Arzt rechnet ab

„Natürlich gibt es die Zwei-Klassen-Medizin!“

Steiermark
28.10.2019 11:00
Ein Arzt macht sich Luft! Vor zwei Jahren legte Helfried Koller seine Kassen-Stelle als Gynäkologe in Judenburg zurück und arbeitet nun wieder als Wahlarzt und im Krankenhaus. Nur einen einzigen Kassen-Frauenarzt gibt es jetzt in den Bezirken Murtal und Murau. Laut Koller liegt dies einzig und allein am System.

Wieso haben Sie 2017 Ihre Kassen-Stelle aufgegeben?

Die Arbeitsqualität war nicht mehr gegeben. Die Kassentarife sind sehr gering – und immerhin ist eine Ordination auch ein Betrieb, der etwas abwerfen sollte.

Es ging also ums Geld?

Nicht nur. Das Arbeiten hat mir so keinen Spaß mehr gemacht und es war frustrierend. Es gab zu viele Patientinnen in zu wenig Zeit und dafür zu wenig Geld. Man muss sechs, sieben Frauen in der Stunde behandeln, um den Betrieb aufrecht zu erhalten.

Haben Sie ein Beispiel?

Für eine Mutter-Kind-Pass-Untersuchung bekomme ich 18,18 Euro brutto. Der Tarif wurde seit 40 Jahren nicht mehr angepasst.

Woran liegt das?

Drei Dinge kommen hier nicht zusammen: die Politik, die Krankenkassen und die Ärztekammer. Man kann als Kassenarzt natürlich gut verdienen, wenn man sich zur Massenabfertigung entschließt. Zeitinvestition in Patienten wird nicht honoriert, sondern nur Leistung. Aus medizinischer Sicht ist das schlecht, wenn unnötige Leistungen erbracht werden, nur, weil sie bezahlt werden.

Wieso ist gerade die westliche Obersteiermark so betroffen?

Das Problem mit den Gynäkologen wird sich auch nach Leoben verlagern. Hier gibt es keinen Bewerber für eine ausgeschriebene Stelle. Für die Kinderärzte gilt das Gleiche. Diese Arbeit ist finanziell nicht mehr lukrativ. Die Tarife gehören angepasst und die Leistungen überdacht. Dazu kommt, dass das Arbeiten im Krankenhaus viel attraktiver geworden ist.

Gibt es wirklich einen Ärztemangel?

Ich glaube nicht. Die Demografie hat sich geändert – vor fünf Jahren wollte jeder eine Kassenstelle haben, jetzt ist das Krankenhaus attraktiver. Es gibt viele Frauen in unserem Fach. Viele haben Familie und wollen Flexibilität. Die Politik, die Ärztekammer und die Gebietskrankenkasse sind gefordert, die Schere in den Arbeitsbedingungen zwischen Krankenhaus und Kassenstellen zu schließen. Sie müssten unterversorgte Gebiete klar ausweisen und die Tarife endlich erhöhen.

Was halten Sie von einem Stipendien-Modell für Studenten, die sich zu Kassenstellen verpflichten?

Das wird nicht ganz funktionieren. Auch von Subventionen für die Übernahme einer Kassenstelle habe ich nichts, wenn ich danach zu wenig verdiene.

Was sagen Sie Patientinnen, die sich Privatärzte nicht leisten können?

Die Versicherten sollen sich endlich auf die Beine stellen. Die zahlen die Beiträge. Die Kassen sparen sich Geld, wenn Stellen unbesetzt bleiben. Als kurzfristige Lösungen könnten sie wie in den Zahn-Ambulatorien Gynäkologen anstellen, die Krebsvorsorge und Mutter-Kind-Pass-Untersuchungen machen.

Gibt es eine Zwei-Klassen-Medizin?

Die gibt’s selbstverständlich! Wer bei der GKK versichert ist, wird abgefertigt.

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