Fordert Zerschlagung

Der Mann, der gegen Amazon kämpft

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30.11.2019 14:10

Problemfall Amazon: Rekordgewinn 2018 von elf Milliarden - steuerfrei! Die „süße Versuchung“ für die Kunden, digital bequem einkaufen zu können, hat eine Revolution im Handel ausgelöst, die aber auch immer mehr Opfer fordert. „Krone“-Redakteur Kurt Seinitz sprach mit dem Führer der US-Handelsgewerkschaft, Stuart Appelbaum, der die Zerschlagung des amerikanischen E-Commerce-Giganten fordert.

„Krone“: Herr Appelbaum, E-Commerce setzt den realen Handel unter Druck. Immer mehr Geschäfte müssen schließen. Was tun?
Stuart Appelbaum: 50 Prozent des Handels findet bereits über Amazon statt. Den realen Handel wird es aber weiter geben, wenn er sich dem geänderten Käuferverhalten anpasst, also: Beratung und Qualität. Wogegen wir kämpfen, ist die Ungleichbehandlung. Die Online-Giganten betreiben Steuervermeidung und wollen dazu auch noch Subventionen „für Schaffung von Arbeitsplätzen“ kassieren. Die nutzen ihre wachsende Machtposition schamlos aus.

Sie führten einen Kampf gegen Amazon und haben ein Amazon-Verteilerzentrum in New York verhindert. Weshalb?
New York ist ein Paradebeispiel für ihre Geschäftspolitik, an öffentliche Gelder heranzukommen. Amazon hat seine Absicht, ein zweites Hauptquartier in den USA zu errichten, unter 200 Städten regelrecht versteigert. Manche waren sogar bereit, für Amazon ihre Gesetzesbestimmungen zu ändern. Den Zuschlag bekam New York mit dem Angebot von drei Milliarden Steuervergünstigung. Darüber hinaus hätten sie sogar bestimmen können, wie die Steuern ihrer Beschäftigten verwendet werden. Weshalb braucht der reichste Mann der Welt, Jeff Bezos, mit zehn Milliarden Jahresgewinn noch Subventionen? Das ist obszön! Er braucht sie nicht und er verdient sie auch nicht. Amazon ist der schlechteste Arbeitgeber überhaupt.

Es ist bekannt, dass Amazon sowie andere Online-Giganten ihre Arbeiterschaft schlecht behandeln und Niedrigstlöhne zahlen. Dabei hätten sie doch Geld genug. Weshalb also dieses kalte Denken von Leuten, die in Autogaragen klein angefangen haben?
Auf einer Rallye in New York hatte ich gesagt: „Heute ist es sehr kalt hier, aber lange nicht so kalt wie im Herzen von Jeff Bezos. Es ist aber weniger das Fehlen von sozialer Empathie als das Fehlen von sozialer Verantwortung. Wir haben in New York so viel Lärm gemacht, dass sie gezwungen gewesen wären, mit uns zu verhandeln. Da haben sie lieber New York verlassen!

Ist es nicht paradox, dass die Zampanos der sogenannten Zukunftsbranche zu frühkapitalistischen Zuständen zurückkehren?
Sie hätten alle Möglichkeiten, die Arbeiterschaft besser zu behandeln. Wir haben wirklich unglaubliche Vorfälle gehört: Stress und Nervenzusammenbrüche, weil sie die Arbeitsgeschwindigkeit nicht halten können. In einem Verteilerzentrum urinierten Beschäftigte in Flaschen, weil sie Angst haben, auf die Toilette zu gehen. Der Arbeitsschutz ist nicht gewährleistet. In einem britischen Verteilerzentrum gab es in einem Jahr 600 Notrufe an die Rettung. Leute brechen unter dem Druck zusammen. Wenn Menschen zur Arbeit gehen, sollten sie auch unbeschadet wieder heimkehren können. Und sie schnüffeln in unseren Daten, um sie gegen uns zu verwenden - ein Big-Brother-System.

Sieht so die künftige Arbeitswelt aus?
Das Allerletzte, was wir tun sollten, ist einen derartigen Arbeitgeber auch noch zu belohnen. Der Kampf gegen Amazon ist der Kampf um die künftige Arbeitswelt.

Da wäre es doch auch höchste Zeit, dass die Politik eingreift?
Der Einfluss der Online-Giganten auf die Politik ist demokratiegefährdend. Deshalb gehören sie zerschlagen wie im vorigen Jahrhundert das Rockefeller-Imperium. Ich gebe ein kleines Beispiel: Bei den Stadtratswahlen in Seattle, dem Sitz von Amazon, vor fünf Jahren spendete Amazon 30.000 Dollar an die Business-Lobby, heuer waren es drei Millionen. Tatsächlich wurden die stärksten Amazon-Kritiker aus dem Rennen geschossen.

Da kommen wir zu US-Präsident Donald Trump und der sozialen Frage. Er hatte seinen Sieg der Arbeiterschaft zu verdanken, besonders in zwei Bundesstaaten mit alter Krisenindustrie.
Er ist als millionenschwerer Geschäftsmann genau der Vertreter dieser „neuen Ökonomie“: Er hat die Arbeiterschaft einfach angelogen. Er hat ihnen ein Jobwunder versprochen, aber zu welchem Preis und zu welchen Löhnen!

Wieso fällt die Arbeiterschaft auf diesen Demagogen herein?
Die Menschen sind verunsichert und suchen nach Antworten. Dabei fallen sie auf Typen herein, welche die sprichwörtlichen einfachen Antworten liefern. Die Menschen haben einfach nicht mehr geglaubt, dass ihnen die Politik zuhört und ihre Probleme ernst nimmt. Trumps Strategie ist ebenso simpel wie destruktiv: Er erzählt der Arbeiterschaft, dass sie ihn wählen soll, weil er gegen Menschen kämpft, die ihr die Jobs wegnehmen wollen: die Einwanderer. Nur weil sich die Menschen alleingelassen fühlen, haben sie Trump mit seinen konservativen gesellschaftspolitischen Werten gewählt.

Warum bringen die Demokraten auch jetzt nichts zusammen?
Sie kümmern sich zu wenig um ihre Stammwählerschaft. Um die verlorene Arbeiterschaft zurückzugewinnen, müssten sie diese überzeugen, tun es aber nicht. Der Vorwurf ist berechtigt, dass die Demokraten nichts rüberbringen können.

Kurt Seinitz, Kronen Zeitung

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