„Störfaktor“ Frau?

Verunsichert durch #MeToo: Der Mann in der Krise

Leben
08.09.2019 06:00

Verunsichert durch die globale #MeToo-Debatte traut sich das männliche Geschlecht nicht mehr, mit einer Frau alleine zu sein.

Der deutsche FDP-Politiker Wolfgang Kubicki vermeidet es, alleine mit einer Frau in den Lift zu steigen. Doch noch mächtigere Männer als er fürchten sich ebenfalls vor dem anderen Geschlecht: US-Vizepräsident Mike Pence lehnt ein Essen mit einer Frau ab, auch wenn es geschäftlich ist. Beide haben Angst vor Beschuldigungen der sexuellen Belästigung - als ob für eine solche Straftat die reine Anwesenheit beider Geschlechter genügen würde.

Doch mit diesem Denken ist das Politiker-Duo nicht alleine. Laut einer aktuellen US-Studie, die im „Harvard Business Review“ veröffentlicht wurde, vermeiden 27 Prozent der Befragten ein Meeting mit einer Kollegin oder Geschäftspartnerin.

Auch auf Dienstreisen oder abendlichen Events nehmen Manager lieber Männer mit. Mehr als ein Fünftel der Studienteilnehmer zögert bei der engen Zusammenarbeit mit weiblichen Angestellten. „Hier gehen wichtige Möglichkeiten des informellen Netzwerkens verloren, die gerade für Berufseinsteigerinnen wichtig sind“, warnt Christine Geserick, Familiensoziologin am Österreichischen Institut für Familienforschung an der Uni Wien.

Negativer Effekt für attraktive Frauen
Weiters belegt die Studie, dass Männer besonders von schönen Frauen eingeschüchtert werden. 19 Prozent scheuen sich davor, attraktive Arbeitskräfte einzustellen - als ob das Gesetz sexuelle Belästigung über die Ausstrahlung des Opfers definiert.

Autorin Laura Wiesböck sieht in der Opferrolle der Männer ein Aufrechterhalten der ungleichen Machtstrukturen - siehe Interview unten. Die vermeintliche Krise des männlichen Geschlechts führt also dazu, dass Frauen aus karriererelevanten Aktivitäten ausgeschlossen werden - ein klarer Rückschritt für die Emanzipation.

Wurden Männer durch die #MeToo-Debatte so verunsichert, dass sie nicht mehr wissen, wie sie sich im Job gegenüber Frauen verhalten sollen? Die beiden Studienautorinnen Rachel Sturm und Leanne Atwater beantworten diese Frage mit einem klaren Nein. Die Forscherinnen fanden heraus, dass beide Geschlechter wissen, was als sexuelle Belästigung gilt.

„Belästigung war schon vor #MeToo gesetzeswidrig“
Männer wissen nicht mehr, wie sie sich Kolleginnen gegenüber verhalten sollen. Hat die #MeToo-Debatte das männliche Geschlecht so verunsichert? Das beantwortet Soziologin Laura Wiesböck im Interview.

„Krone“: Männer wollen nicht mehr mit Frauen zusammenarbeiten. Kann man dieses Verhalten auf die #MeToo-Debatte zurückführen?
Wiesböck: Sexuelle Belästigung war schon vor der Debatte gesetzeswidrig. Durch #MeToo hat sich nur die Hoffnung verändert, dass dieses Gesetz stärker eingehalten wird, Belästigungen weniger toleriert und häufiger angesprochen werden - was gerade bei Machtmissbrauch von Vorgesetzten nicht leicht ist.

Laut Studie wissen Männer, was als Belästigung definiert wird. Wieso sind sie im Alltag dann aber doch so unsicher?
Um ungleiche Machtstrukturen aufrechtzuerhalten und Frauen als „Störfaktor“ am Arbeitsplatz zu deklarieren. Denn die Angst, seinen Status auf Basis des Vorwurfs von sexistischen Aussagen oder Handlungen zu verlieren, entspricht bisher kaum der Realität. Wir erleben immer wieder, dass selbst reale Fälle keine Konsequenzen für Machtpositionen von Männern nach sich ziehen.

Männer sind es gewohnt, in einer Machtposition zu sein, dennoch fühlen sie sich durch die #MeToo-Debatte in der Krise. Warum?
Bedroht durch Gleichberechtigung fühlen sich nur jene, deren Status dadurch unsicher ist, da er überwiegend auf ungleichen Machtstrukturen aufbaut.

Wo liegt die Grenze?
Wo ist die Grenze? Diese Frage stellt sich für die Justiz besonders im Sexualstrafrecht immer dann, wenn neue Bestimmungen eingeführt werden. Das war schon beim Stalking so, also bei der „beharrlichen Verfolgung“. Einige zornige Mails oder SMS reichen für eine Verurteilung noch nicht aus, täglich ein Blumenstrauß vor der Türe schon eher.

Und jetzt nach Einführung des neuen „Po-Grapscher-Paragrafen“ (§218/1a) stellt sich die Frage wieder: Wurde jemand „durch eine intensive Berührung einer der Geschlechtssphäre zuzuordnenden Körperstelle“ in seiner Würde verletzt?

Kürzlich hat eine Wiener Richterin einen solchen Fall verhandelt. Ein Filialleiter der Post (40) hat ein 17-jähriges Lehrmädchen bedrängt und hat gezielt zugegriffen. Und das noch dazu als Vorgesetzter des Opfers. Ein klarer Schuldspruch, befand Frau Rat. Doch ob auch die Obergerichte das so sehen, ist fraglich. Es gibt zum „Po-Grapscher-Paragrafen“ noch keine höchstgerichtlichen Entscheidungen.

Katharina Pirker und Peter Grotter, Kronen Zeitung

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(Bild: kmm)



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