„Order In Decline“

Sum 41: Mit Würde und Stil in ein neues Zeitalter

Musik
19.07.2019 07:00

Auf ihrem siebenten Studioalbum zeigen sich die einstigen Pop-Punker Sum 41 so reif, verletzlich, aber auch angriffig und offen wie nie zuvor. Auch wenn nicht jede Songidee klappt, beweisen die Kanadier damit einmal mehr, dass sie von all den Millenniums-Poppunk-Bands die mit Abstand einzigen sind, die in Würde und mit Stil altern können. Das verdanken wir nicht zuletzte auch privaten Krisen von Frontmann Deryck Whibley.

(Bild: kmm)

Etwas mehr als fünf Jahre sind mittlerweile ins Land gezogen, als Sum-41-Frontmann Deryck Whibley seinem überbordenden Alkoholkonsum fast erlegen wäre und nach einer durchzechten Partynacht kurz vor dem drohenden Exitus in ein Krankhaus eingeliefert wurde, um dort einen Monat lang die allerschlimmste seiner vielen schlimmen Phasen zu überstehen. Mitverantwortlich für den persönlichen Abstieg waren Beziehungsprobleme, die schwere Bürde von Reichtum und Ruhm, aber auch aufkommende Rückenprobleme und ein latentes Schmerz- und Taubheitsgefühl in den Füßen, mit dem er bis heute klarkommen muss. Als Whibley am vorläufigen Tiefpunkt angelangt ist, ist er 34 Jahre alt und für mehr als eineinhalb Jahre wusste er noch nicht einmal, ob er körperlich jemals wieder in der Lage sein würde, um auf einer Bühne zu stehen.

Erneute Zäsur
Fünf Jahre später erscheint mit „Order In Decline“ das mittlerweile siebente Studioalbum der kanadischen Punkrocker, die Band füllt US- und europaweit die Hallen, brillierte unlängst auf diversen Sommerfestivals (u.a. auch beim Nova Rock) und hat so viel kompositorisches und kreatives Feuer wie seit den Frühzeiten nicht mehr. Whibley hat sich mit viel Einsatz und Eifer aus seinem persönlichen Sumpf gezogen und sowohl privat als auch beruflich das große Glück im vergänglichen Leben gefunden. Schon das Comebackalbum „13 Voices“ stellte eine Zäsur im Bandkanon dar - und zwar in mehrfachem Sinne. Einerseits verarbeite Whibley darauf die harten Jahre des Niedergangs und Wiedererwachens und auch musikalisch drehte sich die Band deutlich vom lebensbejahenden Pop-Punk der frühen Jahre weg.

Klar, auch „Underclass Hero“ und „Screaming Bloody Murder“ zeigten die Kanadier schon von einer erwachseneren Seite, doch die Wandlung zu einer ernsthaften Alternative-Band mit Punk- und Metal-Charakteristiken vollzog sich erst nach Whibleys persönlicher Läuterung. So ist das brandneue „Order In Decline“ eine in dieser Form erwartete Fortführung des Vorgängers, traut sich musikalisch und auch textlich aber noch weiter aus dem selbstgegrabenen Bunker heraus, um all die Probleme und Gedanken des blondierten Frontmanns mit der Öffentlichkeit zu teilen. Melancholie und Aggression halten sich anno 2019 geschwisterlich die Waage, doch die meiste Zeit versucht die Band ihre Sorgen und Nöte mit durchgedrücktem Gaspedal auszuspeien. Etwa auf der ersten Single-Auskoppelung „Out For Blood“, die mit Doublebass-Einlagen und Old-School-Feeling versucht, die bisherigen Karrierephasen zu verbinden.

Keine Lust auf Protest
Unverkennbar ziehen sich die Iron-Maiden-Anleihen durch diverse Songs, von Whibleys persönlichem Idol Tom Petty hört man naturgemäß wenig. Doch der dient ihm vor allem aufgrund seines ehrlichen und offenen Song- und Textschreibens als Idol. Die gnadenlose Offenheit transportiert der bald 40-Jährige auf „Order In Decline“ auch selbst mit überraschender Abgeklärtheit. Songs über seine Alkoholabhängigkeit, seinen Vater, den er nie getroffen hat und die vielen kleinen und großen Hürden seines aufregenden Lebens ziehen sich als roter Faden durch das vielleicht persönlichste und offenste Werk seiner Karriere. Mit „45 (A Matter Of Time)“ gibt’s auch einen klar politisch orientierten Song, der sich kritisch mit US-Präsident Trump auseinandersetzt. Doch genau in die Richtung wollte Whibley mit dem Gesamtwerk nicht gehen. „Das Album sollte nie ein soziokulturelles oder politisches Protestalbum werden - das wäre das Letzte, was mir dazu eingefallen wäre. Es ist aber nicht einfach, die Dinge nicht anzusprechen, die auf dieser Welt so passieren.“

So ist das Album gleichermaßen ein sanfter Kommentar zur aktuellen Weltlage und menschlicher Verfehlungen, als auch ein reflektierender Spiegel seines bisherigen Daseins. Persönliche und globale Themen verhalten sich in Songs wie „A Death In The Family“ oder „Eat You Alive“ nicht immer kohärent zueinander, doch die Parallelen sind durchaus oft gegeben. Das Changieren zwischen Punk, Rock, Alternative, sanften Balladen und eruptiven Ausbrüchen beweist auch die ungemeine Kreativität, die Whibley und Konsorten in den letzten Jahren verspürten und nun feilbieten. Wenn sich ganz am Ende bei „Cathing Fire“ noch einmal all die Verluste und Verfehlungen Whibleys an die Oberfläche kämpfen, fragt man sich endgültig, wie diese Band einmal „Fat Lip“ oder den „Hell Song“ schreiben konnte. Im Gegensatz zu den beliebigen Blink-182, den redundanten Billy Talent und den konditionell angeschlagenen Offspring sind Sum 41 die einzige Punk-Phalanx für die Millenniums-Teenager, die noch mit Motivation, Würde und in guter Form musizieren. Man kann mit dieser Musik also doch reifen…

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