„Krone“-Analyse

Wie die SPÖ aus der Krise finden kann

Österreich
07.06.2019 06:00

Da platzt die Regierung, weil sich ein besoffener Ex-Vize auf Ibiza zum Kasperl machte. Doch ausgerechnet die größte Oppositionspartei rutscht in eine Krise, was auf ziemliches Antitalent schließen lässt - eine „Krone“-Analyse. Im Video oben sehen Sie Michael Ludwig nach der SPÖ-Krisensitzung am Donnerstag. 

1) Warum soll jemand die SPÖ wählen? Die Sozialdemokraten beschränken sich in ihrer Antwort darauf, wie schlecht ÖVP und FPÖ seien. Doch wer hier zustimmt, muss nicht im Umkehrschluss die Roten besser finden. Das ist Wunschdenken und keine Logik, weil sich ja auch NEOS und Grüne als Alternative anbieten.

Bei der Abwanderung von enttäuschten Wählern der FPÖ zur ÖVP schauen Pamela Rendi-Wagner und Genossen sowieso nur ratlos zu. Ohne dieser Gruppe - in der EU-Wahl auf die Nationalratswahl bezogen waren das mehr als 100.000 Stimmen - konkret genug zu sagen, was für sie bei einem Kreuzchen für die SPÖ im Leben besser würde.

2) Wann hat die SPÖ in einem Aktions-Reaktions-Schema der öffentlichen Diskussion zuletzt die Initiative ergriffen? Man hat meist erst im Nachhinein Regierungsmaßnahmen angegriffen. Und warum hat keiner Tage vor dem Wahlsonntag in EU-ropa erklärt, dass die SPÖ dem damaligen Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) inhaltlich wegen des Zwölfstundentages und des Umsturzes bei den Krankenkassen misstraut?

Warum hat niemand eine Rücknahme dieser Gesetze als Preis für einen Verzicht auf den Misstrauensbeschluss verlangt? Warum haben Sozialdemokraten medial nicht ständig Beispiele von Menschen parat, für die sich infolge des Arbeitszeitgesetzes oder im Krankheitsfall etwas verschlechtert? Zur Erinnerung: Rendi-Wagner ist Ärztin.

3) Wie hat sich die SPÖ als Traditionspartei überhaupt auf Veränderungen eingestellt? Kurz hat aus der ÖVP eine Bewegung als „neue Volkspartei“ gemacht. Die FPÖ baute sich im Internet eine Parallelwelt auf. Ja, beides ist mehr Kommunikationsgag als thematischer Tiefgang. Doch seitens der SPÖ im Stil einer Funktionärstruppe aufzutreten, als wäre man noch in Bruno Kreiskys 70er-Jahren des vorigen Jahrhunderts, das ist keine Alternative.

Würden im Herbst nur Unter-30-Jährige zur Wahl gehen, landet die SPÖ wahrscheinlich auf dem vierten Platz mit weit unter 20 Prozent der Stimmen. Genauso ist sie bei den Stimmen der Angestellten - von ihnen gibt es viel mehr als Arbeiter - womöglich Dritter oder Vierter. Wer die Pensionisten als letzte Wählerbastion hat, steht nicht für Erneuerung. Zudem wird die alte bis uralte Stammwählerschaft naturgemäß Jahr für Jahr kleiner.

4) Was kann die SPÖ tun? Fast gar nichts. Ein Umfragerückstand von 15 und mehr Prozentpunkten ist in wenigen Monaten Wahlkampf normalerweise nicht aufholbar.

Bloß theoretisch hätte die SPÖ einen Ausweg: Der Neuwahlantrag für September muss wie jedes andere Gesetz eine parlamentarische Mehrheit finden. Stimmen SPÖ und FPÖ dagegen, bleibt es beim plangemäßen Wahltermin im Herbst 2022. Das Durchstehen der vorübergehenden Empörung könnte Rendi-Wagner sich bei Wolfgang Schüssel 1999/2000 abschauen, der sich als Drittplatzierter einer Wahl zum Kanzler taktierte.

Warum dieser rote Weg nicht gangbar ist? Weil er sowohl demokratiepolitisch übel als auch nicht umsetzbar wäre. Einerseits trauen einander Sozialdemokraten und Freiheitliche zu wenig über den Weg, um das gemeinsam zu tun. Andererseits würden Landesorganisationen der SPÖ in ihren Wahlen abgestraft. Michael Ludwig in Wien und Hans-Peter Doskozil im Burgenland wären also wieder einmal gegen Rendi-Wagner.

Zudem kann der Bundespräsident auf Vorschlag der Regierung den Nationalrat auflösen und Neuwahlen erzwingen. Es bleibt der SPÖ daher nichts anderes übrig als sich inhaltlich großteils neu auszurichten, strukturell alles Bisherige infrage zu stellen und kommunikativ eine umgekrempelte Strategie zu fahren. Frau Rendi-Wagner wird hier zu Unrecht für alles kritisiert. Denn ist die Partei bereit, alteingefahrene Wege zu verlassen?

Peter Filzmaier, Kronen Zeitung

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