Polizei will Material

ORF-Reportage: Ermittlungen gegen vier Personen

Österreich
26.03.2010 07:16
Im Zusammenhang mit der seit Tagen in den Schlagzeilen stehenden Fernseh-Reportage über Skinheads hat die Polizei am Donnerstagvormittag neuerlich beim ORF angeklopft. Verfassungsschützer aus Niederösterreich wollten weiteres Drehmaterial der "Am Schauplatz"-Doku begutachten, der ORF gab die Bänder jedoch unter Berufung auf das Redaktionsgeheimnis nicht heraus. Laut Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt wird gegen vier Personen ermittelt.

Die Dreharbeiten des "Schauplatz"-Teams gerieten ins Visier der Ermittler, nachdem ein ORF-Team im Rahmen der Milieustudie über zwei jugendliche Skinheads (das Bild oben zeigt ein Standbild aus der ORF-Reportage) auch bei einer FPÖ-Veranstaltung in Wiener Neustadt gedreht hatte. Parteichef Heinz-Christian Strache warf dem ORF daraufhin vor, ihm "bezahlte Nazi-Statisten" untergejubelt zu haben, die auf Aufforderung des Redakteurs auch noch "Sieg Heil" gerufen hätten.

Am Band mit dem Rohmaterial, das den Wiener Neustädter Ermittlern vorliegt und vom ORF veröffentlicht wurde, war darauf aber nichts zu erkennen. Die FPÖ sprach dann plötzlich von technischer Manipulation, der ORF wies diese Vorwürfe wiederholt zurück. Die Causa landete am Mittwoch auch noch im Parlament (siehe ausführlichen krone.at-Bericht in der Infobox), wo ein Dringlicher Antrag der Freiheitlichen allerdings abgelehnt wurde.

Die umstrittene "Am Schauplatz"-Reportage wurde am Donnerstagabend auf ORF 2 ausgestrahlt und danach um eine Sonderausgabe des "Club 2" (u.a. mit Strache) ergänzt. Beide Sendungen sind auch online abrufbar.

Staatsanwaltschaft: Ermittlungen gegen vier Personen
Doch zurück ins ORF-Zentrum: Da auch Verfassungsschutz und Staatspolizei auf den bereits sichergestellten Wiener Neustädter Aufnahmen offenbar nichts finden konnten, begehrten die Ermittler am Donnerstagvormittag nun Zugriff auf das weitere Drehmaterial, um es auf mögliche Passagen, die den Tatbestand der Wiederbetätigung erfüllen könnten, zu untersuchen. Der ORF gab die Aufzeichnungen jedoch nicht heraus.

Erich Habitzl, Sprecher der Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt, bestätigte die Amtshandlung im ORF-Zentrum am Nachmittag offiziell. Derzeit werde gegen drei Personen, deren Identität bekannt sei, sowie gegen eine vierte unbekannte Person ermittelt. Das untersuchte Delikt sei Paragraf 3g des Verbotsgesetzes, also Wiederbetätigung im nationalsozialistischen Sinn.

Über Details, etwa wer die Beschuldigten sind oder warum die Anordnung der Sicherstellung erfolgte, gab der Sprecher keine Auskunft. Auch der zuständige Staatsanwalt wurde nicht bekannt gegeben. Das Redaktionsgeheimnis greife in dem Fall nicht, meinte Habitzl lediglich in Richtung ORF.

ORF wird Material einstweilen versiegelt aufbewahren
Der ORF hat den Behörden laut Kommunikationschef Pius Strobl vorgeschlagen, bis zur rechtlichen Klärung der Beschlagnahmungs-Frage das Material versiegelt an einem gesicherten Ort im ORF aufzubewahren, so Strobl weiter. Eine Herausgabe vor rechtlicher Klärung könne es jedoch aus Sicht des ORF nicht geben. "In dem Moment, wo Rohmaterial, das zum Teil nie auf Sendung gehen würde, in breitem Umfang gesichtet wird, wird ins Redaktionsgeheimnis eingegriffen", sagte Strobl.


Der ORF habe das Material jedenfalls fürs Erste hausintern gesichert. "Wir haben keinen Grund, Wiederbetätiger zu schützen, noch schützenswerter ist für uns aber das Redaktionsgeheimnis - das ist im Sinne aller Medien des Landes wichtig."

ORF will Herausgabe bekämpfen
Die von der Staatsanwaltschaft geforderte Herausgabe des gesamten Drehmaterials werde der ORF "mit allen juristischen Mitteln bekämpfen", erklärte Generaldirektor Alexander Wrabetz am Freitag im Gespräch. "Wir werden bei unserer bisherigen Haltung bleiben und das hohe Gut des Redaktionsgeheimnisses schützen. Hier geht es um die Grundfesten der Demokratie und des unabhängigen Journalismus", so Wrabetz.

Laut Strobl hat auch die ORF-Geschäftsführung keinen Zugriff auf das Material, da das Redaktionsgeheimnis die Redaktion auch in diese Richtung schützt. "Magazin-Chefredakteur Johannes Fischer hat die Herausgabe des Materials gut begründet verweigert. Die Geschäftsführung respektiert und unterstützt diese Vorgangsweise. Es handelt sich um eine ganz grundsätzliche Frage weit über den Anlassfall hinaus", so Strobl. Mit solchen Begründungen könnten Ermittlungsbehörden dann ja künftig alles beschlagnahmen.

Den Ermittlern gehe es inzwischen offenbar auch nicht mehr um den Auftritt des "Schauplatz"-Teams der Skinheads bei der FPÖ-Veranstaltung, sondern um ganz andere Drehtage. Als "bemerkenswert" bezeichnete Strobl den Umstand, dass nur kurz nachdem die Ermittlungsbeamten das ORF-Zentrum am Küniglberg verlassen hatten, eine FPÖ-Presseaussendung erschien, in der bereits darüber informiert wurde, dass der ORF die Herausgabe der von den Ermittlern gewünschten Drehaufnahmen verweigere.

Gewerkschaft erscheint FPÖ-Aussendung auffällig
Auch die Journalistengewerkschaft pocht in der Causa auf das Redaktionsgeheimnis. Für den Vorsitzenden Franz C. Bauer ist der Fall "symptomatisch", wie er am Donnerstag sagte. "Dass die Staatsanwaltschaft nach Belieben in den ORF einmarschieren will und dort journalistische Original-Unterlagen einfordert, zeigt, wie schlecht das Redaktionsgeheimnis in Österreich geschützt ist."

Wie notwendig es sei, dieses vor allem vor Behördenzugriffen zu schützen, zeige die auffällige Synchronizität zwischen Amtshandlung und der Presseaussendung der FPÖ, kritisierte der Gewerkschafter.  "Dass die FPÖ praktisch zeitgleich die Amtshandlung der Staatsanwaltschaft kommentiert, legt zumindest den Verdacht nah, dass es hier Verbindungen gibt und eine politische Partei schon im Vorfeld einer geplanten Redaktionsdurchsuchung von dieser gewusst hat. Das ist empörend", so Bauer.

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