Das große Interview

Schauen Sie auf Österreich, Herr Kommissar?

Österreich
01.12.2019 06:00

Heute tritt die neue EU-Kommission unter Ursula von der Leyen ihr Amt an. Ganz vorne mit dabei: Johannes Hahn, der in Brüssel zum mächtigen Budget-Kommissar aufgestiegen ist. Mit Conny Bischofberger spricht der 62-Jährige über Geld und Gefühle, Fakten und Mythen und ein neues, privates Familienmitglied.

Es ist nicht ganz leicht, „Gio“ Hahn (sein Spitzname stammt aus den Siebzigern) zu treffen. 200 Tage im Jahr ist er unterwegs, zunächst war er Kommissar für Europas Regionen, dann zuständig für das Ressort Nachbarschaftspolitik und Erweiterung. „Und dann pendle ich noch zwischen meinen drei Haushalten in Brüssel, Wien und Salzburg“, erzählt Hahn, während er das linke Donaukanalufer mit den bunten Stufen, Graffitis und Lokalen am Wasser entlangspaziert.

Fürs „Krone“-Interview hat er sich das Otto-Wagner-Schützenhaus ausgesucht - seine letzte kommunalpolitische Initiative. Als Wiener ÖVP-Chef initiierte er vor 15 Jahren die Wiederbelebung des Kanals mit dem ersten Sandstrand, „der Rest ist Geschichte“. Im Art-déco-Ambiente des Restaurants bestellt Hahn einen weißen Spritzer im Weinglas, Fragen beantwortet der Budget-Kommissar (verantwortlich für 168,7 Milliarden Euro und mehr als 30.000 Beamte in 27 Ländern) leise und melodisch. Nie im Leben würde man auf die Idee kommen, dass hier der mächtigste Österreicher in Brüssel Platz genommen hat.

Krone: Herr Kommissar, von Ihnen stammt das Zitat: „Man unterschätzt mich, das ist seit Jahrzehnten mein größtes politisches Kapital.“ Wann hat das angefangen?
Johannes Hahn: Das war schon immer so. Ich glaube, es hängt damit zusammen, dass ich kein „Hoppala, da bin ich“-Mensch bin, sondern ganz ruhig des Weges komme. Ich verspreche nicht das Blaue vom Himmel, sondern arbeite solide. Und ehrlich gesagt kann ich auch gar nicht aus meiner Haut heraus. In der Zwischenzeit ist das fast so was wie ein Markenzeichen geworden.

Sind Sie deshalb nun schon das dritte Mal EU-Kommissar geworden?
Ich glaube, man hat einfach auf Kontinuität gesetzt. Ob das schon die Absicht der früheren Regierung war, kann ich nicht beurteilen, der jetzigen Übergangsregierung war es jedenfalls ein Anliegen. Auch der neuen Kommissionspräsidentin war es wichtig, eine Mischung aus Erfahrenen und Neuen zu haben.

Kontinuität war vor allem nach Ibiza erwünscht: Wären Sie auch ohne dieses Video wieder Kommissar geworden?
Das schließe ich nicht aus. Die Dinge haben sich dann überschlagen. Ich sage aber ganz offen, dass ich mich über die einstimmige Nominierung im Parlament sehr gefreut habe. Das ist ungewöhnlich und, so glaube ich, meiner soliden Arbeit in den letzten zehn Jahren geschuldet.

Sie haben das Hearing mit links geschafft. Hat man Sie da geschont?
Keineswegs. Wir hatten ein zweistufiges Verfahren, und da befasste sich der Rechtsausschuss mit meinem Aktienbesitz. Von einem Teil dieser Aktien habe ich mich schon getrennt, den Rest werde ich auch noch erledigen. Ich hatte keinerlei Bonus, im Gegenteil: Da muss man immer demütig rangehen, es sind schließlich jedes Mal neue Abgeordnete.

Am 1. Dezember, an Ihrem 62. Geburtstag, nimmt die neue Kommission unter Ursula von der Leyen ihre Arbeit auf. Haben Sie als alter Hase noch Lampenfieber?
Ehrlich gesagt nicht sehr viel. Es ist, wie wenn du die Schule wechselst. Die handelnden Personen, der Direktor und die Kollegen, sind neu, aber die Abläufe sind dir vertraut. Es ändert sich nur das Zusammenleben.

