"Nationale Schande"

Kritik an grausamen Hexenjagden in Nepals Dörfern

Ausland
29.03.2010 15:00
Zwei Tage lang wurde Kalli Biswokarma in einem Dorf in Nepal von ihren eigenen Nachbarn gefoltert - dann gestand sie, eine Hexe zu sein. Ihre Peiniger beschuldigten die 47-Jährige, einen Lehrer verhext und krank gemacht zu haben. Für ihre Grausamkeiten hatten sie sich eines der schwächsten und wehrlosesten Mitglieder ihrer Gemeinde ausgesucht: Biswokarma gehört zur niedrigsten Kaste in Nepal. Die Quälerei ist nach Angaben von Frauenrechtlern kein Einzelfall.

"Ich wurde als Opfer ausgesucht, weil ich eine arme Frau bin", sagt Biswokarma. Sie ist eine Dalit und gehört damit zu den "Unberührbaren", die auf der untersten Stufe des rigiden hinduistischen Kastensystems stehen. "Etwa 35 Leute kamen zu mir und nahmen mich mit. Sie sperrten mich in einen Kuhstall und zwangen mich, Fäkalien zu essen und Urin zu trinken. Am nächsten Tag kamen sie mit Messern und schnitten mir in die Haut. Ich habe es nicht mehr ausgehalten und zugegeben, eine Hexe zu sein, nur um mein Leben zu retten."

Es wird vermutet, dass Hunderte von Dalit-Frauen in Nepal jedes Jahr ähnliche Quälereien erleiden. In dem Himalaya-Staat sind Aberglaube und die Diskriminierung von niederen Kasten noch immer weit verbreitet. Hinzu kommt, dass die meisten Gemeinden streng patriarchalische Strukturen haben. Nach Angaben von Menschenrechtsaktivisten werden die Täter nach solchen Hexenjagden nur selten vor Gericht gestellt. Häufig betrachtet die Polizei die Jagd auf Dalit-Frauen als dorfinterne Angelegenheit.

"Der Aberglaube ist tief verwurzelt"
Regierungschef Madhav Kumar Nepal hat erklärt, die Gewalt gegen Frauen 2010 beenden zu wollen. Aber die Behörden rechnen mit vielen Widerständen. "Der Aberglaube ist in unserer Gesellschaft tief verwurzelt, und der Glaube an Hexerei ist eine der schlimmsten Formen", sagte die Ministerin für Frauen und Soziales, Sarwa Dev Prasad Ojha. "Solche traditionellen Praktiken können nicht über Nacht abgeschafft werden."

Die örtliche Frauenrechtsgruppe WOREC spricht von mindestens 82 Frauen in zwei Jahren, die wegen angeblicher Hexerei gefoltert wurden. Aber Sprecherin Sarita Dahal glaubt, "dass viel mehr Frauen wegen dieses Aberglaubens körperliche und seelische Schmerzen erleiden müssen". Viele wehrten sich nicht, "weil sie Angst haben, dann von ihren Familien verlassen und von ihren Gemeinden geächtet zu werden". Die nepalesischen Gesetze verbieten Gewalt gegen Frauen, aber Dahal zufolge werden sie kaum umgesetzt, vor allem dann nicht, wenn die Opfer Frauen aus Randgruppen seien.

Hexenjagden als "nationale Schande"
Nach Einschätzung des Soziologen Suraj Kafle dient der Aberglaube oft nur als Vorwand für Schikanen gegen Frauen: "Es ist nur eine Ausrede, um arme Frauen zu quälen. Armut und mangelnde Bildung machen sie zu leichten Opfern. Es sind immer sozial und wirtschaftlich verletzliche Frauen." Die Frauenbeauftragte der Regierung, Nainakala Thapa, nennt die Hexenjagden eine "nationale Schande". Oft würden Anschuldigungen von Wunderheilern erhoben, wenn ihre Patienten stürben und sie einen Sündenbock bräuchten. "Es ist einfach, dann eine Frau aus einer niederen Kaste als Hexe zu brandmarken."

Für Biswokarma und ihre Familie ist der Alptraum nicht vorbei. Nach einem Aufenthalt im Frauenhaus von Kathmandu ist sie in ihr Dorf Pyutar, 40 Kilometer südlich der Hauptstadt, zurückgekehrt, wo sie nun als "Hexe" stigmatisiert ist. "Ich habe immer noch Angst, denn einige der Leute, die mich gefoltert haben, sind noch hier", sagt Biswokarma. "Ich habe meine Würde verloren, aber nicht die Hoffnung. Ich werde für Gerechtigkeit kämpfen."

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