimhaltungsinteressen gemäß Datenschutzgesetz sowie das Menschenrecht auf Achtung des Privatlebens - das auch, weil dies schon bei der „leichtesten Vermögenskriminalität“ schlagend würde.

Bei der Section Control verwies der VfGH auf seine eigene Entscheidung zur erforderlichen strengen Zweckbindung der Daten aus dem Jahr 2007. Auch hier sah er Eingriffe in den Datenschutz und das Privatleben. „Von der Datenübermittlung sind Personen betroffen, unabhängig davon, ob diese ein Verhalten gesetzt haben, das Anlass zur Übermittlung der personenbezogenen Daten an die Sicherheitsbehörden gegeben hat“, so die Kritik des VfGH.

SPÖ und NEOS bejubeln Höchstrichter-Spruch
SPÖ und NEOS hatten die von ÖVP und FPÖ 2018 beschlossenen „Überwachungsmaßnahmen“ beim Verfassungsgerichtshof angefochten. Daher wurde die Entscheidung des VfGH vom Mittwoch auch mit großer Erleichterung gefeiert: „Das ist ein großer Erfolg für die Grundrechte der Bürgerinnen und Bürger in Österreich und schützt unsere freie Gesellschaft. Massive Eingriffe in die Persönlichkeitsrechte konnten verhindert werden. Mit uns wird es keinen Überwachungsstaat geben“, sagte SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner.

Ähnlich begeistert tönte es von den NEOS: „Diese Entscheidung ist eine klare Absage an die umfassenden Überwachungsfantasien der Herren Kurz, Kickl und Sobotka und der gesamten ÖVP/FPÖ-Regierung. In erster Linie ist die Entscheidung aber ein fulminanter Sieg für die Freiheit, die Bürgerrechte der Bürgerinnen und Bürger in Österreich und für die Rechtsstaatlichkeit in diesem Land“, jubelte etwa der stellvertretende NEOS-Klubobmann Niki Scherak.

Grüne ebenfalls erfreut
Auch die stellvertretende Klubobfrau der Grünen, Ewa Ernst-Dziedzic, freute sich, dass der VfGH den „Überwachungsfantasien“ von Ex-Innenminister Herbert Kickl „einen Riegel vorgeschoben“ hat. „Das, was wir von Anbeginn an prophezeit haben, ist nun eingetreten: Die automatisierte Kennzeichenerfassung und der ,Bundestrojaner‘ sind verfassungswidrig“, so die Grüne.

FPÖ: „Feiertag für die organisierte Großkriminalität“
Wenig überraschend fällt dagegen die Reaktion der FPÖ aus: Klubobmann Kickl erklärte, der heutige Tag sei ein „Feiertag für die organisierte Großkriminalität und den terroristischen Extremismus“. Laut Kickl sind die im Sicherheitspaket vorgesehenen Ermittlungstechniken in anderen Staaten „gängige Praxis“ der Ermittlungsbehörden. „Das Sicherheitspaket ist ein Schutzschirm für die Österreicher. Es ist sicher kein Massenüberwachungsinstrument, sondern im Gegenteil, die Masse wird geschützt vor den kriminellen Aktivitäten einzelner“, argumentierte der blaue Klubobmann.

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