Als Budgetkommissar sind Sie für 168,7 Milliarden Euro und mehr als 30.000 Beamte verantwortlich. Da denkt man sofort an den aufgeblasenen bürokratischen Apparat, der viel Geld verschlingt. Können Sie dieses Gefühl nachvollziehen?
Das ist einer der vielen Mythen, die es über die Europäische Union gibt. Gemessen am Gesamtbudget machen die Kosten für Administration und Personal inklusive laufender Zahlungen wie Miete und Pensionen lediglich 6,7 Prozent aus. Damit nehme ich es mit jeder öffentlichen Verwaltung auf, aber auch mit profitorientierten Unternehmen.

Die Verhandlungen über das neue Budget werden nicht leicht werden. Österreich hat bereits angekündigt, nicht mehr zu zahlen als zuletzt. Wie wollen Sie das gegen den künftigen Bundeskanzler durchbringen?
Zunächst muss ich klarstellen, dass es sich hier nicht um einen Schaukampf zwischen Sebastian Kurz und Johannes Hahn handelt! Sondern ich habe hier eine Aufgabe zu erfüllen, mit - leider Gottes! - nur noch 27 Mitgliedsländern und dem Europäischen Parlament ein Mehrjahres-Budget unter Dach und Fach zu bringen. Die Beschlüsse, welche Maßnahmen schwerpunktmäßig finanziert werden sollen, werden schlussendlich vom Rat, in dem alle Mitgliedsländer - also auch Österreich! - vertreten sind, auf Einstimmigkeitsbasis gefasst, und darüber wird dann mit dem europäischen Parlament verhandelt. Die Aufgabe der Kommission ist es, einen auf den Beschlüssen der Mitgliedstaaten beruhenden Vorschlag vorzulegen und als ehrlicher Makler die Verhandlungen gemeinsam mit der jeweiligen Ratspräsidentschaft zu führen. Im Prinzip geht es beim EU-Budget also um politische Schwerpunkte, die einen „europäischen Mehrwert“ bringen, den kein einzelnes Land allein erreichen könnte. Also etwa um die Frage: wollen wir mehr Klimaschutz, Sicherheit, Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft? Im Übrigen beträgt der Unterschied zwischen dem, was sich Österreich vorstellt und dem, was sich die Kommission wünscht, 10 Cent pro Tag pro österreichischem Bürger.

Schon, aber warum braucht die EU, wenn mit Großbritannien ein Mitgliedsstaat wegfällt, dasselbe Budget wie vorher? Wäre es nicht logisch, das Budget zu kürzen?
Diese Position vertreten einige wenige Nettozahler wie Österreich. Mehr als zwanzig Mitgliedsstaaten sind der Meinung, das Budget sollte in etwa die Größenordnung haben, die die Kommission vorschlägt. Die Aufgaben bleiben ja dieselben und es sind neue hinzugekommen. Und da muss man jetzt einen vernünftigen Kompromiss finden.

Wie werden Sie den mit Sebastian Kurz finden?
Mit Kurz alleine werde ich ihn nicht finden. Er ist zukünftig einer von 27 Regierungschefs. Und auch er wird einen vernünftigen Außengrenzschutz wollen, das war ja ein politischer Schwerpunkt Österreichs. Die Kosten für Migrationsmanagement und Außengrenzen werden im Mehrjahresbudget (2021-2027) 34,9 Milliarden Euro betragen, das ist fast das Dreifache der Ausgaben der letzten Finanzperiode. Auch für Klima werden wir deutlich mehr ausgeben, insgesamt 320 Milliarden Euro, das sind um 60 Milliarden Euro mehr als zuvor. Was man auch wissen muss: 80 Prozent des Budgets fließt wieder in die Länder zurück, die das selbst verwalten.

