Plötzlich verschwunden

Die kranke, verworrene Welt der Ruinerwold-Gurus

Ausland
20.10.2019 06:00

Immer mehr Details über die verworrenenen Leben des Österreichers Josef B. und des Holländers Gerrit-Jan D., die im Fokus des Ruinerwold-Falls stehen, werden nach und nach bekannt. Die beiden dachten, die Erde würde bald nicht mehr existieren. Sie wollten die Herrschaft über ein neues Universum übernehmen und sie bereiteten sich mit ihren Gefangenen auf den „Tag X“ vor. 

Ruinerwold im Nordwesten der Niederlande: 4000 Einwohner, eine Kirche, vier Gasthäuser, ein Supermarkt, ein paar Geschäfte und Handwerksbetriebe. Hübsche Häuser, ohne Jalousien und Vorhänge. „Warum sollten wir uns verstecken?“, fragen die Ortsbewohner, um gleich darauf zu sagen: „Wir haben voreinander nichts zu verbergen.“

Und plötzlich waren sie verschwunden
Wer sich einbunkert, fällt demnach auf. Bei Josef B. (58) war das so, und bei Gerrit-Jan D. (67) auch. Zum Beispiel im nahen Mappel, wo die zwei Männer einst in Reihenhäusern Tür an Tür gelebt hatten; oder in Zwartluis, wo sie bis 2009 ein Spielzeuggeschäft betrieben hatten. Oder in Hessel, wo „der Österreicher“ – wie Josef B. in der Gegend genannt wurde – bis zuletzt Inhaber einer Tischlerei gewesen ist. Keines der Gebäude war jemals einsehbar: die Fenster verbarrikadiert, mit Holzlatten und Pappe.

Und es gab noch andere Auffälligkeiten. Gerrit-Jan D., erzählen seine früheren Nachbarn, habe seine Frau und die neun Kinder hermetisch von der Außenwelt abgeschirmt, nur selten durften sie ins Freie – und wenn doch, dann nur unter strengster Bewachung.

Von Einwohnermeldeliste einfach gestrichen
Schon, es gab immer wieder Meldungen bei den Behörden über diese Umstände. Darüber, dass die vier Buben und fünf Mädchen keine Schule besuchten; darüber, dass Gerrit-Jan D.s Frau 2004 „plötzlich nicht mehr da war“, angeblich „an Krebs verstorben“ sei – wie ihr Mann damals per Aushang kundgetan hatte, mit der Zusatznachricht: „Beileidsbekundigungen sind unerwünscht.“

Die Behörden reagierten nicht. Auch nicht, als der Vater vor zehn Jahren bei den Behörden seine Auswanderung gemeldet hatte und sich von der Einwohnermeldeliste streichen ließ.

„Weder die Kinder noch ihre Mutter waren in unserem Land registriert“, versucht Roger de Groot, der Bürgermeister der Gemeinde, die Versäumnisse zu erklären: „Es gibt keine Geburtsscheine, keine Heiratsurkunde.“ Und so konnte es geschehen, dass Gerrit-Jan D. und seine Söhne und Töchter - völlig unbemerkt - 2010 auf dem von Josef B. gemieteten Bauernhof in Ruinerwold einzogen und endgültig im Untergrund verschwanden. Was dem Vater nichts ausmachte, seit Langem bereits hatten sich ja er und sein Freund ein Paralleluniversum erschaffen.

Sie fühlten sich gottgleich
Bei der „Moon-Glaubensgemeinschaft“ hatten sie einander in den 1980er-Jahren kennengelernt, beide waren dann rasch von der Vereinigung ausgeschlossen worden, wegen zu radikaler Gedanken. Der Österreicher und sein Freund fühlten sich gottgleich, sie dachten, allwissend zu sein. Sie waren davon überzeugt, dass „die Politiker“ die Luft und das Wasser vergiften würden; dass die Erde bald untergehen werde und sie danach in einer „besseren Sphäre“ die Regentschaft übernehmen könnten. Wenn sie sich bloß im Heute an ihre selbst auferlegten Regeln hielten: ein spartanisches Dasein zu führen, in totaler Abgeschiedenheit.

Drei Kinder flohen zu Verwandten
Das Gehöft in Ruinerwold war somit der ideale Rückzugsort für sie. Und unentwegt bläuten die Männer den Kindern dort ein, dass sie abgeschottet sein müssten, um eine Zukunft haben zu dürfen. Drei von ihnen, die ältesten, ein Mädchen, zwei Burschen – sie sind heute 27, 29 und 31 –, entzogen sich der Gehirnwäsche, flüchteten 2011 zu Verwandten. Erzählten ihnen von ihrer erlittenen Pein. Abermals – geschah nichts.

Und ihre Geschwister vegetierten weiter dahin, in dem von Bäumen umgebenen Haus, sie schliefen in einem notdürftig ausgestatteten Raum, durften selten in den Garten, um die Nutztiere – Gänse, Hühner, eine Ziege – zu versorgen und das von den Gurus angebaute Obst und Gemüse zu ernten.

Und als ihr Vater vor einigen Jahren einen Schlaganfall erlitt und in der Folge bettlägerig war, pflegten sie ihn und befolgten – wie von klein an gewohnt – seine abstrusen Befehle. Und die von Josef B. Der Österreicher, er war der Einzige in der Gruppe, der sich „draußen“ bewegte. Viel sogar. Er arbeitete in seiner Tischlerei, arbeitete für eine Werft, war im Land unterwegs; oft tagelang, mit seinem Wohnwagen. Seine Auftraggeber berichten unisono das Beste über ihn: „Er hat stets pünktlich extrem gute Ware geliefert.“

„Ein harmloser Eigenbrötler“
Was sagen die Menschen in Ruinerwold über den 58-Jährigen? „Wir hielten ihn für einen harmlosen Eigenbrötler, der sich in der Natur eine eigene Welt zurechtgezimmert hatte.“ Wie grauenhaft diese Welt war, konnten seine Nachbarn nicht ahnen.

Die Ortschaft mit den Häusern ohne Vorhänge und Jalousien vor den Fenstern, sie galt immer als besonders sicher; keine Einbrüche, keine Diebstähle, keine Vandalenakte, keine Schlägereien. Dass das Dorf jetzt zu einem Synonym für das Böse geworden ist, wollen die Ruinerwolder nicht verstehen: „Denn Josef B. - er stammt doch aus Österreich.“ Über Gerrit-Jan D. sprechen sie wenig.

Die sechs erwachsenen Kinder befinden sich nun alle in einer psychosozialen Einrichtung; lernen langsam zu begreifen, dass die Welt eine andere ist als die, in der sie von klein auf dahinvegetieren mussten. Josef B. ist mittlerweile in U-Haft, Gerrit-Jan D. wird morgen dem Richter vorgeführt. Nach wie vor sind sie davon überzeugt, für ihre „Schützlinge“ das Richtige getan zu haben. Für beide Männer gilt die Unschuldsvermutung.

Martina Prewein, Kronen Zeitung

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