„Krone“ in der Region

„Haben nicht mehr das Gefühl, am Rand zu leben“

Steiermark
19.11.2019 06:00

Lange Zeit galt die Südoststeiermark als das Armenhaus des Landes. Doch mit dem Fall des Eisernen Vorhangs änderte sich vieles - und das Selbstbewusstsein der Region wird größer.

Das Herz muss Otmar Wernhard einst fast in die Hose gerutscht sein, als er mit seinem Schwiegervater in den Wald ging. Nur ein kleines Stück des Forstwegs führte über jugoslawisches Staatsgebiet. Und schon tauchten mehrere bewaffnete Soldaten aus dem Unterholz auf.

Selbstbewusstsein der Region steigt
Alles ging gut. Heute kann Wernhard den Weg ohne Furcht benutzen. Der pensionierte Tourismus-Berufsschullehrer wohnt in St. Anna am Aigen, unweit von Slowenien. „Seit der Grenzöffnung haben wir nicht mehr das Gefühl, am Rand zu liegen.“ Das Selbstbewusstsein der Region steigt, nicht zuletzt durch Erfolge im Tourismus und im Weinbau.

Wernhard kann diese Entwicklung besonders gut beschreiben, er ist wegen seiner Frau ein „Zuagroaster“. Aufgewachsen ist er in Trofaiach, in der tiefsten Obersteiermark, der Vater war Hackler bei der Alpine.

Auch wenn ihm das Skifahren abgeht und ihm die Harmoniebedürftigkeit der Südoststeirer anfangs fremd war („die Obersteirer sind viel direkter“), schwärmt Wernhard über seine neue Heimat. „Der Zusammenhalt ist großartig, gerade bei uns im Ort.“ Bestes Beispiel: der Fußballverein, dessen Spiele zu Volksfesten werden.

Unter der Woche ist es ruhig in den Dörfern
Doch es gibt Herausforderungen. Gut bezahlte Industriejobs sind rar, bei den Durchschnittslöhnen ist der Bezirk im Hinterfeld des Steiermark-Rankings. Viele pendeln bis nach Wien aus. Wochentags ist es sehr ruhig in den idyllischen Dörfern. Die Jungen ziehen nach der Matura oft weg. Wernhard: „Auch unsere Tochter lebt in Graz. Ich hoffe, sie kommt wieder zurück.“

Dass junge Arbeitskräfte fehlen, erzählt auch Karl Weninger aus Gnas: „Es herrscht ein eklatanter Mangel, viele Handwerker können Aufträge nicht mehr annehmen, Buschenschenken fehlen die Servierkräfte.“ Der 60-Jährige arbeitet in einer Bank, auch dort könnten sofort mehrere Mitarbeiter anfangen.

Strukturwandel ist voll im Gange
Weninger ist aber auch Nebenerwerbslandwirt, „in meinem Alter bin ich einer der wenigen, die noch aktiv sind“. Viele kleine Betriebe hören auf, der Strukturwandel ist voll im Gange. Die Erzeugerpreise liegen teilweise auf dem Niveau wie vor 40 Jahren. „Man muss extrem kostengünstig anbieten und Begeisterung für die Arbeit haben.“

„Ich verbringe immer mehr Stunden im Büro“
Eine solche Begeisterung hat Ingrid Gombotz. Sie hat in Hof bei Straden vor zwei Jahren die Landwirtschaft der Eltern übernommen, die vielzitierte Nische gesucht und gefunden: Bio-Beeren. Doch die Arbeit ist herausfordernd: Der Klimawandel trifft die Südoststeiermark besonders stark, die Bürokratie nimmt zu („ich verbringe jedes Jahr mehr Stunden im Büro"), der Kampf um Saisonarbeiter ist hart.

Bis zu 60 Erntehelfer hat Gombotz am Hof. Fast alle pendeln täglich aus Slowenien ein. Doch wie lange noch? Die slowenische Wirtschaft wächst stark, immer mehr Bauern müssen Rumänen und Bulgaren rekrutieren, brauchen für sie Unterkünfte. Auch Gombotz wird wohl bald bauen müssen.

Mut abseits der Ballungszentren
Damit nicht der falsche Eindruck entsteht: Jammern ist unseren Gesprächspartnern fremd, vielmehr betonen sie, wie gerne sie in ihrer Region leben. Der beste Beweis, dass sich Mut abseits der Ballungszentren lohnt, ist das Ehepaar Roswitha und Marc Fauster. Vor sieben Jahren kehrte es aus Wien zurück nach Bad Gleichenberg. Wer das Büro - ein früherer Stall - besucht, könnte auch in einer hippen Großstadt sein: Notebooks, Fahrräder an der Wand, viele selbstgemachte Produkte.

Marc betreibt ein kleines Reisebüro und einen Radverleih, Roswitha bildet mit Elisabeth Gindl die „Wilden Schwestern“. Sie führen die heimische Landwirtschaft, bieten Kräuterpädagogik an und betreiben mit Elan das Kellerstüberl im von Kurgästen und Studenten geprägten Bad Gleichenberg: „Das Bewusstsein für Regionales wächst, unsere Gäste legen großen Wert darauf“, erzählt Roswitha stolz.

Eine sanfte Region, die lange am Rand der Steiermark - und Europas - lag, bekommt zunehmend eine breite Brust. Sie wird sich wohl auch politisch künftig noch stärker zu Wort melden als bisher.

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