Hälfte verjährt

Kirche am Pranger: Insgesamt 174 Meldungen in Wien

Wien
30.03.2010 14:25
In der Welle an Missbrauchs- und Misshandlungsvorwürfen gegen kirchliche Einrichtungen gibt es nun erstmals einen Überblick auf die Anzahl der Meldungen. Insgesamt 566 Kontakte hat es nach neuestem Stand im Jahr 2010 bei den Ombudsstellen gegeben. Mehr als die Hälfte der Fälle dürfte laut den offiziellen Zahlen verjährt sein. Tatsächlich sexuellen Missbrauch betreffen "nur" 27 Prozent der Meldungen. Kirchenvertreter werden sich am Mittwoch in einen Klage- und Bußgottesdienst unter dem Motto "Ich bin wütend, Gott!" der Thematik stellen.

"Spitzenreiter" bei den Meldungen sind die Erzdiözese Wien mit 174 und die Diözese Innsbruck mit 115 Kontakten, gefolgt von Linz (78) und Graz-Seckau (63). In der Erzdiözese Salzburg wurde 55 Mal Kontakt aufgenommen. Niedriger ist die Zahl in Eisenstadt (29), St. Pölten (22), Gurk-Klagenfurt (16) und Feldkirch (14).

Weniger als ein Drittel, nämlich 27 Prozent der gemeldeten Fälle, betreffen tatsächlich sexuellen Missbrauch. Bei 26 Prozent der Fälle handelt es sich um Gewaltanwendung durch Geistliche bzw. Beschäftigte in kirchlichen Einrichtungen. Der Rest, also knapp die Hälfte der Meldungen, bedürfe noch weiterer Aufklärung.

Die diözesanen Ombudsstellen für Opfer sexuellen Missbrauchs in der Kirche werden künftig einen monatlichen gemeinsamen Bericht über den Stand der Meldungen veröffentlichen, kündigte der Leiter der Wiener Ombudsstelle, Johannes Wancata, am Dienstag an. Die Zahl von 566 Meldungen zeige umgekehrt auch, dass die Einrichtungen "Vertrauen genießen und das Angebot angenommen wird".

"Ich werde missbraucht. Bitte um Rückruf"
Wancata betonte, dass ein "beträchtlicher Teil" der Meldungen noch nicht geklärt sei. Zu 47 Prozent der Fälle, die via Telefon oder E-Mail hereingekommen sind, müsse noch recherchiert werden. "Oft erhalten wir nur die Meldung: 'Ich wurde missbraucht. Bitte um Rückruf'", berichtet der Leiter der Ombudsstelle der Erzdiözese. In vielen Fällen bedürfe es auch mehrerer Gespräche, um alles abzuklären und die entsprechenden Konsequenzen einzuleiten.

Geklärt muss vor allem noch werden, wie viele gemeldete Fälle noch nicht verjährt sind. Lediglich ein Prozent der 2010 gemeldeten Fälle hat sich laut offizieller Statistik nach 1993 zugetragen und wäre noch strafrechtlich belangbar.

Schönborn spricht "Schuldbekenntnis" bei Bußgottesdienst
Kardinal Christoph Schönborn hat indes angekündigt, bei einem Klage- und Bußgottesdienst ein "Schuldbekenntnis im Namen der Kirche" zu den Missbrauchsfällen sprechen. Bei der Veranstaltung im Wiener Stephansdom am Mittwoch um 19 Uhr werden die Kirchenspitze und ihre Kritiker in seltener Einigkeit auftreten: Die Plattform wir sind Kirche" war bei der Vorbereitung der Liturgie eingebunden, Schönborn wird den Gottesdienst leiten.

Das Leitmotiv der Messe lautet "Ich bin wütend, Gott!", beim Wortgottesdienst werden Menschen, die Opfer von Missbrauch durch Mitarbeiter der Kirche geworden sind, von ihren Erfahrungen berichten. "Sie werden Zeugnis von ihrer bedrängenden Situation geben", kündigte der Wiener Dompfarrer Anton Faber am Dienstag im Gespräch mit der Kirchen-Agentur "Kathpress" an. In Fürbitten und einem besonderen "Weihrauch- und Kerzenritus" könnten die Gottesdienstbesucher "ihre Ohnmacht und Enttäuschung genauso wie ihre Hoffnungen und Bitten vor Gott tragen", so Faber.

Die Gestaltung der Liturgie werde bewusst die alte kirchliche Tradition der Klagepsalmen aufgreifen, um die "dunklen Seiten" des Lebens vor Gott zu bringen, erklärte Faber. Hans Peter Hurka von "Wir sind Kirche" zeigte sich im Vorfeld des Bußgottesdienstes überzeugt, "dass das Aussprechen von Enttäuschungen ein wichtiger erster Schritt zur Aufarbeitung sein kann".

Loading...
00:00 / 00:00
play_arrow
close
expand_more
Loading...
replay_10
skip_previous
play_arrow
skip_next
forward_10
00:00
00:00
1.0x Geschwindigkeit
explore
Neue "Stories" entdecken
Beta
Loading
Kommentare

Da dieser Artikel älter als 18 Monate ist, ist zum jetzigen Zeitpunkt kein Kommentieren mehr möglich.

Wir laden Sie ein, bei einer aktuelleren themenrelevanten Story mitzudiskutieren: Themenübersicht.

Bei Fragen können Sie sich gern an das Community-Team per Mail an forum@krone.at wenden.



Kostenlose Spiele