Schwester ermordet

„Warum spricht jeder immer nur über den Täter?“

Tirol
01.11.2019 11:30

Wie soll man fassen, was nicht zu fassen ist? Wie soll man Worte finden, für das Unaussprechliche? Wie kann man verstehen, was schlicht unverständlich ist? Larissa Biber wurde im September 2013 von ihrem damaligen Freund ermordet. Ihre Schwester Katrin spricht zu Allerheiligen mit der „Krone“ über Mordfälle, den Tod, Trauer und Glück - und wie Gesellschaft und Medien damit umgehen.

Krone": Die Begegnung mit dem Tod ist immer schmerzhaft. Wie soll man also mit einem Mord umgehen?
Katrin Biber: Es gibt einen Täter, das ist ein großer Unterschied. Ich verspürte unfassbar viel Wut und Aggression - gegen diesen Menschen. Aber diese Wut, das war nicht ich. Ich bin ein Mensch, der Menschen mag. Doch plötzlich begann ich jeden zu hassen, den Mörder, die Gesellschaft, das Leben. So habe ich mich zeitweise selbst verloren.

Wie geht man mit dieser Wut um?
Das Problem ist, dass man sie nicht rauslassen kann, weil sie keinen Platz in der Gesellschaft hat. Man wendet sie nach innen und zerstört sich damit. Und dann kommt die Frage nach der Verhandlung. Wann findet die statt? Wird der Täter überhaupt eingesperrt? Man weiß es ja nicht. Und sogar heute denke ich immer wieder darüber nach - wann wird er rauskommen?

Er nimmt noch Platz in deinen Gedanken ein?
Ja. Jedes Jahr, das vergeht, rückt näher an diesen Tag, an dem er freikommen könnte. So viele Ängste. Er hat 20 Jahre mit anschließender Sicherheitsverwahrung bekommen. Aber man hört ja immer wieder davon, dass jemand früher entlassen wird.

Was macht das mit dir?
Durch den Mordfall verliert man das Urvertrauen in Menschen. Man geht automatisch davon aus - das macht unser Gehirn -, dass jeder Mensch gewalttätig ist.

Wie gehst du damit um?
Mit meinem Sport. Ich habe durch die Bewegung viel gelernt im Umgang mit meinen Gefühlen, habe mir Glaubenssätze ausgearbeitet, die ich mir während dem Training vorsage, die mich beruhigen und mir eine innere Stärke geben. Dass ich aufstehen kann und sagen kann, „ich bin mächtiger als die Angst - die lähmt mich jetzt nicht. Ich steh auf und zeig’s der Angst.“ So habe ich gelernt, wieder in Kommunikation mit Männern zu treten - das konnte ich lange nicht. Neben jedem Mann, der ein bisschen dominanter war, habe ich mich sofort klein gefühlt - und Angst bekommen, dass er mir was antun könnte. Aber durch den Sport baust du Muskulatur auf und fühlst dich stärker und dem Mann gleichgestellt. Die Angst wird weniger. Dasselbe gilt für die Wut: Lass sie raus, schrei sie raus, trainier sie raus - sei mächtiger als die Wut, dann wird sie weniger.

Mordfälle wie dieser oder auch jener in Kitzbühel erregen viel mediale Aufmerksamkeit, einhergehend mit kollektiver gesellschaftlicher Trauer. Wie viel Mitgefühl tut gut - und was ist zu viel?
Das berührt die Menschen natürlich - aber das lassen sie oft an den Angehörigen aus. Man trifft jemanden auf der Straße, der kommt sofort auf einen zu, beginnt zu weinen, betont, wie schrecklich all das war.

Heißt das, dass ein umgekehrter Effekt entsteht - Angehörige in die tröstende Rolle rutschen?
Ja genau. Denn wenn ich in so einer Situation selbst zu weinen beginne, kommen Floskeln à la „Das Leben geht weiter“. Aber das hält man ja nicht aus. Also versucht man, sich zusammenzureißen, den anderen zu trösten - und geht dann zitternd davon. Was auch schlimm war, war, dass zum Mitgefühl immer Neugierde kam.

