Exklusive Testfahrt

Volkswagen ID.3: So fährt sich VWs Massenstromer

Motor
13.08.2019 15:00

Der ID.3 soll der Elektro-Volkswagen schlechthin werden. Vorerst üben sich die Wolfsburger noch in Geheimniskrämerei, bis sie auf der IAA seine Weltpremiere feiern. Die „Krone“ durfte den „Golf der Zukunft“ bereits testen.

(Bild: kmm)

Beim Eintritt in neue automobile Marktsegmente bekleckert sich Volkswagen schon lange nicht mehr mit Ruhm: Der Passat CC, der später in den Arteon mündete, hinkte den viertürigen Coupés anderer Marken zunächst hinterher. Und als der Tiguan an den Markt fuhr, tummelten sich dort bereits kompakte SUV der Konkurrenz. Die Strategieplanung des größten Automobilherstellers der Welt schlurft den Trends eher hinterher, als diese zu setzen. Der Vorteil für VW: Die Entwickler lernen von Anfangsfehlern anderer, um schließlich gleich alles richtig zu machen. Der nachhaltige Erfolg des Tiguan gibt dieser Politik recht: Nicht der Schnellste gewinnt, sondern der, der den längsten Atem hat.

Auch der Entschluss, den Weg Richtung Elektromobilität einzuschlagen, fiel spät. Deshalb sehen viele die Marke Volkswagen als Nachzügler, wenn das erste E-Mobil auf der konsequent für batterie-elektrische Autos entwickelten und skalierbaren MEB-Plattform (Modularer Elektro-Baukasten) ab Mitte 2020 ausgeliefert wird. Längerfristig wird er den Golf beerben, dessen Abgesang mit dem Volkswagen ID.3 anhebt: „Der Golf wird sterben, es lebe der ID.3!“

Auf den ersten Blick wirkt der Stromer wie ein Evolutionsmodell des Golf VII. Doch mit dem Golf VIII, der ebenfalls im nächsten Jahr Premiere feiern wird, verbinden ihn nur die annähernd gleichen Karosserie-Proportionen.

Bei gleicher Fahrzeuglänge von 4,26 Meter misst sein 2,77-Meter-Radstand ganze 13 Zentimeter länger als im aktuellen Golf VII. Entsprechend größer fällt die Beinfreiheit im Fond aus. Weil die flüssigkeitstemperierten Lithium-Ionen-Batterien im Unterboden einschließlich Kapselung 14 Zentimeter hoch bauen, liegen Fußraum und Sitzposition im ID.3 höher. In Folge baut das Gesamtfahrzeug höher: 1,58 Meter mit serienmäßiger 18-Zoll-Bereifung (19- und 20-Zoll-Räder gibt es optional). Man fühlt sich an den Golf Plus erinnert. Allerdings an einen im Karneval-Kostüm, denn noch lässt der Werkschutz ID.3-Prototypen nur im Tarnkleid an die Öffentlichkeit.

Den Fahrer empfängt ein karg möblierter Arbeitsplatz, der leider noch nicht fotografiert werden darf. Er soll bis zur Weltpremiere auf der IAA in Frankfurt im Verborgenen bleiben. Unterwegs legen wir ihn frei: Hinterm Lenkrad auf der Lenksäule steht ein Tablet, das die Fahrfunktionen mit Tacho anzeigt. Ein zweites sitzt aufrecht und zentral vor dem Querträger, der konventionellen Autos als Armaturenträger dient. Das war‘s! Abgesehen von den Lichtschaltern links vom Lenkrad und den Lenkstockhebeln sind keine weiteren Bedienelemente verbaut. Sämtliche Sekundär- und Komfortfunktionen werden übers Zentraldisplay gesteuert. Schlichte, neue Welt!

Wir starten die Systeme durch Knopfdruck an der Lenksäule. Die Tablets leuchten auf, der Tacho wird sichtbar und wir entnehmen dem leisen Summen, dass der ID.3 fahrbereit ist. Über eine Mimik rechts am Cockpit-Tablet steuern wir die Fahrstufe an und der Wagen beginnt zu kriechen - wie ein ICE -Auto (=Internal Combustion Engine/Verbrenner) mit Wandlerautomatik. Nur eben lautlos. Mit Druck aufs Fahrpedal mischt sich Unterhaltungselektronik ein. Sie verlangt der Gesetzgeber, um Passanten akustisch vor dem herannahenden EV zu warnen. Oberhalb von 35 km/h schaltet das hochfrequente „Schwirren“ ab und überlässt die weitere Unterhaltung zunächst den Reifen. Ab 100 km/h mischt auch der Fahrtwind mit. Er säuselt um Außenspiegel und Dreiecksfenster herum. Wem das nicht reicht, dem stehen Musikanlage und Fahrerassistenzsysteme zur Verfügung. Die Fahrt im vollelektrischen Volkswagen muss nicht weniger unterhaltsam sein als in einer ICE-Limousine.

