Experten analysieren

Juni-Hochwasser: Was haben wir daraus gelernt?

Tirol
07.07.2019 12:00
Eine Katastrophe blieb aus, doch Tirol schrammte beim Inn-Hochwasser im Juni knapp daran vorbei. Markus Federspiel (Vorstand der Abteilung Wasserwirtschaft) und der Hydrologe Georg Raffeiner haben sich durch die Datenflut gewühlt, manch Erstaunliches festgestellt und auch einige Lehren daraus gezogen.

Was war aus Expertensicht das Überraschendste? 

Außergewöhnlich ist die extrem lange Dauer der Hochwasserführung: Am Pegel in Innsbruck lag sie von 10. Juni bis 2. Juli nahezu ständig über einem einjährlichen Hochwasser. Die monatliche Abflussfracht ist ein neuer Rekordwert seit 1951 – der Inn führte damit fast doppelt soviel Wasser wie im langjährigen Mittel. Auch die Intensität der Schneeschmelze überstieg bisherige Erfahrungswerte.

 Warum stiegen die Pegel des Inns und mancher Zubringer derart stark an?

 Der heurige schneereiche Winter bildete mit dem deutlich zu kühlen Mai die Voraussetzung. Aus Satellitendaten lässt sich abschätzen, dass rund 50 Prozent des Einzugsgebietes des Inn bis Innsbruck Anfang Juni noch schneebedeckt war. Hochsommerliche Temperaturen führten dann ab 10. Juni zu einem rasanten Anstieg, der sich durch Gewitterniederschläge in den Ötztaler und Stubaier Alpen und im Engadin verschärfte.

 Wo war es am ärgsten?

 Die größten Jährlichkeiten ergeben sich im Bereich ab der Einmündung der Ötztaler Ache in den Inn bis zur Einmündung der Sill: Wir gehen hier für den Hochwasserscheitel in der Nacht von 12. auf 13. Juni von einem HQ50 (Anm.: 50-jährliches Hochwasser) aus, unterhalb von Innsbruck bis zum Ziller von einem HQ20 bis HQ30. Die genaue Festlegung bedarf noch weiterer Analysen.

Ist die Rolle der Niederschläge und jene der Schneeschmelze schon geklärt?

 Die Niederschlagsmengen in den Ötztaler und Stubaier Alpen sowie im Engadin waren für sich nicht außergewöhnlich, doch der Zeitpunkt war sehr ungünstig. Das zeigt auch der Vergleich mit Salzburg, wo die Wasserführung an der Salzach im Vergleich zu Tirol relativ moderat ausfiel. Modellrechnungen zeigen, dass der Abflussscheitel am Inn ohne Niederschläge im Bereich eines HQ 10, also deutlich niedriger, gelegen wäre.

 Was wäre passiert, wenn ein flächendeckender Regen hinzugekommen wäre?

 Hätte es flächendeckend geregnet, hätte das die Lage wesentlich verschärft und wir wären mit einem sehr großen Hochwasser und wahrscheinlich erheblichen Schäden in den gefährdeten Siedlungsgebieten konfrontiert gewesen.

 Welche Siedlungsgebiete wären dann betroffen?

 Die Hochwassergefährdung ist in den Gefahrenzonenplänen dargestellt, die die Überflutungsflächen und Gelben und Roten Zonen zeigen. Bei noch höheren Pegelständen wären demnach im Oberinntal die Gemeinden Zams und Schönwies, im Unterinntal mehrere Gemeinden wie Strass oder Schwaz betroffen.

Die Dimensionen sind für Laien kaum vorstellbar, ein Meteorologe zog einen Vergleich: Am Inn bei Innsbruck flossen im Juni zusätzlich 780 Milliarden Liter Wasser, damit könnte der Wörthersee in Kärnten gefüllt werden.

 Der Vergleich lässt sich aus den vorläufigen Abflussdaten gut nachvollziehen, die Mengen sind enorm.

Gab es so etwas je zuvor?

 Bezogen auf die Tagesmittel nicht. Denn durchschnittlich 1275 m³ pro Sekunde oder 1,275 Millionen Liter pro Sekunde betrug das Tagesmittel des Abflusses am Pegel Innsbruck am 12. Juni 2019. Das ist der höchste Wert seit Beobachtungsbeginn 1951 und auch größer als beim Hochwasser 2005 am 23. August.

 Wie waren diese Tage emotional für den Experten und was haben Sie gelernt?

 Es war jedenfalls atypisch und außergewöhnlich. Unsere Situation war am Beginn sicherlich angespannt. Da die Prognosen vom hydrographischen Dienst aber laufend bestätigt wurden, hat sich die Lage mit der Zeit entspannt. Gelernt haben wir, dass sich unsere Gefahrenzonenpläne in der Realität als korrekt erwiesen haben. Und auch, dass ein Hochwasser sehr lange anhalten kann.

 Glauben Sie, dass das Bewusstsein für einen gemeindeübergreifenden Hochwasserschutz gestiegen ist?

 Situationen wie heuer im Juni rücken das Thema Hochwasserschutz auch bei der breiten Bevölkerung in den Mittelpunkt. Die betroffenen Gemeinden wissen, dass Hochwasserschutz in ihrer Region nur gemeindeübergreifend möglich ist. Aber natürlich geht es auch um die Verteilung der Lasten. Aktuell haben wir drei notwendige Hochwasserschutzprojekte entlang des Inn im Unterland und im Oberland sowie ein Hochwasserschutzprojekt in Zams in Bearbeitung.

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