Ein normales Bedürfnis …
Ja, aber es waren immer nur Fragen zum Täter. Wie war er an dem Abend? Ob ich etwas gemerkt habe? Ich hatte schon solche Schuldgefühle - warum habe ich sie nicht retten können? Warum habe ich sie an dem Abend nicht einfach festgehalten? Und dann kommt das noch von außen. Das war extrem schlimm. Und immer war die Frage nach ihm - nie nach ihr.

Niemand hat nach Larissa gefragt?
Nein, es ging immer um den Täter, nie um das Opfer. Da finde ich auch die Herangehensweise der Medien falsch. Als Trauernder will man natürlich unbedingt diese schlechten Gedanken loswerden - aber wenn immer nur über die Brutalität berichtet wird, wie soll der Hass vergehen?

Aber nach so einem Verbrechen zur Familie zu gehen und Fragen über das Opfer zu stellen, wäre auch falsch, oder?
Ja, aber mir wäre lieber gewesen, wenn mehr über Larissa und weniger über den Täter berichtet worden wäre. Sie war so ein schöner, wundervoller Mensch - warum muss immer über den brutalen Menschen berichtet werden?

Bleiben wir bei den Medien. Über solche Verbrechen nicht zu berichten, wäre ja auch falsch. Also stellt sich die Frage nach dem Wie.
Wenn berichtet wird, dann bitte richtig. Als Trauernder hält man nichts aus, da kann schon ein falsches Alter unglaubliche Wut auslösen. Außerdem frage ich mich, muss es sein, dass jede Woche ein neuer Bericht kommt? Das ist als Angehörige kaum aushaltbar. Ich habe versucht, so wenig wie möglich zu lesen, aber die anderen lesen ja. Sie stürmen auf einen zu, erzählen, was passiert ist. Dann erfährt man auf der Straße, wie die eigene Schwester umgebracht wurde.

Entstand durch die mediale Aufmerksamkeit auch Positives?
Ja, es ist unfassbar, was für Kräfte entstehen, wenn durch Liebe und Mitgefühl Verbindungen wachsen.

Hilft die Anteilnahme fremder Menschen?
Ja, das hat zum Beispiel meiner Mama geholfen. Die hat all die Einträge im Kondolenzbuch gelesen. Ganz viele erzählen von ihren eigenen Erlebnissen. Das hilft. Aber die Floskeln halt nicht - „Die Zeit heilt alle Wunden“ - das löst eher Druck aus, nicht mehr traurig sein zu dürfen.

Gibt es in so einer Situation überhaupt etwas Richtiges, das man sagen kann?
Definitiv. Zum Beispiel: „Ich versteh dich, ich kann es vielleicht nicht nachvollziehen, aber ich verstehe, dass du wütend bist. Du darfst wütend sein.“ Dass jemand in seiner Trauer gut ist, wie er gerade ist.

Abseits der Worte?
Im Alltag helfen. Eine Suppe kochen, das Wohnzimmer saugen. Einkaufen gehen. Viele schaffen diese Dinge nicht mehr. Also aktiv werden, da sein und zuhören. Und auch wenn es hundertmal dieselbe Geschichte ist - zuhören. Denn eine neue Geschichte kann man über diesen Menschen nicht mehr erzählen.

Was würdest du dir in diesem Zusammenhang für die Angehörigen in Kitzbühel wünschen?
Dass Menschen vorbeikommen, Suppe bringen, kein Wort über Zeitungsartikel verlieren, sondern nur über den Menschen sprechen. Dass man nachfragt, wie war der Mensch? Gemeinsam Fotos anschaut und sich über schöne Erinnerungen freut.

Das ist hilfreich? Viele werden Angst davor haben, das Gegenüber dadurch traurig zu machen.
Ja, aber in der Trauer ist man sowieso. Durch Erinnerungen kann ganz viel Freude aufkommen. Dann sitzt man eben um den Tisch - lacht und weint. Und wenn es einem zu viel wird, sollte man es ehrlich sagen und einfach nur dasitzen. Alleine das Dasein hilft schon sehr viel.

Anna Haselwanter
Anna Haselwanter
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