Kilokrise & Zuckerlüge

Wie die Lebensmittelindustrie uns manipuliert

Fitness
18.08.2020 19:58

Robert Lustig kennt sich aus in der Ernährungsmedizin. Er ist Experte auf dem Gebiet der Neuroendokrinologie, Kinderarzt und hat sich voll und ganz dem Kampf gegen Zucker und damit verbundenen Krankheiten - wie Diabetes, Übergewicht und Co. - verschrieben. Lustig ist davon überzeugt: Lebensmittelkonzerne machen sich die Beeinflussung biochemischer Prozesse aktiv zunutze - mit gezielter Werbung manipulieren sie Bedürfnisse und „beeinflussen unser Empfinden von Glück“. Das wichtigste „Helferlein“ dieser milliardenträchtigen, gigantischen Maschinerie: Zucker!

Wir essen zu viel. Nicht nur in Österreich, auf allen Kontinenten ist Fettleibigkeit auf dem Vormarsch. In den USA ist bereits jedes vierte Kind adipös, 41 Millionen Kinder unter fünf Jahren sind weltweit zu dick, dazu eine zunehmende, alarmierende Anzahl erst sechs Monate alter Babys, warnt die WHO. Der Prozentsatz fettleibiger Menschen hat sich in den letzten 28 Jahren verdoppelt, selbst Menschen in Entwicklungsländern sind fettleibig. „Nach einem einzigen Jahrzehnt gibt es nun weltweit 30 Prozent mehr adipöse als unterernährte Menschen ... Die Menschen sterben früher, und die Volkswirtschaften verlieren Milliarden Dollar aufgrund der eingeschränkten Produktivität, während die Regierung für die Gesundheitskosten aufkommt. Millionen Menschen geraten in Armut, sodass dieser Teufelskreis nicht unterbrochen werden kann“, beschreibt Robert Lustig, Autor von „Die bittere Wahrheit über Zucker“, „Brainwashed“ oder auch „Pur, weiß, tödlich: Warum Zucker uns umbringt“, das Szenario.

Wer trägt Schuld an der „Kilo-Krise“?
Es ist ein ewiger Kreislauf. Lebensmittelkonzerne schieben die Verantwortung auf PC und Videospiele, die Fernsehindustrie sieht die Ursache für den Kilo-Frust in ungesunder Ernährung. Schulen beschuldigen Eltern, Eltern wiederum die Schulen, etc. Niemand will schuld sein. Und da nichts geklärt ist, wird auch nichts getan. So werden wir immer dicker - und immer kränker, so Lustig.

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Gesundheitliche Katastrophe ist „überwältigend“
„Wenn wir fetter werden, werden wir auch kränker. Unsere Krankheitsanfälligkeit steigt dabei schneller, als die Fettleibigkeit zunimmt. Die Menge an Stoffwechselkrankheiten, die als metabolisches Syndrom bezeichnet wird und Erkrankungen wie Adipositas, Typ-2-Diabetes, Bluthochdruck, Fettstoffwechselstörungen und Herz-Kreislauf-Erkrankungen umfasst, wächst rasant an. Außerdem gibt es noch andere Stoffwechselkrankheiten, die mit Fettleibigkeit einhergehen, wie die nichtalkoholische Fettleber, Nierenleiden und das polyzystische Ovarsyndrom. Hinzu kommen die anderen Begleiterkrankungen der Adipositas wie orthopädische Probleme, Schlafapnoe, Gallensteine und Depressionen. Die gesundheitliche Katastrophe, die aus der Fettleibigkeitspandemie folgt, ist überwältigend. Die Häufigkeit jeder einzelner dieser Krankheiten hat in den vergangenen 30 Jahren zugenommen.“

„Der Produktivitätsverlust durch Krankheitstage ist hoch, die Gesundheitskosten explodieren: Im Jahr 2011 beliefen sie sich in Deutschland auf über 290 Milliarden Euro, das sind 11,3 Prozent des Bruttoinlandsproduktes. Davon sind Schätzungen zufolge etwa zehn Milliarden Euro adipositasbedingt. Stellen Sie sich das einmal vor! Es gibt einfach nicht genügend Geld, um all das zu bezahlen.“

Von Insulinresistenz, Leberfett und Diabetes
Und doch: „Dünn zu sein, ist kein Schutz vor Stoffwechselkrankheiten oder einem frühen Tod. Bis zu 40 Prozent der Normalgewichtigen leiden an einer Insulinresistenz - einem Anzeichen für chronische Stoffwechselkrankheiten -, die wahrscheinlich ihre Lebenserwartung verkürzen wird. Bei 20 Prozent dieser Personen kann man bei einer Kernspintomografie des Bauchs Leberfett erkennen. Es hat sich gezeigt, dass Leberfett ungeachtet des Körperfetts ein großer Risikofaktor für die Entwicklung eines Diabetes ist. Sie denken, Ihnen könne nichts passieren? Da sind Sie auf dem Holzweg! Und Sie wissen es noch nicht einmal.“ Trotzdem ist Fett aber nicht unser Schicksal, so Lustig - sofern wir nicht kapitulieren: „Menschen sterben nicht direkt an Adipositas. Sie sterben aufgrund dessen, was mit ihren Organen passiert.“