Schauen Sie bei den Budgetverhandlungen auf Österreich? Oder ist das wie in einer großen Familie mit 27 Kindern, die Sie alle gleich lieben haben sollen ...
Schönes Bild. Natürlich muss ich alle 27 gleich behandeln. Aber eines kenne ich besser. Seine Stärken und seine Schwächen … Wir haben in Brüssel eine Redewendung. Wenn ein Kommissar über sein Land redet, dann sagt er: „Das Land, das ich am besten kenne …“ Tatsächlich habe ich jedoch einen Eid darauf geschworen, bei meiner Tätigkeit immer Gesamteuropa im Auge zu haben. Das heißt aber nicht, dass ich die Befindlichkeiten der 27 nicht kenne. Diese Befindlichkeiten fließen ein, auch die österreichische Position.

Was ist Österreichs größte Stärke?
Es ist weltweit gesehen die Region mit den höchsten Umweltstandards und der größten Umweltsensibilität, auch was biologische Landwirtschaft und Lebensmittel anbelangt. Hier stehen wir an der Spitze der Pyramide.

Die EU hat diese Woche den Klimanotstand ausgerufen. Wird das China und die USA beeindrucken?
Die europäische Union ist weltweit Speerspitze, was den Kampf gegen den Klimawandel anbelangt, obwohl China und die USA mehr CO2 ausstoßen als die gesamte Europäische Union. Sowohl was Standards als auch was unser Engagement anbelangt. Das erfordert aber auch verstärkte Investitionen in diesem Bereich. Wir werden zum Beispiel Schwerpunkte im Bahnausbau setzen. 25 Prozent des Budgetrahmens werden klimarelevant sein.

Wünschen Sie sich unter diesen Bedingungen eine türkis-grüne Regierung?
Wenn sich beide Partner in dieser Beziehung adäquat wiederfinden und ein vernünftiges, zukunftsorientiertes Programm mit starkem Bekenntnis zum Klimaschutz und Wirtschaftsentwicklung vereinbaren, dann soll es so sein. Ein Experiment wäre zu wenig.

Übermäßig begeistert klingt das nicht gerade…
Nein, das wäre ein Irrtum. Ich lasse mich nur nicht leiten von der allgemeinen Euphorie. Ich kann aber sagen, dass in der Tat ganz Europa auf Österreich und die Regierungsverhandlungen schaut.

Sie haben vorher den Bahnausbau erwähnt. Werden Sie mit gutem Beispiel vorangehen und künftig mit dem Zug nach Brüssel fahren?
Das hängt davon ab, wie oft er fährt. Ich höre, er fährt zweimal pro Woche. Da muss man auch fair sein. Wer für einen Tag nach Brüssel muss, wird in der Früh hinfliegen und am Abend zurückfliegen. Aber die Bahn kann für den Kampf gegen den Klimawandel attraktiv sein, wenn ich mehrere Tage dort verbringe.

Sie gehen jetzt in Ihre dritte Amtsperiode und übernehmen ein sehr wichtiges Ressort. Steigt man da eigentlich auch bürotechnisch auf?
Ja, aber das hat rein organisatorische Gründe. Ich saß bis jetzt im 11. Stockwerk, ab morgen werde ich im 12. sitzen, aber in derselben Wabe wie alle Kommissare. Über mir sitzen noch der Generalsekretär und die Frau Präsidentin.

Was unterscheidet Frau von der Leyen von Herrn Juncker?
Juncker war massiv an Finanz- und Wirtschaftsfragen interessiert. Von der Leyen ist massiv an der geopolitischen Positionierung der Union interessiert. Weg vom Payer, hin zum Player, was ich sehr begrüße und unterstütze.

Jean-Claude Juncker war für seine Kussattacken bekannt. Auch einmal Opfer geworden?
Immer wieder. Eigentlich bei jeder Begegnung.

Hat er Ihnen auch das Haar verwuschelt?
Auch das kam vor, aber dann habe ich zurückgewuschelt. - Lacht.

In der Archivmappe habe ich ein Foto gefunden: Sie am Roulette-Tisch, als Vorstand der „Novomatic“. Wie würden Sie dieses Bild rückblickend einordnen?
Das war ein Abschnitt meines Berufslebens, ein für mich wichtiger und erfolgreicher. Ich bin nun 16 Jahre weg von „Novomatic“, deshalb nehme ich für mich in Anspruch, die aktuellen Vorgänge nicht zu kommentieren.

