Politchaos in Moldau

Verfassungsgericht enthebt Staatschef seines Amtes

Ausland
09.06.2019 11:45

In der Republik Moldau hat das Verfassungsgericht am Sonntag den prorussischen Staatspräsidenten Igor Dodon vom Amt suspendiert, die aus der Parlamentswahl von Ende Februar hervorgegangene Legislative für aufgelöst erklärt und umgehende Neuwahlen in Aussicht gestellt.

Das Verfassungsgericht war, wie schon am Vortag, von den bisher regierenden Demokraten (PDM) des umstrittenen Oligarchen Vlad Plahotniuc angerufen worden, die eine Machtübergabe verweigern, einen „Putsch“ beklagen und die Bevölkerung zu Straßenprotesten aufrufen.

Das moldauische Verfassungsgericht gilt in seiner aktuellen Besetzung als dem „starken Mann“ des Landes, dem Oligarchen Plahotniuc, völlig hörig, nachdem in den letzten Monaten fast alle der sechs moldauischen Verfassungshüter der Reihe nach überraschend - angeblich aus gesundheitlichen Gründen - zurückgetreten und bei der Nachbesetzung ausschließlich dem Oligarchen nahestehende Politiker bevorzugt worden waren.

Schon am Samstag hatte das Verfassungsgericht die neue Exekutive und Legislative in Chisinau nach Strich und Faden bekämpft: Es erklärte alle Beschlüsse und Normativakte des Parlaments und der neuen Koalitionsregierung zwischen den aus der Parlamentswahl als stärkste Kraft hervorgegangenen Sozialisten (PSRM) und dem proeuropäischen Wahlbündnis ACUM „ab initio“ („von Anfang an“) für nichtig.

„Untergrabung der Staatsmacht“
Weder Staatschef Dodon noch das Parlament ließen sich indes von den Urteilen des Verfassungsgerichts einschüchtern: Die moldauische Legislative verabschiedete eine präzedenzlose Entschließung, in der sie ihr eigenes Land zum „captive state“ vereinnahmten Staat erklärte und den Verfassungsrichtern das „Misstrauen“ aussprach. Sozialistische und proeuropäische Abgeordnete warfen dem Verfassungsgericht „Untergrabung der Staatsmacht“ vor und kündigten an, wegen dessen „willkürlichen Urteilen“ den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) und wegen des Politchaos im Land den UNO-Sicherheitsrat anrufen zu wollen.

Das Parlament stimmte am späten Samstagabend zudem für die sofortige Entlassung des bisherigen Leiters der Antikorruptionsbehörde, Bogdan Zumbreanu, wegen „krasser Untätigkeit“ sowie des Chefs des Inlandsgeheimdiestes, Vasile Botnari. Bei der außerordentlichen Parlamentssitzung waren die Botschafter der EU, Russlands und der USA zugegen.

In ihrer ersten Ansprache als Regierungschefin sagte die proeuropäische Spitzenpolitikerin Maia Sandu: „Der Diktator ist gefallen, ab heute hat das oligarchische Regime ein Ende.“ Sandu forderte die nunmehr oppositionellen Demokraten (PDM) von Plahotniuc zur „friedlichen Machtübergabe“ auf, was Letztere jedoch dezidiert ablehnen: Der demokratische Ex-Regierungschef Pavel Filip kündigte Sonntagfrüh an, laut Befund des Verfassungsgerichts immer noch Ministerpräsident zu sein und als solcher Neuwahlen für den 6. September anzusetzen.

Demokratische Partie rief zu Protesten auf
Die Demokratische Partei rief zu massiven Straßenprotesten auf und ließ Tausende Anhänger mit Bussen in die Hauptstadt bringen. Der neue, proeuropäische, Vizepremier- und Innenminister Andrei Nastase sagte daraufhin, die Demokraten seien „offenkundig gewillt, das ganze Land abzufackeln, bloß um Plahotniuc zu retten“. Auch Staatspräsident Dodon sagte seinerseits, dass die „Demokraten allem Anschein eine friedliche Machtübergabe ausschließen“.

Der Botschafter der EU in Chisinau, Peter Michalko, verlautbarte in einer ersten Stellungnahme, dass „demokratisch gewählte Abgeordnete“ berechtigt seien, Lösungen zu finden und die politische Zukunft ihres Landes zu bestimmen. Die Europäische Volkspartei bezeichnete die Vorgänge in Moldau als „historisch“, die Republik habe nun die wohlverdiente Gelegenheit, sich „aus einem vereinnahmten Staat in eine Demokratie“ zu verwandeln, so EVP-Chef Joseph Daul.

In Rumänien forderte Staatschef Klaus Johannis am Sonntag alle politischen Kräfte des Nachbarlandes auf, „ruhig Blut zu bewahren und Demokratie und Rechtsstaatlichkeit unter allen Umständen zu respektieren“.

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