Der kleine, feine Unterschied
Auf dem Totenschein vermerkt der Gerichtsmediziner oder Arzt in den seltensten Fällen „Adipositas“, sondern „Herzinfakt“, „Herzversagen“, „Schlaganfall“, „Diabetes“, „Krebs“, „Demenz“ oder „Leberzirrhose“. Das sind die Krankheiten, die mit Fettleibigkeit einhergehen. Es handelt sich bei allen um chronische Stoffwechselkrankheiten. Doch auch normalgewichtige Menschen sterben an ihnen ... Es ist das metabolische Syndrom, das Sie umbringt. Diesen Unterschied zu verstehen, ist ganz entscheidend für die Verbesserung Ihrer Gesundheit, unabhängig von Ihrer Leibesfülle.

Eines der größten Probleme auf unserem Teller: Zucker, Stress (Cortisol), emotionales Essen. Ersteres seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts ein Problem. Doch obwohl hinlänglich bekannt ist, dass Zucker - in Form von Süßigkeiten, Softdrinks und Co. - antrieblos, müde, abhängig - im schlimmsten Fall sogar depressiv und krank - macht, ist Zucker - bzwl. Glucose - unverzichtbarer Bestandteil in der Lebensmittelbranche - ob Softdrinks, Fertiggerichten, Smoothies oder Backwaren.

Zucker: Was sagt unsere Gesundheit dazu?

  • Zucker macht süß: Bekanntlich ist unsere Zunge in der Lage, fünf Geschmacksrichtungen zu unterscheiden. “Zucker überdeckt die Mängel der Nahrung und lässt weniger leckere Nahrung essenswert erscheinen. Fazit: Mit ausreichend Zucker können Sie fast alles gut schmecken lassen.“
  • Zucker und Bräunung: Alle Lebensmittel bräunen mit Zucker besser - während der Gaumen jubelt, freuen sich die Aterien darüber weniger.
  • Zucker verleiht Konsistenz: Torte, Waffeln, Brot oder Kuchen ohne Zucker? Undenkbar. Zudem verleiht Zucker Lebensmitteln Dichte.
  • Zucker stoppt das Verderben und dient der Befeuchtung, also der Fähigkeit, Wasser zu halten. So schmeckt ein Laib Brot voller Ballaststoffe aus der Bäckerei nach zwei Tagen altbacken, ein Laib aus dem Supermarkt hingegen zwei bis drei Wochen. Das reduziert Abfallmenge und Wertverlust und erhöht den Profit.

Zucker ist der preiswerteste Kick
Lustig: "Zucker ist nun mal die am preiswerteste aller uns zur Verfügung stehenden Suchtstoffe. Im Grunde passiert bei all diesen Substanzen immer das Gleiche. Sie sorgen dafür, dass Dopamin ausgeschüttet wird, was das Belohnungssystem aktiviert und somit den Konsum anregt. Im Extremfall kann jedoch alles, was das Belohnungssystem anregt, Sucht auslösen ... Für den Verkauf von Alkohol und Nikotin gilt eine Altersbeschränkung. Doch Zucker gibt es schon für unter einen Euro - oder man bittet einfach Oma.

Krankheitsbilder von Alkoholkranken bei Kindern
Zucker ist der preiswerteste Kick, so Lustig in „Brainwashed“. „Zucker macht süchtig. Und zwar aus den gleichen Gründen und mithilfe der gleichen Mechanismen wie Alkohol. Zucker ist kein Lebensmittel, sondern ein Lebensmittelzusatz, so wie Alkohol auch ... Das ist der Grund, wieso Kinder Krankheitsbilder von Alkoholkranken entwickeln - Diabetes Typ 2 und Fettleber. Ja, das richtet Zucker im menschlichen Körper an. Außerdem wirkt er stark auf das Belohnungssystem.“

Das Geheimnis für ein glückliches Leben
„Es ist wissenschaftlich erwiesen: Industriell verarbeitete Lebensmittel haben Suchtpotenzial, können tiefunglücklich machen und letztendlich tödlich sein. Industriell verarbeiteten Lebensmitteln kann man nicht entkommen, denn sie sind immer und überall. Trotzdem gibt es eine Lösung, aber Sie müssen Sie sich immer vor Augen halten. Sie haben Ihr Schicksal und selbst in der Hand! Aufgrund der wissenschaftlichen Erkenntnisse aus diesem Buch verrate ich Ihnen nun das Geheimnis für ein glückliches Leben: Kochen Sie selbst! Für sich, für Ihre Freunde und für Ihre Familie!“

Die tägliche Einkaufsliste sollte sich an folgende simple Vorgaben halten, so Lustig:

  • Wenig Zucker
  • Viele Ballaststoffe
  • Wenig Omega-6-Fette
  • Wenig gehärtete Fette

Außerdem empfiehlt der Ernährungsmediziner folgendes:

  • Halten Sie sich von Fastfoodrestaurants fern. Passen Sie bei allen abgepackten Produkten auf, selbst bei jenen aus Bioproduktion. Bestellen Sie in Restaurants und Cafes immer auch etwas, das etwas Grünes enthält.
  • Kaufen Sie nichts, was Sie im Stehen essen können, denn dann denken Sie nicht über Ihre Nahrung nach.
  • Jede Speise sollte eine Eiweißsorte enthalten. Kaufen Sie keine Backwaren, die in erster Linie aus Zucker, Kohlenhydraten und Fett bestehen. 
  • Lassen Sie Mixgetränke und Smoothies im Regal stehen!

