Nach Wahlniederlage

Türkei-Experte: „AKP hat Glaubwürdigkeitsproblem“

Ausland
26.06.2019 19:13

Die Niederlage von Präsident Recep Tayyp Erdogan und seiner AKP in Istanbul hat für einen Stimmungswechsel in der Türkei gesorgt. So hat Istanbul mit seinen rund 15 Millionen Einwohnern und dem gesamten Verwaltungsapparat ein hohes Gewicht bei Richtungsentscheidungen im Land. Der klare Sieger der Bürgermeisterwahl ist Oppositionskandidat Ekrem Imamoglu. Einige sehen in ihm schon den nächsten Präsidenten der Türkei. Im Talk mit krone.at analysiert Türkei-Experte und Politologe Kenan Güngör die vergangene Wahl und ihre Auswirkungen und spricht über die Zukunft des Landes und ein mögliches Ende des Systems Erdogan. Das gesamte Interview sehen Sie oben im Video.

„Wer Istanbul verliert, verliert die ganze Türkei“ - das hat Präsident Erdogan vor den Kommunalwahlen am 31. März noch selbst gesagt. Jetzt hat die AKP die Wahl in Istanbul tatsächlich verloren. Mit 45 Prozent der Stimmen landete der Spitzenkandidat der AKP, Binali Yildirim, um neun Punkte hinter dem Oppositionskandidaten Ekrem Imamoglu. „Ich bin selber nicht davon ausgegangen, dass der Unterschied so hoch sein wird“, gibt sich Kenan Güngör überrascht über das Ergebnis.

„Es ging bei der Wahl um zwei große Sachen. Von der Beschaffenheit der Bevölkerung her repräsentiert Istanbul die gesamte Türkei. Zudem ist die Stadt der Wirtschaftsmotor des Landes. Die andere große Sache war, dass dies eine Wahl ,für oder gegen Erdogan‘ war“, so der Türkei-Experte. Hingenommen hat Erdogan die Niederlage durchaus demokratisch: Er gratulierte Imamoglu und akzeptierte die Entscheidung der Wähler, war das doch bereits die zweite Bürgermeisterwahl in Istanbul in diesem Jahr, die er verloren hat. Ende März war die erste Abstimmung annulliert worden, nachdem einem entsprechenden Antrag der AKP, die Wahlbetrug witterte, stattgegeben wurde. 

„AKP hat massives Glaubwürdigkeitsproblem“
Mit Ankara, Antalya und Izmir sind drei weitere bedeutende Städte an die Opposition gegangen. Kenan Güngör sieht damit die finanziellen Ressourcen Erdogans in Gefahr: „Diese Struktur, mit der er seine Medienlandschaft finanziert hat, ist damit nicht mehr so haltbar. Ich gehe auch davon aus, dass wir wieder eine Pluralisierung der Medienlandschaft erleben werden. Gegenwärtig ist es so, dass 90 Prozent der Medien unter der Führung der AKP sind.“ Zudem habe die AKP ein „massives Glaubwürdigkeitsproblem“ und keiner wisse mehr, „wofür die Partei einsteht“. „Einerseits geht die AKP mit Nationalisten in eine Koalition und vergrault die Kurden, andererseits lässt sie den Führer der PKK wieder zu Neutralität vor der Wahl aufrufen. Das hat viele Wähler erschreckt“, so Güngör.

Machtwechsel in der gesamten Türkei?
„Ich glaube, die Anzeichen stehen sehr stark für einen Machtwechsel“ in der gesamten Türkei, so die Prognose des Experten. „Imamoglu hat es geschafft, nicht nur Stimmen aus dem linken und dem nationalistischen Lager zu holen, sondern auch bei den Kurden. Früher war es außerdem so, dass Stimmen von der AKP kaum zu anderen Parteien hinübergewandert sind. Jetzt sind die Berührungsängste nicht mehr so groß, ein Wählerpotenzial von zehn Prozent könnte von der AKP zur Opposition übergehen.“

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