Ortsentwicklung

Radikale Mittel, um die Zersiedelung zu stoppen

Tirol
18.09.2019 12:00
Nur 12,5 Prozent der Tiroler Landesfläche sind als Dauersiedlungsraum gut nutzbar. Trotzdem träumen viele vom Haus im Grünen. Wie können Land und Gemeinden die Zersiedelung stoppen? Spurensuche mit Raumordnungs-LR Johannes Tratter in der Schweiz, wo der Staat neuerdings zu radikalen Mitteln greift.

„Es ist ein Paradigmenwechsel“, sagt Regierungsrat Marc Mächler. Der oberste Raumordnung-Vertreter des Kantons St. Gallen meint die neuen Raumordnungsrichtlinien der Schweiz, die er und seine Beamten der Tiroler Delegation um LR Tratter vorstellten. Im Gegensatz zu Österreich gibt in der Schweiz der Bund vor, wohin die Reise geht. „Keine weitere Zersiedelung. Arbeit und Wohnen sollen wieder enger zusammenrücken“, nennt Mächler die Ziele. Die Formulierungen mögen allgemein gehalten sein, ihre Wirkung auf die ausführenden Organe in den Kantonen und Gemeinden verfehlen sie nicht.

Hin zu Ballungsräumen
Die Schweiz hat eine Weichenstellung vorgenommen, die für Tirol nicht vorstellbar ist (siehe Interview). Das Bevölkerungswachstum am Land wird eingebremst, Ballungsräume forciert. „65 Prozent des Wachstums soll dort passieren“, nennt Ralph Etter, oberster Beamter für Raumordnung in St. Gallen, die Vorgabe. Für dieses Ziel nimmt die Schweiz auch Landflucht in Kauf. Die Logik hinter dem Schritt: Eine Konzentration auf die Ballungsräume erspart den extrem teuren Ausbau der Öffis am Land.

Strenge Grenzen
Auch wenn - so wie in Tirol - die Umsetzung von Raumplanung in Gemeinden passiert, wurde durch die Gesetzesänderung die Rolle der Kantone aufgewertet. Diese erstellen Richtpläne, die die Grenzen des Siedlungsgebietes streng definieren. Verdichten lautet das Ziel. Bauland außerhalb der Kernzonen droht Rückwidmung. „Von unseren 77 Gemeinden müssen in St. Gallen elf rückwidmen“, erklärt Mächler konkrete Auswirkungen. Mit insgesamt 42 Hektar ist das Ausmaß aber verhältnismäßig gering.

Volk hat entschieden
Wie in Tirol sind Rückwidmungen auch in der Schweiz ein großes Politikum, wie Mächler bestätigt: „Es wird uns vorgeworfen, Verhinderer zu sein.“ Die Politik hat im Gegensatz zu Österreich aber ein starkes Argument. Das Raumplanungskonzept ist keine Erfindung von Fachleuten, sondern wurde im Land der Volksabstimmungen von den Bürgern so entschieden.

Wer besitzt, der zahlt
Automatisch Anspruch auf Entschädigung bei einer Rückwidmung haben Eidgenossen nicht. In Tirol droht so mancher Gemeinde der Ruin, wenn sie Grundbesitzer entschädigen muss. In der Schweiz wird das Geld aus einem Topf bezahlt, den es in Österreich so nicht gibt. In diesen Topf zahlt jeder ein, dessen Grundstück durch Umwidmung aufgewertet wird. In St. Gallen 20 Prozent der Wertsteigerung. In Zürich sogar 80 Prozent.

„Bürgerbeteiligung ist ausbaufähig“
Raumordnungs-LR Johannes Tratter (ÖVP) über die Vor- und Nachteile des Schweizer Modells und über das Reizwort Verdichten.

Was kann Tirol von St. Gallen oder Feldkirch lernen? Welche Maßnahmen sind 1:1 übertragbar?
Viel lernen können wir beim Thema Bürgerbeteiligung. Hier scheint man schon einige Schritte weiter zu sein. Wenn bei uns eine Gemeinde von Verdichten spricht, formiert sich sofort massiver Widerstand. Die Schweizer mit ihren Volksabstimmungen haben sogar noch das triftige Argument, dass ja die Bevölkerung das neue Raumordnungskonzept vorgegeben hat.

Die Schweiz lockt die Bevölkerung bewusst in Ballungsräume. Ein denkbares Konzept auch für Tirol?
Nie! Dafür haben wir zu wenig Siedlungsfläche. Wir müssen die Täler stärken. Das bleibt unser erklärtes Ziel.

Verdichten nach innen lautet die Zauberformel der Ortsentwicklung. Feldkirch und St. Gallen bewegen schon viel. Wo steht Tirol?
Auch wir verfolgen dieses Ziel. In einigen Orten sind wir auf einem guten Weg. Es braucht in den Gemeinden Leute, die sich dieses Themas annehmen, einen Kümmerer. Die Rolle des Landes ist in diesem Fall eine unterstützende.

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