Filzmaier-Analyse

Die große Schlacht für das Fernsehpublikum

Österreich
08.09.2019 06:00

Österreich ist einzigartig. Gemeint sind weder die schöne Landschaft noch unsere Skifahrer. In einem Wahlkampf gibt es hierzulande die vermutlich weltweit größte Zahl von Fernsehdebatten der Spitzenkandidaten. Drängt sich die Frage auf: Warum nur, warum?

Die österreichische Tradition der Diskussionen im Fernsehen begann am 19. September 1975. Das TV-Duell von Bruno Kreisky (SPÖ) als Bundeskanzler mit seinem damaligen Kontrahenten von der ÖVP, Josef Taus, wurde zum Klassiker. Für heutige Begriffe war der Ablauf unvorstellbar: Der Moderator des ORF begrüßte kurz die Zuseher und ging danach aus dem Studio.

Kreisky und Taus blieben an einem Holztisch mit zwei unbequemen Sesseln über eine Stunde sich selbst überlassen. Als der Privatsender ATV das 2016 mit den Präsidentschaftskandidaten Alexander Van der Bellen und Norbert Hofer 45 Minuten lang versuchte, wurde daraus ein sprachlicher Boxkampf voller Beleidigungen. Doch Kreisky kannte einen feineren Trick: Er spielte mit der Brille, wenn Taus am Wort war. Was diesen furchtbar nervös machte. Auch der Vorläufer des künftigen „Taferls“ wurde 1975 geboren.

Kreisky als erster Medienkanzler Trendsetter
Überhaupt war Kreisky als erster Medienkanzler der Trendsetter. Er scheute als Amtsinhaber die Auseinandersetzung im Fernsehen mit seinen Herausforderern nicht. Seitdem können alle Nachfolger Kreiskys als Bundeskanzler schlecht sagen, dass sie sich zu gut wären, mit der Opposition zu diskutieren. Also erleben wir 2019 allein im ORF an drei Abenden 15 Zweierkonfrontationen der Spitzenkandidaten.

Oder fast. ÖVP-Chef Sebastian Kurz etwa hat sich im Duell gegen Peter Pilz von der Europaabgeordneten Karoline Edtstadler vertreten lassen. Wieso? Trotz Kreisky sind die Fernsehdebatten mehr eine Chance für kleinere Parteien. In der politischen Kommunikation gilt die Regel „Streite mit jemand eine Ebene über dir, um dich selbst aufzuwerten und dich wichtiger zu machen, als du bist!“

Entscheiden TV-Duelle Wahl?
Entscheiden also unsere TV-Duelle die Nationalratswahl? Können insbesondere Beate Meinl-Reisinger (NEOS) und Werner Kogler (Grüne) als Vertreter von Kleinparteien sich mit gelungenen Auftritten gegen Kurz, Hofer oder Pamela Rendi-Wagner (SPÖ) zusätzliche Stimmen holen? Nicht unbedingt. Denn bereits die Fragestellung, wer von den diskutierenden Kandidaten besser war, ist ziemlich naiv.

Zunächst einmal ist durch Studien nachgewiesen, dass viele Zuseher bei ihrem Favoriten nur die Stärken sehen wollen. Bei Politikern, die man nicht besonders mag, wird von vornherein sowieso nach Schwächen gesucht. Wenn daher alle Parteianhänger den eigenen Spitzenkandidaten sowieso als besten Diskutanten sehen, ändert sich im Wahlergebnis gar nichts. Selbst wenn Fans irgendeiner Partei wider Erwarten zugeben, ihr Kandidat habe einen schlechten Abend gehabt, wählen sie ja deshalb nicht gleich eine andere Partei.

Noch dazu wird nicht am Abend eines TV-Duells abgestimmt, sondern viele Tage oder Wochen später. Ein Wahlforscher müsste so fragen: Fanden sie XY besser, und werden Sie nun mit Sicherheit seine Partei wählen, obwohl Sie ansonsten auf jeden Fall eine andere Partei gewählt hätten oder daheim geblieben wären? Und das nicht jetzt, sondern am 29. September?

Unentschlossene gilt es zu gewinnen
Nur dann verändern die Fernsehdebatten das Ergebnis einer Wahl. Diese Frage ist freilich nicht allein sprachlich kompliziert, sondern die Anzahl der möglichen Ja-Antworten ist schwierig zu messen. Was es deshalb im Fernsehen zu gewinnen gibt, sind erstens die Unentschlossenen. Zweitens besteht für alle Kandidaten die Gefahr, im TV-Duell durch Fehler das Image zu ruinieren. Diese ist ungleich größer als die Chance, mit grenzgenialen Diskussionsbeiträgen zu punkten.

Wo hingegen Punkte erzielt werden, das ist während und nach der Fernsehdebatte im Internet. Parteien versuchen, durch eine geschickte „Echo-Politik“ auf Facebook, Twitter & Co. die Botschaften aus Fernsehauftritten ihres Kandidaten zu verstärken. Für arglose Internetnutzer ist das ein bisschen mühsam, weil sie ständig offensive bis aggressive Lobhudelei von Parteitrollen lesen müssen.

Oder genauso allzu offensichtlich aus Textbausteinen bestehende Beschimpfungen der politischen Konkurrenz, der Moderatoren oder des ORF. Darin liegt zugleich das Risiko für manchmal für ihren Job sogar bezahlte Schimpfer: Überziehen sie in der Wortwahl, finden neutrale Beobachter das eher widerlich und solidarisieren sich mit den Beschimpften.

Was sonst noch alles passieren kann? In Brasilien stand ein Kandidat im Fernsehen auf, um den Mitbewerber live und im wörtlichen Sinn zu schlagen. Gewählt wurde er trotz des boxerischen Knock-outs nicht. Fernsehdiskussionen gleichen mehr einem Autorennen. Manchmal wird stundenlang im Kreis gefahren. Das Spannungsmoment ist, dass sich jederzeit jemand überschlagen kann.

Peter Filzmaier, Kronen Zeitung

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