Chef IHS Österreich:

„Der Fachkräftemangel ist ein generelles Problem“

Tirol
04.11.2019 17:30
Martin Kocher, Chef von IHS Österreich, spricht am Rande einer Veranstaltung in Schwaz über die Gefahr, dass die Wirtschaft wegen Personalmangels nicht zukunftsfit ist.

Herr Kocher, Europa driftet nicht nur politisch, sondern auch ökonomisch auseinander. Im Westen breiten sich Handelskriege und Rezessionssorgen aus. Im Osten hingegen wächst die Wirtschaft weiter, wie sieht hierbei ihre Prognose aus?
Wir hoffen, dass es ab dem kommenden Jahr in der Eurozone wieder besser wird was die Konjunktur betrifft. Österreich steht ja im Vergleich zu anderen Mitgliedsstaaten noch gut da. Es gibt Anlass zur Hoffnung, dass, wenn sich die vorhandenen Unsicherheitsherde auflösen, wir ab 2020 wieder einen Wachstumsschub erleben werden. Aller Voraussicht nach wird die Jahreswachstumsrate im nächsten Jahr geringer sein als in diesem Jahr. Für uns positiv sind die steigenden Wachstumsraten im Osten, die aber im Vergleich zum Westen immer noch einen Aufholbedarf haben. Der Anpassungsbereich, der in diesen Regionen sehr lange dauerte, geht jetzt jedoch rascher vonstatten.

Es liegen gute Wirtschaftsjahre hinter uns. In anderen europäischen Ländern, wie etwa in Deutschland, hat ein Konjunktureinbruch begonnen. Welche Auswirkungen sehen Sie?
Österreich koppelt sich im Moment noch gut von diesen Entwicklungen in Europa ab. Das liegt daran, dass bei uns die Konsumstimmung sehr gut ist, was auf den Familienbonus und die Lohnabschlüsse zurückzuführen ist. Aber auf Dauer werden wir uns nicht abkoppeln können, wenn die deutsche Rezession von längerer Dauer ist, würden wir dies auch spüren und müssten dann unsere Wachstumserwartungen zurückschrauben.

Fachkräftemangel im Westen früher akut

Was soll in Tirol konkret gegen den Fachkräftemangel getan werden und hat eine Lehrausbildung wirklich noch Zukunft?
Der Fachkräftemangel ist ein generelles Problem, man sieht das jetzt in Westösterreich früher als in anderen Bundesländern. Da wird es nötig sein, insgesamt sehr viel dagegen zu unternehmen. Hier muss man mit Bildung und Stärkung der dualen Ausbildung ansetzen und deshalb hat auch die Lehre weiterhin Zukunft. Aber es wird auch darum gehen, die Menschen länger in den Betrieben zu halten und bei der Migration klare Unterscheidung in Qualifikation und Suche von Schutz zu machen.

Aktuell werden dringend Mitarbeiter in allen Bereichen der Gastronomie und des Tourismus benötigt. 4000 offene Stellen sind beim AMS-Tirol gemeldet, hier soll mit einer von der EU zur Verfügung gestellten Jobbörse im Internet Abhilfe geschaffen werden. Ist so eine Maßnahme überhaupt zielführend?
Wir sehen aktuell immer noch zu wenig Mobilität von Arbeitskräften innerhalb der EU. Eigentlich würde man in einem Wirtschaftsraum erwarten, dass Personen aus Gegenden, wo hohe Arbeitslosigkeit herrscht, gerne in Länder wechseln, wo geringe Arbeitslosigkeit ist. Aber es gibt hier im europäischen Wirtschaftsraum zu wenig Information darüber. Wenn man hier die Information und Kommunikation verstärkt, dann wird es auch funktionieren.

Nicht abschieben – aber Fähigkeiten fehlen oft

Wie stehen Sie zur Frage, Asylberechtigte für 1,50 Euro Stundenlohn in den Arbeitsmarkt zu integrieren und finden Sie, dass Asylwerber, welche in einer Berufsausbildung stehen, abgeschoben werden dürfen?
Angesichts der Arbeitsmarktlage spricht vieles dafür, dass man Asylberechtigte sehr ähnlich behandelt wie andere Arbeitnehmer. Nicht nur sozialpolitisch gesehen spricht sehr vieles dafür, dass man Lehrlinge während ihrer Ausbildung nicht abschiebt. Das Problem dabei aber ist, dass oft die Fähigkeiten fehlen und dann bringt es nichts, sie für Billiglöhne arbeiten zu lassen, da sie dann möglicherweise andere Arbeitskräfte aus dem Markt drängen. Aber wir sehen auch, dass schon relativ viele dieser Menschen Arbeit gefunden haben. Aber das ist nicht wirklich das ganz große Problem am österreichischen Arbeitsmarkt.

Parteiübergreifend sind Schlagwörter wie Klimaschutz, Umweltbewusstsein und Nachhaltigkeit zur scheinbar obersten Prämisse erklärt worden. Sehen Sie hierbei im Konsumverhalten eine Veränderung und hat sich die Wirtschaft darauf schon eingestellt?
Wir sehen erste Anzeichen, dass sich Menschen bewusster als Konsument verhalten und das ist auch der entscheidende Ansatz, dass sich der Konsument seiner Macht bewusst wird und Entscheidungen so trifft, wie er denkt, dass sie richtig aus der moralischen Perspektive heraus sind. Darauf wird sich der Markt auch einstellen und das betrifft nicht nur den Bereich Umwelt und Klima, sondern auch die Digitalisierung.

Österreich erwartet in den kommenden Wochen eine neue Regierung. Welche inhaltlichen Themen wird diese 27. Gesetzgebungsperiode aus Ihrer Sicht bestimmen?
Ich glaube, es gibt bestimmte strukturelle Themen, die wichtig sein werden. Ein ganz großes Thema werden die Arbeitsmarktfachkräfte werden. In der Bildung müssen etliche Bereiche angepasst und verbessert werden und in der Forschung muss die Grundlagenforschung mehr gefördert werden. Die Themen Pension, Pflege und das Gesundheitssystem sind weitere Bereiche, die bestimmen werden. Aber auch der Klima- und Umweltschutz wird weiterhin im Fokus stehen, da hier auch die EU weiterhin Druck machen wird.

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