Bundestrojaner & Co.

Überwachungspaket von VP und FP am VfGH-Prüfstand

Web
25.06.2019 14:58

Kritische Fragen zu der von Türkis-Blau als „Sicherheitspaket“ vermarkteten Befugniserweiterung für die Polizei bei der Überwachung der Handykommunikation und via Verkehrskameras hat es am Dienstag in einer öffentlichen Verhandlung im Verfassungsgerichtshof gegeben. Einen Beschluss gab es allerdings noch nicht.

Das türkis-blaue Überwachungspaket hat eine deutliche Ausweitung der Überwachung im öffentlichen und im privaten Bereich gebracht. Die Polizei hat damit Zugriff auf die Videosysteme der Verkehrsbetriebe, Telekom-Betreiber können zur Vorratsdatenspeicherung über einzelne Kunden verpflichtet und die Daten von Autofahrern flächendeckend erfasst werden. Auch staatliche Spionagesoftware wird erlaubt.

„Anlasslose Überwachung“
Beschlossen hat die Regierung die Ausweitung der staatlichen Überwachungsmöglichkeiten im April 2018. Für die NEOS sind die Maßnahmen unverhältnismäßig. Sie sehen bei den von ihnen beanstandeten Maßnahmen Grund- und Freiheitsrechte in Gefahr.
Rechtsanwalt Michael Rohregger, der die NEOS vertritt, warnte davor, dass die durch das Gesetz ermöglichte Streubreite einen großen Teil der Bevölkerung zu anlasslos überwachten Subjekten zu machen drohe.

Österreich solle sich nicht in die Warteschlange jener autoritären Staaten einreihen, die sich bereits heute um chinesische Überwachungstechnologien bemühten. Der Gesetzgeber habe offensichtlich die vom Verfassungsgerichtshof bei seinem Urteil zur Vorratsdatenspeicherung gegebenen Vorgaben nicht berücksichtigt, so der Anwalt.

Referent Christoph Herbst ließ durchaus Verständnis für Rohreggers Argumente erkennen. „Ich stimme darin überein, dass es nicht auf die technischen Möglichkeiten ankommt, sondern darauf, was der Gesetzgeber an technischen Möglichkeiten eröffnet“, sagte Herbst.

Streitpunkt „Bundestrojaner“
Beim Thema „Bundestrojaner“ warnte Rohregger davor, dass der Staat „mit der Brechstange“ anrücke, um an die verschlüsselte Kommunikation Verdächtiger auf ihrem Smartphone oder PC zu gelangen. Was geplant sei, gehe deutlich über das hinaus, was im Rahmen einer Hausdurchsuchung erlaubt sei.

Der „Bundestrojaner“ soll ab 2020 zum Einsatz kommen - und zwar bei Verdacht auf Straftaten, die mit mehr als zehn Jahren Haft bedroht sind (bzw. fünf Jahre, wenn Leib und Leben oder sexuelle Integrität gefährdet sind sowie bei Verdacht auf terroristische Straftaten). Datenschützer kritisieren, dass der Staat damit Sicherheitslücken in Computersystemen ausnützen möchte, die auch von Kriminellen genutzt werden können, anstatt diese Sicherheitslücken zu schließen.

Justiz verweist auf gesetzliche Vorgaben
Für das Justizministerium bestritt Sektionschef Christian Pilnacek dies vehement und verwies auf einschlägige Judikatur des Verfassungsgerichtshofs. Auch den Einklang mit der Rechtsprechung des Europäischen Menschenrechtsgerichtshofs betonte er.

Das Überwachungssystem, das man für WhatsApp und andere Ende-zu-Ende-verschlüsselte Kommunikation brauche, sei noch nicht angekauft. Es müsse sich jedenfalls detailliert an die Vorgaben der gesetzlichen Bestimmungen halten und etwa ausschließlich auf Kommunikationsdaten zugreifen.

Kennzeichenerfassung
Deutlich erweitert haben ÖVP und FPÖ auch die Überwachung von Autofahrern. Neben dem Kennzeichen der Autos dürfen nun auch Marke, Typ und Farbe sowie Informationen zum Lenker automatisch erfasst werden. Die Rechtsanwaltskammer kritisierte in der Begutachtung, dass damit ein flächendeckendes Bewegungsprofil von Verkehrsteilnehmern erstellt werden könnte - und zwar ohne gerichtlichen Rechtsschutz.

Walter Grosinger aus dem Innenministerium wies dies am Dienstag zurück. Der automatisierte Abgleich des erfassten Gesichtsfelds mit Informationen der Behörden sei nicht nur nicht vorgesehen, sondern derzeit technisch auch nicht möglich. Gelöscht würden die Daten automatisiert.

Videoüberwachung ausgeweitet
In der Kritik steht auch die Ausweitung der Videoüberwachung. Die Polizei hat nun Zugriff auf Überwachungskameras von öffentlichen und privaten Einrichtungen, denen ein staatlicher Versorgungsauftrag zukommt (also unter anderem Verkehrsbetriebe, Autobahnen, Flughäfen), wobei auch ein Echtzeit-Zugriff via Livestream vorgesehen ist. Außerdem müssen die Aufnahmen vier Wochen lang gespeichert werden. Die Rechtsanwaltskammer kritisierte diese „verdachtsunabhängige Echtzeitüberwachungsmöglichkeit ohne vorherige richterliche Bewilligung“ als massiven Grundrechtseingriff im öffentlichen Raum.

Weitere Punkte des Überwachungspakets sind unter anderem die verpflichtende Registrierung von Handywertkarten seit Anfang 2019 und eine gesetzliche Regelung für den Einsatz von IMSI-Catchern zur Handy-Überwachung. Diese Geräte verhalten sich gegenüber dem Mobiltelefon wie eine Funkzelle (Basisstation). So ist es möglich, Handys ohne Mitwirkung des jeweiligen Netzbetreibers zu lokalisieren. Gesprächsinhalte sollen nicht abgehört werden, was allerdings Kritiker befürchten.

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