Etiketten sollen unser Gewissen beruhigen
Ein Keks, so Lustig, besteht aus 30 Prozent Mehl, 30 Prozent Fett, 30 Prozent Zucker und ca. sechs Prozent Eiweiß. „Das ist die ultimative Michung von Fett und Kohlenhydraten in einem Nahrungsmittel ... Ein Keks ist eine Köstlichkeit. Doch wollen wir wetten, dass Sie nicht nur einen essen können, da Zucker süchtig macht - und Zucker plus Fett umso mehr ... Die Lebensmittelindustrie sagt, dass sie nicht verstehe, was all der Wirbel überhaupt solle. Zucker gebe es schließlich schon seit Tausenden von Jahren. Zucker ist eine Energiequelle. Zucker ist ein ‘natürlicher‘ Bestandteil unserer Ernährung. Stimmt, aber all das ist im Hinblick auf unsere Gesundheit irrelevant“, so Lustig. Fastfood- und Getränkekonzerne sponsern Sportmannschaften und -ereignisse, Spendenläufe und andere Aktivitäten, die sich durch sportliche Bewegung auszeichnen, um „sich reinzuwaschen und über den Umgang mit Zucker hinwegzutäuschen“. Mit Etiketten wie „Vollwert“, „natürlich“ und „extra viele Nährstoffe“ soll zudem unser schlechtes Gewissen mit industriell verarbeiteten Produkten beruhigt werden.

„Kämpfe auf dem Ernährungsspielplatz“ - fünf Regeln für den Einkauf
Die Kontrolle des Nahrungsumfeldes ist also das A und O, um richtige Entscheidungen im Ernährungsdschungel treffen zu können. Doch wie bewegt man sich in diesem Minenfeld?

  1. Gehen Sie nicht hungrig einkaufen
  2. Ziehen Sie die äußeren Gänge des Supermarktes vor. Je “tiefer“ Sie ins Innere eindringen, desto weniger empfehlenswerte Produkte stellen sich Ihnen in den Weg.
  3. Je mehr auf einem Nährwertangabenetikett steht, desto mehr Müll enthält das Produkt, das Sie kaufen.
  4. Echte Nahrung verdirbt. “Wenn Bakterien etwas verdauen können, bedeutet das, “dass Sie es auch können“, so Lustig. Der Verzehr solcher Lebensmittel bedeutet gleichzeitig auch die Erhöhung von Ballaststoffen und Mikronährstoffen und reduziert Transfette, ist aber meist auch etwas teurer.
  5. Finden Sie versteckten Zucker. Zucker hat viele Namen. Nur einige Beispiele: Agavendicksaft, Ahornsirup, Glukose, Gerstenmalz, Buttersirup, Dextrose, Dextran, Fein-, Milch-, Frucht-, Palmzucker, Melasse, Maltose, Laktose, Glaktose, Fruchtsaft, Stärkesirup bzw. -zucker, Traubenzucker oder Karamell.

Essen ist Ernährung
„Essen ist nicht dasselbe wie Tabak, Alkohol oder Drogen. Essen ist Ernährung. Essen bedeutet Überleben. Und, was besonders wichtig ist: Essen bedeutet Genuss ... Unglücklicherweise spielt das Essen heute sogar eine zu große Rolle: Nahrung geht über das Notwendige hinaus, ist eine Konsumware und auch zu einem Suchtmittel gemacht worden“, so der Lustig. Verantwortlich dafür, sei Zucker.

Dabei scheint alles so einfach:
„Die entscheidenden Botenstoffe für unser Glücksempfinden sind Dopamin und Serotonin. Nur wenn beide im richtigen Verhältnis stehen, sind wir ausbalanciert und wirklich glücklich. Dopamin steht für Belohnung. Schüttet unser Gehirn zu viel davon aus, führt das zu einer Abhängigkeit - ein gutes Beispiel für diese Art der Abhängigkeit ist Zucker. Serotonin hingegen signalisiert uns, dass wir zufrieden sind und genug haben, ein Mangel versursacht häufig Depressionen. Stress, Hektik, ständige Erreichbarkeit und vor allem der Überfluss an Konsumgütern führen zu einem Dopaminüberschuss und somit zu einem Ungleichgewicht beider Botenstoffe. In der Folge verlernen wir glücklich zu sein. Mit ihrem perfiden Marketing hat die Lebensmittelindustrie einen großen Teil dazu beigetragen und uns in eine endlose Spirale aus ständigem Verlangen und schneller Befriedigung durch Konsum hineingezogen“, so Lustig. „Zucker tötet uns ... langsam“, warnt er.

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(Bild: kmm)



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