Album „Western Stars“

Bruce Springsteen: Spätes, akustisches Roadmovie

Musik
19.06.2019 07:00

Der „Boss“ meldet sich endlich wieder zurück - und das mit sehr viel Ruhe und Bedacht. Auf seinem brandneuen Studioalbum „Western Stars“ lässt er seiner kultigen E Street Band eine wohlverdiente Pause und zeigt sich kurz vor seinem 70er so sanft, cineastisch und - ja - auch amerikanisch wie nie zuvor. Sein 19. Studioalbum ist ein großer Sprung zurück zu seinen musikalischen Wurzeln.

(Bild: kmm)

Was sollte noch kommen für den populärsten US-Rockstar der Gegenwart? Jahrzehntelang hatte Bruce Springsteen vor Menschenmassen gespielt und 130 Millionen Tonträger verkauft. 2017/18 spielte er mehr als 230 ausverkaufte Shows im Walter Kerr Theatre am Broadway, wo er allein zu Gitarre und Piano über sein Leben sang oder erzählte. Als Verkörperung des „guten Amerikaners“ war er in seinem Element. Jetzt also „Western Stars“, Springsteens 19. Studioalbum seit dem Debüt von 1973, das erste seit „High Hopes“ vor fünf Jahren. Es ist eine Platte, wie es sie im Gesamtwerk des mittlerweile 69 Jahre alten Singer-Songwriters noch nicht gegeben hat - erstaunlich genug für einen weltweit unfassbar erfolgreichen Künstler, der es sich mit seinem Trademark-Sound längst bequem machen könnte.

Rückkehr zum Ursprung
Dieses typische Klangbild prägte bekanntlich seit Springsteens Durchbruch mit „Born To Run“ (1975) die fantastische E Street Band - sie fehlt auf „Western Stars“, und man vermisst sie nicht. Denn die neuen Lieder des amerikanischsten aller amerikanischen Pop-Helden sind eine ganz andere, stillere Welt, in der eine kraftstrotzende Rock-Maschine nur Schaden angerichtet hätte. „Diese Platte ist eine Rückkehr zu meinen Solo-Aufnahmen, mit Songs voller Charakterstudien und üppiger, cineastischer Orchester-Arrangements“, sagte Springsteen kürzlich dem „Rolling Stone“ über die bevorstehende Veröffentlichung. Und er fügte hinzu: „Es ist eine Schatztruhe.“ Touché - beides stimmt.

Schon früher hatte der seit Ewigkeiten von seinen Verehrern „The Boss“ genannte Sänger und Gitarrist angedeutet, er habe diesmal ein Album aufgenommen, das auf klassischen Westcoast-Pop und Folk der 60er/70er-Jahre verweise. „Glen Campbell, Jimmy Webb, Burt Bacharach - solche Platten. Ich weiß nicht, ob die Leute diese Einflüsse raushören, aber das hatte ich im Hinterkopf.“ Es ehrt Springsteen, dass er Inspirationen seiner neuen Songs nennt - oft tun Superstars ja so, als würden sie das Rad stets neu erfinden. Das könnte der 20-fache Grammy-Gewinner und Oscar-Preisträger („Streets Of Philadelphia“) tatsächlich schon für die erste Single „Hello Sunshine“ nicht behaupten: Eine ganz unverblümte Hommage an „Everybody‘s Talkin‘“, im Original von Fred Neil, berühmt in der Version von Harry Nilsson (1969).

Großer Geschichtenerzähler
So eindeutig wie bei „Hello Sunshine“, dieser federleichten und zugleich melancholischen Weltflucht in die Sonne, wird die Zuordnung anderer Stücke dann nicht mehr. Es ist durchweg opulent instrumentierte Musik, die heitere oder wehmütige Stimmungen transportiert - und in ihren Texten typische Springsteen-Fragen stellt: Wie war diese Reise namens Leben bisher, wo führt sie mich noch hin, wer hat mich begleitet, wer wird es künftig tun? Neben solcher Selbstbespiegelung versetzt sich Springsteen in fiktive Figuren. Auffällig oft für einen Mann, der seit fast 30 Jahren in einer offenkundig glücklichen Ehe mit der Sängerin Patti Scialfa lebt, geht es um vergangene, verlorene Liebe. Autobiografisch muss das nicht sein - der „Boss“ ist eben auch ein großer Storyteller. Die Politik lässt der oft kämpferisch linksliberale Patriot und Chronist des US-Alltags indes außen vor - als wolle er dem verachteten Präsidenten Donald Trump keinerlei Platz einräumen in seinen hemmungslos prunkvollen Liedern.

Ja, es gibt Songs auf „Western Stars“, die fast körperlich weh tun mit ihrem perfekten Wohlklang, den der Sänger Springsteen diesmal besonders feinfühlig begleitet. „The Wayfarer“ etwa ist ein Meisterstück - eines der besten Lieder in der Karriere des Mannes aus New Jersey. Oder der Titelsong, ein akustisches Road-Movie (wie einige andere der 13 Lieder auch). Oder „Drive Fast (The Stuntman)“. Oder die abschließende, zum Niederknien schöne Ballade „Moonlight Motel“. Ganz großes Kino, hier passt das mal. Zum Glück machen Springsteen und seine mehr als 30 Mitstreiter - darunter Patti Scialfa, Produzent Ron Aniello, Pianist David Sancious, Schlagzeuger Matt Chamberlain und das Studio-Genie Jon Brion - immer knapp vor der Kitschgrenze halt. Selbst weinende Pedal-Steel-Gitarren und säuselnde Streicher nerven nicht - sie gehören einfach rein in dieses gewaltige Americana-Epos.

Alles ist möglich
Ein solches Album auf die Bühne zu bringen scheint unmöglich - Bruce Springsteen hat daher auch bisher keine „Western Stars“-Tournee angekündigt. Stattdessen sprach er vor kurzem von einer fast fertigen Platte mit der E Street Band und gemeinsamen Gigs womöglich im nächsten Jahr. Dann wäre er 70 und müsste wieder in Fußballstadien den Rock-Berserker geben. Passt das noch, nach den intimen Theater-Auftritten des Vorjahres und der aktuellen Troubadour-Platte? Wenn einer sowas hinbekommen kann, dann wohl „The Boss“. Das meint auch Professor Udo Dahmen, Direktor der Mannheimer Popakademie, im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur: „Ich glaube, das ist eine gute Entscheidung. Viele Künstler im fortgeschrittenen Alter neigen dazu, sich auf ihre Roots zu besinnen. Die E Street Band ist ja über Jahrzehnte hinweg seine Band gewesen - bei Bruce Springsteen ist das also auch ein Comeback zu seinen Ursprüngen.“

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