Abrufen lassen sich in dem von uns gefahrenen ID.3 bis zu 150 kW Leistung, was nach bisherigem Sprachgebrauch 204 Pferdestärken entspricht. Sie kann von dem bis 16.000 U/min drehenden E-Motor für die Höchstgeschwindigkeit von 160 km/h genutzt werden oder bei zurückhaltendem Einsatz des rechten Fußes für eine Reichweite von 420 Kilometer nach WLTP. Möglich macht dies ein Batteriepaket mit 58 kWh Kapazität (netto - das heißt nutzbare Kapazität). Wahlweise werden auch 45 oder 77 kWh verbaut. Dann liegen die Reichweiten bei 330 und 550 Kilometer nach WLTP.

Wir sind mit dem mittleren 58-kWh-Paket durchaus flott unterwegs. Der Synchronmotor an der Hinterachse schiebt mit 310 Nm Drehmoment an. In weniger als acht Sekunden sprinten wir aus dem Stand auf 100 km/h, und das Schöne daran: Zwischenspurts erfolgen gleichbleibend nachdrücklich. Egal ob bei 30 km/h das Fahrpedal fällt oder bei 80 km/h. Es geht stramm voraus, und der ID.3 hängt gut am Pedal. Erst jenseits von 100 km/h fällt das Temperament aufs Niveau eines Golf VII mit 2.0-Vierzylinder-Verbrennungsmotor zurück.

Einbaulage und Antrieb über die Hinterachse erzeugen ein komplett anderes Fahrverhalten, als wir es vom frontgetriebenen Golf kennen: Das Anfahren erfolgt ohne Traktionsverluste, auch zerren keine Antriebseinflüsse an der Lenkung. Beim Beschleunigen aus engen Kurven heraus bleibt die Lenkung so präzise wie bei gleichmäßiger Fahrt geradeaus. Der ID.3 bleibt bei allen Manövern erfreulich spurtreu. Und noch einen weiteren Vorteil birgt der elektrische Heckmotor: Sein Arbeitsgeräusch ist im Innenraum nicht vernehmbar.

Die im Handling übliche Trägheit von Elektromobilen, die dem hohen Batteriegewicht geschuldet ist, hält sich beim ID.3 erfreulich in Grenzen. Erstens wohnt der Stromspeicher tief im Unterboden, was zu einem niedrigen Fahrzeug-Schwerpunkt führt. Und zweitens liegt das Gesamtfahrzeug mit unter 1,7 Tonnen auf dem Niveau konventioneller Mittelklasse-Pkw. Da kann man nicht meckern!

Der Fahrer kann zwischen zwei Rekuperationsstärken wählen. Während das System im Normalmodus bei entlastetem Fahrpedal nur leicht rekuperiert und der ID.3 nahezu „segelt“, kann der Fahrer im zweiten Modus mehr Bremsverzögerung übers Fahrpedal modulieren. Erst wenn stark verzögert werden muss, springt der Fuß aufs Bremspedal.

Der ID.3 mit mittlerem Akku kann am modernen Gleichstrom-Netz mit 100 kW Ladeleistung bis zu 260 Kilometer Reichweite in 30 Minuten nachladen. An Wechselstrom in der heimischen Garage zieht er nur 11 kW, was beim Laden über Nacht aber kein Problem bereiten sollte.

Mit dem ID.3 möchte Volkswagen der Elektromobilität zunächst in Deutschland und Europa zum Durchbruch verhelfen. Als Einstiegsmodell mit 45-kWh-Akku und 110 kW/150 PS Leistung startet er in der sparsamsten von drei Ausstattungsvarianten als „ID.3 First“ in Deutschland ab 29.999,00 Euro. Preise für Österreich werden später bekannt gegeben.

Wer den ID.3 allerdings als familientaugliches Erstfahrzeug nutzen möchte, mit dem auch mal die Verwandtschaft besucht werden soll und der Campingplatz am Gardasee, der muss für leistungsfähigere Batterien, höhere Fahrleistung und die bessere Ausstattung des „ID.3 First Plus“ deutlich tiefer in die Tasche greifen. Nochmals mehr müssen für den „ID.3 First Max“ überwiesen werden, um das Panaroma-Dach, ein Head-up Display und Car-to-X Informationen nutzen zu können. So könnte der Versuch einer Demokratisierung der Elektromobilität letztlich an Preisschwellen weit jenseits von 40.000 Euro scheitern. Oder Volkswagen schiebt rasch noch einen kleineren ID.2 nach.

Jürgen Zöllter

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(Bild: kmm)



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