Filzmaier analysiert

Parteiverlierer: Die blau-rote Abwärtsspirale

Österreich
01.12.2019 06:00

Die Freiheitlichen haben 2019 ihren Chef und alle Wahlen verloren. Nun scheinen uns die Sozialdemokraten zeigen zu wollen, dass sie sich und ihre Chefin genauso gut blamieren können. Schauen wir uns Unterschiede und Gemeinsamkeiten der zwei Parteiverlierer des Jahres an.

1. Die Krise der Ex-Regierungspartei FPÖ ist jedem klar. Vom Ibiza-Video über die Spesenaffäre der Straches bis zum Postenschacher beim Casino hat man sich als „Partei des kleinen Mannes“ unglaubwürdig gemacht. Man führt sich exakt gleich und noch ärger auf, wie man es SPÖ und ÖVP immer vorgeworfen hat.

Nur Stammwähler mit Scheuklappen wollen das Problem nicht verstehen, warum Wechselwähler davonlaufen. Jetzt können Konflikte zwischen sturen bis verschwörungstheoretischen Strache-Fans, dem harten Kickl-Lager und weicheren Hofer-Anhängern sowie Bezirks- und Landesparteibossen mit Eigeninteressen zur endgültigen Wählerspaltung führen.

2. Nicht ganz so logisch ist die Talsohle der SPÖ. Da platzt nach einem Riesenskandal die Bundesregierung. Doch ausgerechnet die Roten als größte Oppositionspartei geraten in eine Megakrise. Mit allem Respekt: Wie kann man nur so dämlich sein? Ist es nicht ein Witz, hier von einer „schwierigen Ausgangslage“ zu sprechen? Was soll das aktuelle Theater einer Führungsdiskussion auf dem Rücken gekündigter Parteiangestellter?

3. Die SPÖ hat nicht mitgekriegt, dass sie ausgerechnet sozialpolitisch ihre Glaubwürdigkeit verloren hat. Warum wurde in der Steiermark der Kampf für leistbares Wohnen den Kommunisten zugeschrieben? Weshalb gelten die Grünen als Bildungsreformer, während rote Lehrergewerkschafter den Ruf von Betonschädeln haben? Wieso kann Sebastian Kurz als Held der Pensionserhöhungen auftreten, obwohl die Sozialdemokraten noch mehr dafür waren?

4. Als traurige Gemeinsamkeit neigen FPÖ und SPÖ reflexartig zu einer billigen Ausrede: Die bösen Medien sind schuld! Wie wär’s stattdessen mit einer ehrlichen Entschuldigung für besonders üble Fälle der zuletzt blauen und früher roten Postenpackelei in der Bundespolitik? Nur dann kann es ja etwas bringen, die ÖVP für deren um nichts besseres Verhalten zu schimpfen. Doch lieber wird jeder Journalist, der die jeweils eigene Partei kritisiert, quasi als bestochener Erfüllungsgehilfe der Kurz’schen Kommunikationsmaschinerie verleumdet.

5. Liebe blaue und rote Leute, meint Ihr ernsthaft, Euch nicht selber laufend in die Negativschlagzeilen gebracht zu haben? Erinnert sich übrigens jemand an Heinz-Christian Straches Rücktrittsrede? Der zunächst jeden und alles beschuldigt, was nicht bei drei auf den Bäumen war. Es folgte die Verzeihungsbitte bei seiner Frau, doch mit keinem Wort gegenüber den Wählern der FPÖ. Die SPÖ ist etwas weniger schlimm, zeigt sich aber ebenfalls viel zu oft uneinsichtig und meint von Gott, Kurz und der Welt verfolgt zu sein.

6. Die Wählerabwanderung erfolgt in unterschiedliche Richtungen. Die Roten haben an die Grünen, die Blauen an die Türkis-Schwarzen verloren. Doch vom Bund bis in die Steiermark gab es eine Parallele: Anhänger beider Parteien gingen zu einem erheblichen Teil auch ins Nichtwählerlager. Diese Gruppe wäre mit einem ehrlichen Schuldbewusstsein am ehesten wieder gewinnbar. Doch ein solches ist Fehlanzeige, und die ÖVP lacht sich ins Fäustchen.

7. Die FPÖ entwickelt sich mit sprachlichen Rundumschlägen zurück zur Partei um sich hauender Männer, die viele Frauen abschreckt. Weil Norbert Hofers Funktionäre anscheinend in Krisensituationen nichts anderes können. Sanfte Töne voller Einsicht schon gar nicht. Die SPÖ hingegen ist einfach alt. Würden nur Pensionisten wählen, hätte man noch über 30 Prozent der Stimmen. Das ist nichts Unanständiges, blockiert jedoch die Veränderungsbereitschaft zugunsten der jungen Generation.

8. Stichwort Veränderung: Pamela Rendi-Wagner fehlt es - wie Hofer, der Strache nicht los wurde - an Führungsstärke, weil sie keine Reformen schafft und ihre Ablösediskussion zulässt. Funktionäre rund um sie haben sich in der SPÖ jahrzehntelang hochgedient und kennen beruflich nur interne Machtlogiken. Bei ihren Worthülsen im Parteipleitesprech der letzten Tage, dass man alles blablabla nicht so negativ sehen darf, kriegt man Schüttelfrost. Wen wundert der Vorwurf, von der Alltagswelt zu wenig zu verstehen?

9. Auch die Spitzen der FPÖ bluffen bei der Frage nach dem wirklichen Leben. Denn sowohl Hofer als auch Herbert Kickl haben seit 1995 - ein Vierteljahrhundert lang - nichts Anderes gemacht als Politik- und Parteiarbeit. Das ist in Ordnung, für Sebastian Kurz gilt lebenslang dasselbe.

Doch werden solche Funktionärsriegen den Reformbedarf ihrer jeweiligen Partei erkennen? Was ist die Alternative? Es geht nicht darum, ob sich ein blauer oder roter Kurz findet. Sondern es könnte einer wie Emmanuel Macron in Frankreich kommen, der aus seiner Partei austrat und sie mit dem Aufbau der eigenen Bewegung zerstörte.

Peter Filzmaier, Kronen Zeitung

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