Sie haben ursprünglich Philosophie studiert. Was lernt man aus der Philosophie für die Politik und fürs Leben?
Etwas hat mich noch mehr geprägt als die Philosophie. Ich bin in frühen Jahren an Krebs erkrankt, da lernt man eine gewisse Gelassenheit. In jungen Jahren hat mich die eine oder andere Freundin verlassen, weil ich nicht so himmelhochjauchzend und zu Tode betrübt sein konnte. Mit den Jahren wurde das zum Vorteil. Was man durch die Philosophie lernt ist die Schlussfolgerung, dass niemand die absolute Wahrheit gepachtet hat.

Die ÖVP hat sich unter Sebastian Kurz von schwarz zu türkis gewandelt. Sind Sie ein Schwarzer oder ein Türkiser?
Ich finde die Entwicklung, die wir da vollzogen haben, großartig. Dass da junge Leute Verantwortung übernehmen, ist doch besser, als wenn ausschließlich 60-Jährige über die nächste Generation entscheiden. Was Farben betrifft, bin ich relativ emotionslos. Sagen wir so: Ich bin ein alter Schwarzer, der sich über den Erfolg der jungen Türkisen freut.

Wie muss man sich Ihr Verhältnis zu Sebastian Kurz vorstellen?
Ich habe ihn immer gefördert, ich war Wiener Parteiobmann, als er Jugendobmann wurde.

Und im Geil-o-Mobil unterwegs war … Haben Sie das gut gefunden?
Das Wesen von jungen Menschen ist es doch, Dinge auszuprobieren! Die Aufgabe der Älteren ist es, ihnen das zuzugestehen. Heute sind wir Freunde und sachliche Differenzen werden unsere Freundschaft nicht belasten.

Waren Sie bei Ihrem eigenen Sohn auch so nachsichtig?
Mein Sohn ist jetzt 32 und Tierschützer. Er arbeitet für Gut Aiderbichl und ist zuständig für Rumänien und Ungarn.

Haben Sie auch Angst, dass er grün wählt, wie Ihr Parteikollege Wöginger?
Ich würde nie auf die Idee kommen, ihn zu fragen, wen er wählt. Nächste Woche fliegen wir zwei Buben nach Bukarest, wir holen ein paar Straßenhunde rauf. - Holt sein Handy raus und zeigt uns ein Foto einer Promenadenmischung. - Das wird unserer. Susanne (Anm.: Susanne Riess, Wüstenrot-Chefin und ehemalige Vizekanzlerin) und ich kriegen jetzt einen rumänischen Straßenhund.

Herr Hahn, Sie sind jetzt 62. Wollen Sie die Karriereleiter noch weiter hinaufklettern?
Ich habe vor, die nächsten fünf Jahre solide und erfolgreich zu erledigen. Danach bin ich 67, dann lassen wir es gut sein.


Sie wollen wirklich aufhören?
Irgendwas werde ich schon noch tun. Wissen Sie, ich habe auch einen dreieinhalbjährigen Enkelsohn. Und die Tatsache, dass ich Großvater wurde, hat eine ganz neue - auch politische - Dimension. Es ist für mich noch viel wichtiger geworden, dass wir alles tun, um den Nachkommen eine lebenswerte Welt zu hinterlassen. Mir fällt in letzter Zeit sehr oft der Satz von Saint-Exupery ein: Wir haben die Erde nicht von unseren Eltern geerbt, sondern von unseren Kindern geliehen.

„Gio“ ist Philosoph und Segler
Geboren am 2. Dezember 1957 in Wien. Studium der Philosophie, Publizistik und Germanistik. Seine politische Karriere beginnt „Gio“ Hahn bei der Jungen ÖVP und der Wiener Landespartei. Ab 1997 ist er sechs Jahre lang Vorstand bei „Novomatic“. 2003 kehrt er in die Politik zurück, 2004 wird er Wiener ÖVP-Chef, 2007 Wissenschaftsminister, 2010 EU-Kommissar. Privat ist Hahn Segler, hat einen 32-jährigen Sohn, einen dreieinhalbjährigen Enkelsohn, und lebt mit der früheren Vizekanzlerin Susanne Riess zusammen.

Conny Bischofberger, Kronen Zeitung

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