Heute vor 30 Jahren:

Die Mauer fiel, aber nicht in den Köpfen

Ausland
09.11.2019 06:00

„Wo warst du, als …?“, heißt es an epochalen Jahrestagen, so auch zum Fall der Berliner Mauer. Dieser 9. November 1989 vor 30 Jahren symbolisiert wie kein anderer Tag die Höhen und Tiefen der jüngeren deutschen Geschichte.

Diese Nacht hatte das Ende der Nachkriegsordnung eingeläutet, aber nicht „das Ende der Geschichte“, wie es ein berühmter Autor vorlaut prophezeite. Ganz im Gegenteil: Jetzt ging die Geschichte erst richtig los. War doch schon der Mauerfall selbst nicht mehr als ein Zufall gewesen.

Es war 19 Uhr an diesem Donnerstag, als der SED-Parteichef von Ostberlin, Günter Schabowski, auf einer seltenen Pressekonferenz offensichtlich nicht ganz so beabsichtigt die Grenzöffnung verkündete. Auf die Frage, wann die Verordnung in Kraft trete, antwortete Schabowski in Unkenntnis: „Das tritt nach meiner Kenntnis … ist das sofort, unverzüglich“, stammelt er in die laufenden Kameras. Die Nachricht verbreitet sich wie ein Lauffeuer.

Mit dabei war auch die junge Angela Merkel …
Die Menschen strömten zur Mauer und überrollten das DDR-Regime. Es gab kein Halten mehr. Mit dabei war auch die junge Angela Merkel. Sie kam direkt aus der Sauna.

Nach den Tagen, die Weltgeschichte machten, setzten die Mühen der Ebene ein. Der Jubel war bald verhallt.

Zwischen damals und heute liegen Welten
28 Jahre, zwei Monate und 28 Tage hatte die Mauer die Deutschen voneinander getrennt. Wer an diesem 9. November dabei war, wird es nie vergessen.

Heute ist vieles anders, es scheint, als würden Welten zwischen damals und jetzt liegen. Ab 2015 kamen die Flüchtlings- und Migrantenkrisen, AfD, Hass. Es gibt Ostdeutsche, die sich abgehängt fühlen, ihre hilflose Wut in die Öffentlichkeit tragen und in Westdeutschland auf wenig Verständnis stoßen.

„Jammer-Ossis“ und „Besser-Wessis“
Nur 38 Prozent der Ostdeutschen finden die Wiedervereinigung laut einer Umfrage gelungen. Das Gefühl, Bürger zweiter Klasse zu sein, ist bei vielen noch immer da. Nach Gräben, die schmäler werden, sieht das nicht aus. Der deutsche Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier mahnt denn auch die Politik: „Lasst diese Leute mit ihren Sorgen und Nöten nicht allein. Nehmt ihre Probleme ernst und kümmert euch“, appellierte er in Leipzig, als dort an die große Montagsdemonstration vom 9. Oktober 1989 mit mehr als 70.000 Teilnehmern erinnert wurde.

In diesem Sommer und Herbst 1989 war die DDR am Ende: die Staatsführung erstarrt, Demonstrationen, Massenfluchten von DDR-Bürgern über die bundesdeutschen Botschaften in Prag, Warschau und Budapest, der Sturz des DDR-Staats- und Parteichefs Erich Honecker. Noch heute sagen viele, es sei ein Wunder gewesen, dass in dieser aufgeladenen Atmosphäre kein einziger Schuss fiel.

Was im Westen oft nicht richtig verstanden wird: In den 44 kommunistischen Jahren in Ostdeutschland hatte sich dort unter den Menschen eine Art nationale Schicksalsgemeinschaft entwickelt, um durch die Härten des DDR-Alltags zu kommen. Sie schweißte zu einem Trutzbündnis zusammen. Das wirkt bis heute nach und macht überempfindlich gegen gefühlte Bevormundung.

Kurt Seinitz, Kronen Zeitung

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