Live in der Stadthalle

Eric Clapton: Der weise alte Mann des Blues

Musik
07.06.2019 00:33
(Bild: kmm)

Treue Fans, die sich die Kritiken seines zwei Tage zuvor über die Bühne gegangenen Berlin-Konzerts durchgelesen haben, müssen im Vorfeld erschüttert gewesen sein. Fast unisono war sich die Presse im Nachbarland darüber einig, dass Kultgitarrist Eric Clapton lieber die Pension antreten sollte, anstatt sich den überteuerten und lustlosen Shows hinzugeben. Fürwahr - Eintrittspreise, die von rund 170 bis weit über 200 Euro gehen, sind sogar für heutige Zeiten gewagt, doch „Mr. Slowhand“ weiß auch noch mit 74 zu begeistern und lockt fünf Jahre nach seinem letzten Wien-Stelldichein erneut an die 11.000 Fans in die Stadthalle. Dass er eigentlich nicht mehr touren will, hat er zwar schon vor sieben Jahren das erste Mal gesagt, in den Fingern juckt es den 17-fachen Grammy-Gewinner dann aber doch alle Jahre wieder.

Erfolg durch Schmerz
Große Sensationen in der Setlist sind ebensowenig zu erwarten wie ausufernde Effekte. Doch Clapton hat im Gegensatz zu seinem letzten Wien-Auftritt das Zepter sofort in der Hand und weiß schon mit dem Opener „Pretending“ qualitativ zu überzeugen. Die graue Mähne ist noch immer wallend, das obligatorische Jeanshemd darf nicht fehlen und würde er seine Stratocaster nicht mit atemberaubender Virtuosität bespielen, man würde ihm gerne einen Aufsatz über das Leben und Wirken von James Joyce in Englischer Literatur auf den Schreibtisch werfen. Wiewohl - an englische Literatur gemahnen auch manche seiner Texte. Die allerbesten entstanden bei Clapton stets in den Momenten des größten Schmerzes. Etwa das heute mit einem Reggae-Vibe versehene Kultstück „Tears In Heaven“, geschrieben für seinen damals vierjährigen Sohn, der in Manhattan aus dem Fenster fiel und verstarb. Noch heute leidet Clapton beim Singen mit jeder Phase seines Körpers mit. Den Top-Hit „Layla“ schießt er direkt nach - auch hier geht es um privaten Schmerz und Seelenpein.

Dass die Show partiell nicht zu einer Trauerveranstaltung kippt, liegt auch an seinen exzellenten Mitmusikern. Besonders hervor tut sich einmal mehr Pianist Chris Stainton, dem auch zahlreiche Soloeinsatze zugebilligt werden und der mühelos mit dem Rhythmus des Chefs mithalten kann. Neben seiner fünfköpfigen Band vertraut Clapton auf zwei Background-Sängerinnen, die ihm mit ihrem feinen Timbre in den richtigen Moment wirkungsvolle Kraft zuwerfen. Natürlich ist der Brite ein Weltstar, nicht umsonst einer der sicher fünf wichtigsten und besten Gitarristen der Blues- und Rockgeschichte, aber in derart großen, unpersönlichen Hallen fehlt dann doch die gewisse Nähe, nach der der erdige Blues zeit seines Lebens verlangt. Die Lichteffekte hinten auf der Bühnenwand wirken in ihrer bemühten Einfachheit auch etwas heuchlerisch, denn die Opulenz einer Hallen-Show kann man noch nicht einmal mit Bemühen verdunsten lassen. Teilweise sehen die in schillernden Farben aufleuchtenden Beleuchtungsquader fast wie die Automaten aus, aus denen man sich neben dem örtlichen Friedhof die Grablichter fischt.

Geschichtenerzählung
Mit einem dieses Mal famosen Sound sind es gar nicht die berühmten Cover-Gassenhauer wie „I’m Your Hoochie Coochie Man“ oder „I Shot The Sheriff“, die prägend in Erinnerung bleiben, sondern sanftmütige Momente in seinem fünf Songs langen Akustikteil, den Clapton sitzend präsentiert. So verwandelt sich etwa „Running On Faith“ zu einer wundervollen Blues-Gospel-Mischkulanz und brilliert die Band beim „Driftin‘ Blues“ mit gekonntem Wechselspiel, während sich der Großmeister vornehm zurückhält. Die Kameras zu den zwei großen Videoleinwänden, durch die auch in den letzten Reihen für ein Konzertvergnügen gesorgt ist, zoomen immer wieder auf die großartige Band, bleiben die meiste Zeit aber beim Griffbrett Claptons stehen. Die ständigen Nahaufnahmen auf die magischen Finger des Briten haben etwas Romantisch-Nostalgisches an sich und unterstreichen deutlich, dass hier kein Platz für Pomp und Trara ist, weil die Musik selbst immer noch die schönsten Geschichten erzählt.

Wie falsch die gewohnte Bezeichnung „Mr. Slowhand“ sein kann, beweist direkt danach ein ungemein energisch dargebotenes „Tearing Us Apart“, bei dem der große alte weiße Mann des Blues noch einmal ordentlich aufs Gaspedal drückt, bevor er mit „Holy Mother“ den überraschenden Höhepunkt des Abends erreicht. Mit einer sentimentalen Inbrunst der Sonderklasse singt sich Clapton hier freudvoll in andere Sphären und lässt sogar kurz vergessen, dass er in erster Linie begnadeter Gitarrist und nicht etwa Frontmann ist. Programmatisch passend auch die Songzeile „when my hands no longer play, my voice is still, I fade away“. In all der Schwere, die in dieser semibiografischen Passage mitschwingt, erkennt man trotz allem die befriedigende Glückseligkeit, die er im letzten Drittel eines alles andere als friktionsfreien Daseins erlebt. Der „Cross Road Blues“ bringt dann noch etwas Leichtigkeit zurück, wohingegen das von Fans geliebte „Cocaine“ die aufgebaute Atmosphäre eher ruiniert. Mr. Clapton hat mit diesem Auftritt dennoch die unbändige Hoffnung auf ein Wiedersehen genährt. Pensionsreif ist der mild gewordene Grantler noch lange nicht.

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