„Alle sind gleich gut“

Heiße Debatte: Dürfen unsere Kinder noch gewinnen?

Österreich
05.07.2019 06:00

Fußballspiele ohne Tore, Ligen ohne Tabellen, Wettbewerbe ohne Sieger - die Entwicklung im Nachwuchssport nimmt schräge Formen an.

Weg von Noten, Punkten, Toren und Siegen. Die Diskussion darüber, die aktuell auch in Österreich Einzug hält, ist ebenso emotional wie kontroversiell. Kinder-Fußballspiele, bei denen keine Tore gezählt werden, sind im Nachwuchssport keine Seltenheit mehr.

Und auch Tabellen werden in den Kinderligen nach und nach abgeschafft - in Vorarlberg, Tirol, Oberösterreich und im Burgenland werden sie kommende Saison erst ab der Spielklasse U13 geführt. Eine Maßnahme, die laut den Befürwortern zu mehr Spaß und Kreativität führt und den Fokus auf das gemeinsame Erlebnis anstatt auf das Ergebnis richten soll.

Mehr Kreativität oder weniger Motivation?
Doch hält diese Theorie? Oder ist der „Alle sind gleich gut“-Gedanke nicht letztlich ein Killer jeglicher Motivation und allen Ehrgeizes? Laut Jugendforscher Bernhard Heinzlmaier ist es Zweiteres: „Wir wissen aus der Forschung, dass es ein natürliches Bedürfnis von Kindern ist, sich mit anderen zu messen“, sagt der Mitbegründer des Instituts für Jugendkulturforschung in Wien. „Bei Turnieren lernen sie sich selbst einzuschätzen, ihre Stärken und Schwächen kennen. Warum soll es also keine Sieger mehr geben dürfen?“

Zumal sich Kinder spätestens im Jugendalter in der Gesellschaft gnadenlos behaupten müssen - um sich etwa für einen Studienplatz zu qualifizieren, muss man sich meist gegen Hunderte Mitbewerber durchsetzen. „Da ist der Sport die beste Schule“, meint Heinzlmaier.

Im Wiener Fußball gibt es seit vielen Jahren bis zu den Elfjährigen keine Tabellen. WFV-Generalsekretär Christian Schlosser befürwortet diese Handhabung: „Der immense Leistungsdruck führt sonst dazu, dass viele Kinder die Lust am Spiel verlieren. Gerade bei den Kleinen soll es nicht um ,schneller oder besser‘ gehen, sondern um die Freude am Sport!“

Inoffizielle Tabellen sind gang und gäbe
Gleichzeitig gesteht er aber ein: „Wir haben zwar offiziell keine Tabellen, aber natürlich schreiben die Trainer, Vereine und Eltern mit, machen ihre eigenen Ranglisten.“ Wir belügen uns mit der Abschaffung von Siegen und Pokalen also vorrangig selbst. Fragt sich nur, wozu?

„Sonst ist es doch uninteressant“
Der Jugendforscher und Sozialwissenschafter Bernhard Heinzlmaier kann im Interview mit der „Krone“ der Abkehr von Medaillen im Kindersport nichts abgewinnen. Vielmehr bereiten Siege und Niederlagen auf das Erwachsenenleben vor.

„Krone“: Herr Heinzlmaier, machen wir, indem wir Sieger küren, andere zu Außenseitern?
Bernhard Heinzlmaier: Nein, denn schon Kinder wollen wissen, wo sie stehen und was sie können. Gegen ein kultiviertes Konkurrenzdenken spricht nichts. Vielmehr können Kinder im Sport lernen, Konkurrenten und Freunde gleichzeitig zu sein.

Ist der Leistungsdruck für die Kinder zu groß?
Ich halte es für problematisch, im Kindesalter zu sagen: ,Alle sind gleich‘, und mit 16 Jahren müssen es junge Menschen dann plötzlich beherrschen, sich immer und überall durchzusetzen. Zumal es in unserer Gesellschaft permanent Rankings und einen ständigen Wettbewerb gibt. Im Übrigen kann auch gemeinsam zu verlieren neuen Antrieb geben.

Also soll es schon bei den Kleinsten Sieger und Verlierer geben?
Warum nicht? Sonst ist es für die Kinder doch uninteressant. Aber natürlich bedarf es vor allem von den Eltern und den Trainern dabei eines vernünftigen Maßes. Den Nachwuchs anzutreiben oder eigene Erwartungen zu projizieren bringt rein gar nichts.

„Zu viele Messis und Ronaldos“
Nachwuchs-Experte Johannes Uhlig sieht beim Erlernen von Gewinnen und Verlieren die Eltern in der Pflicht. Der Sportliche Leiter des Wiener Fußball-Leistungszentrums (LAZ) ist ein klarer Verfechter von Sieg und Niederlage schon im Nachwuchs. Und weiß: „Oft haben die Eltern und auch manche Trainer weit mehr Probleme mit dem Verlieren als die Kinder.“

„Viele Eltern sind zu sehr aufgezuckert“
Denn die haben das Ergebnis teils wenige Minuten nach dem Schlusspfiff sogar schon vergessen. „Es geht um eine vernünftige sportliche Ausbildung und auch die richtige Interpretation von Ergebnissen“, sagt Uhlig. „Man muss das Verlieren und auch das Gewinnen lernen. Woher sollen die Kinder sonst ein Sieger-Gen bekommen?“ Viele Eltern seien, wenn es um ihr Kind geht, „viel zu sehr aufgezuckert“.

„Das Problem ist, dass viele Papas und Mamas glauben, dass ihr Kind ein kleiner Messi oder Ronaldo ist. Und schuld ist sowieso immer der Trainer, wenn etwas nicht wie gewünscht läuft.“ Deshalb die Empfehlung des Nachwuchs-Experten an die Eltern: „Am besten nicht beim Training zuschauen. Sich auf jeden Fall nicht zu viel einmischen. Bei den Spielen positiv anfeuern, unterstützen. Und ein vernünftiger Umgang mit Sieg und Niederlage.“

Debatte um Völkerball
Jeder kennt Völkerball aus seiner eigenen Schulzeit. Forscher aus Kanada sprachen sich nun in einer Studie dagegen aus, dass das beliebte Ballspiel weiterhin im Sportunterricht gespielt wird. Es sei ein „Mittel der Unterdrückung“ und „legalisiertes Mobbing“. Die Lehrer mögen bitte mehr über die Spiele im Turnunterricht nachdenken und dabei auch auf die schwächeren und stilleren Schüler achten, heißt es in der Untersuchung.

Anja Richter und Alex Hofstetter, Kronen Zeitung

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