Dschihadisten-Prozess

Glaubensvereine als „IS-Standort in Österreich“?

Steiermark
09.09.2019 20:34

Im Grazer Straflandesgericht hat am Montag der Prozess gegen sechs mutmaßliche Dschihadisten begonnen. Die gebürtigen Türken müssen sich wegen des Verdachts der Bildung einer terroristischen Vereinigung und kriminellen Organisation verantworten, einige zudem wegen staatsfeindlicher Verbindung. Dem Erstbeschuldigten wird von der Staatsanwaltschaft vorgeworfen, als Prediger in einem Linzer Glaubensverein junge Männer radikalisiert zu haben. Der 47-Jährige hingegen schilderte am ersten Verhandlungstag eine friedliche Idylle.

Eigentlich hatte die Anklageschrift sieben Personen aufgelistet, doch einer der Verdächtigen ist mittlerweile verschwunden, sein Aufenthaltsort ist unbekannt. Daher schloss die Richterin das Verfahren gegen ihn aus. Die verbliebenen sechs Angeklagten wurden von zwölf Bewachern in den Schwurgerichtssaal geführt.

Staatsanwalt: „Standort und Stützpunkt des IS in Österreich“
Der Staatsanwalt führte aus, wie sehr die radikalen islamischen Glaubensvereine in Wien, Graz und Linz miteinander verbunden seien und welche Bedeutung sie für die Terrororganisation Islamischer Staat hätten. „Die Glaubensvereine sind Standort und Stützpunkt des IS in Österreich“, betonte der Ankläger. Sie seien die „Zentren der Verbreitung dieser Ideologien“. Bei dem Verfahren gehe es aber keineswegs um Religion, denn „die interessiert die Staatsanwaltschaft nicht, es geht um die politische Ideologie“.

Der 47-jährige Erstangeklagte war ein angesehener Prediger, der auch in Graz immer wieder zu Gast war. Er soll mehrere junge Männer als Kämpfer für den IS angeworben haben. Zwei von ihnen wurden in einem anderen Verfahren in Graz bereits verurteilt, weil sie als Kämpfer in Syrien terroristische Straftaten begangen hatten. Von anderen Angeworbenen werden die Eltern als Zeugen gehört werden, „damit Sie sehen, welchem Elend die Familien ausgesetzt sind, wenn sie mit so radikalen Ideologien in Berührung kommen“.

Verantworten müssen sich auch Obmann, Schriftführer, Kassier und Vermieter des Glaubensvereins, weil sie den Erstangeklagten durch ihre Tätigkeiten unterstützt haben sollen.

Verteidiger: Prediger „hat nie jemanden radikalisiert“
Nach dem gut einstündigen Plädoyer des Staatsanwalts waren die Verteidiger am Wort. Der erste Anwalt - er vertritt den hauptangeklagten islamischen Prediger und einen weiteren Beschuldigten - betonte, seine Mandanten wären beide unschuldig und „nie aktiv geworden“. Beim Linzer Glaubensverein könne von „IS-Stützpunkt“ keine Rede sein, man habe sich nur mit den Familien zum Freitagsgebet getroffen.

„Ziehen Sie keinen Schluss aus dieser Hochsicherheitsumgebung, das sind keine Schwerkriminellen“, appellierte der Verteidiger gleich zu Beginn an die Geschworenen. Seine Mandanten seien beide unschuldig, der Prediger habe sich „immer gegen den IS ausgesprochen und nie jemanden radikalisiert oder angeworben“. 

Dem Bruder 200 Euro nach Syrien geschickt
Sein zweiter Mandant ist auch angeklagt, weil er seinem Bruder, der beim IS in Syrien war, 200 Euro geschickt hatte. „Er wusste nicht, was damit passiert, er hat geglaubt, es dient zur Finanzierung humanitärer Organisationen“, schilderte der Verteidiger. Dass der Angeklagte auch ein Zielfernrohr für ein Scharfschützengewehr gekauft und seinem Bruder geschickt hatte, fand der Jurist auch nicht weiter verdächtig. Auch hier soll sein Mandant keine Ahnung gehabt haben, wofür dieser Gegenstand gedacht war.

Ein anderer Verteidiger äußerste sich zum Anklagepunkt der staatsfeindlichen Verbindung: „Mein Mandant arbeitet als Unternehmer mit seiner Reinigungsfirma viel, und der soll wollen, dass das alles zusammenbricht?“ Das schien dem Anwalt „an den Haaren herbeigezogen“ und übertrieben. Er könne in diesem „Zehn-Familien-Verein“ keinen IS-Stützpunkt erkennen, in dem jemand bereit gewesen sei, radikal vorzugehen.

„Die Substanz der Anklage ist erschreckend gering“
„Alles, was hier passiert, erzeugt Angst, wenn von den Gräueltaten des IS die Rede ist“, bemerkte ein weiterer Verteidiger in Hinblick auf das Plädoyer des Staatsanwalts. Seiner Meinung nach sei das deswegen, weil „die Substanz der Anklage erschreckend gering ist“. Sein Mandant ist der Vermieter des Linzer Glaubensvereins, der wegen der Überlassung der Räume wegen Terrorismusfinanzierung angeklagt ist.

„Das sind ganz normale Straftaten“, bemühte sich der Verteidiger zu relativieren. Der Ankläger bringe nur deshalb die Hinrichtungen und andere Schreckenstaten des IS zur Sprache, um eine „äußerst, äußerst dürre Anklage zu unterstützen“. Im Übrigen sei er davon überzeugt, dass „jeder hier im Saal, der halbwegs zivilisiert ist, den IS ablehnt“.

Hauptangeklagter unterrichtete „sicher 5000 Kinder“
Nach Abschluss der Verteidiger-Plädoyers begann die Richterin am Nachmittag noch mit der Befragung des Hauptangeklagten. Er wurde in der Türkei geboren und studierte in Ägypten. In Österreich war er als muslimischer Religionslehrer tätig und unterrichtete nach eigenen Angaben „sicher 5000 Kinder“. Dann lebte er einige Jahre von Einnahmen als geringfügig Beschäftigter, bevor er einen kleinen Elektrobetrieb kaufte.

„Wir haben Tee getrunken, die Kinder haben gespielt“
„Würden Sie sich als strenggläubigen Muslim bezeichnen?“, fragte die Richterin. „Ich bin seit meinem 19. Lebensjahr ein gottesbewusster Muslim, streng bedeutet für mich automatisch feindlich“, wehrte der Befragte ab. Den Linzer Glaubensverein habe er selbst gegründet. „Wir waren acht bis zehn Familien“, erzählte er. Man habe sich zum Freitagsgebet und später auch zum Unterricht am Sonntagvormittag getroffen. „Dann haben wir Tee getrunken und die Kinder haben gespielt“, schilderte er zum Abschluss des ersten Verhandlungstages eine friedliche Idylle.

Der Prozess wird am Dienstag mit der weiteren Befragung der Beschuldigten fortgesetzt.

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