Hunderte Fälle

Wie Österreich die EU-Regeln „vergoldet“

Österreich
23.04.2019 06:01

Brüssel gibt vor, Wien setzt eines drauf: 500 Fälle von „Gold Plating“ gibt es, wenige - wie die fünfte Urlaubswoche - sind außer Streit.  Das Ende der ersten 40 Fälle von „Gold Plating“ soll am Mittwoch im Nationalrat beschlossen werden. Justizminister Josef Moser plant weitere Pakete.

Was in Brüssel beschlossen wird, muss Wien grundsätzlich umsetzen - denn EU-Recht steht über nationalem Recht. Allerdings gibt es Platz für Interpretationen: Zwar dürfen die Regelungen national nicht aufgeweicht werden, Verschärfungen sind unter bestimmten Voraussetzungen sehr wohl möglich. Legt ein Land eine Vorgabe strenger aus, spricht man von „Gold Plating“ - und das kostet Österreich jährlich Hunderte Millionen Euro.

Mehrkosten teils in Kauf genommen
Zum Teil nimmt der Staat diese Mehrkosten in Kauf, um Sozialstandards, Konsumenten- und Umweltschutz zu gewährleisten. So sind die fünfte Urlaubswoche oder das Recht auf Mutterschutz Arbeitnehmerrechte, die in anderen EU-Staaten nicht gelten. Hühner, Schweine und Kühe leben vielfach besser - so ist zum Beispiel Käfighaltung von Hühnern bei uns seit Jahren verboten. Und auch in der Beziehung zwischen Käufer und Verkäufer haben österreichische Kunden mehr Rechte als ihre Nachbarn.

Interessensvertreter wollen „Vergoldung“
Dennoch sprechen sich die Interessenvertreter der Wirtschaft dafür aus, das „Vergolden“ von EU-Vorschriften zu reduzieren. Auch im Regierungsprogramm wird dem eine Absage erteilt. Von den Vorschlägen der Wirtschaft - 123 konkrete Beispiele gibt es - sollen soziale Sicherheit gar nicht, Konsumenten- und Umweltschutz wenig betroffen sein, sagt Karlheinz Kopf, Generalsekretär der Wirtschaftskammer: „Als reiche Volkswirtschaft können wir uns bessere Standards leisten als andere Länder.“

Auch für die Industriellenvereinigung (IV) stehen gewisse Standards außer Frage: „Gerade beim Kampf um die besten Mitarbeiter können sie ein Wettbewerbsvorteil sein“, sagt IV-Sprecher Christoph Neumayer. Stattdessen soll es dem bürokratischen Mehraufwand an den Kragen gehen.

Entlastungen für die Transportbranche
So kostet heimischen Transporteuren die EU-Gemeinschaftslizenz 1,6 Millionen Euro jährlich. Sie braucht jeder, der mit Lkw über die Ländergrenzen hinweg fährt. In Österreich muss sie alle fünf Jahre erneuert werden, in anderen Ländern nur alle zehn Jahre. „Das anzupassen, bringt 800.000 Euro jährlich“, so die Interessenvertreter. Bedarf für Nachbesserung sieht die Wirtschaft auch bei der Arbeitszeitaufzeichnung von Kraftfahrern: Während europäische Frächter die Unterlagen nur ein Jahr aufbewahren müssen, sind es in Österreich zwei.

Entlastet werden sollen auch Tankstellenbesitzer: Zurzeit zahlen sie für jede behördliche Treibstoffprobe zwischen 722 und 855 Euro. EU-weit werden diese Kosten nur fällig, wenn die Probe beanstandet wird. Knapp 200 Millionen Euro pro Jahr kosten heimische Unternehmen sogenannte Masterfiles. Sie sollen internationale Geschäfte nachvollziehen und Steuerbetrug bekämpfen. „In Österreich sind 2500 Unternehmen dazu verpflichtet - nach deutschen Umsatzgrenzen wären es 1250“, erklärt Neumayer.

Viermal wird im Schnitt bei einer Kontoeröffnung der Informationsbogen zur Einlagensicherung vorgelegt, das kostet einen Euro pro Unterschrift. „Unterschreibt man nur mehr einmal, spart das 340.000 Euro“, rechnet Kopf. Ob bei Aufzeichnungspflichten etwa zur Abfallentsorgung, Energieeffizienz, Aushängen und Fristen - Österreich ist in vielen Fällen teurer Musterschüler. Das Ende der ersten 40 Fälle von „Gold Plating“ soll am Mittwoch im Nationalrat beschlossen werden. Justizminister Josef Moser plant weitere Pakete. Industrie und Wirtschaft wollen auf ihren 123 Forderungen beharren.

Streit beim Konsumentenschutz
„Milch aus Österreich“ soll künftig verpflichtend auf dem Joghurt stehen, geht es nach den heimischen Landwirten und der zuständigen Ministerin. Ein Schritt, der Bauern stärken und Konsumenten informieren soll - der aber gleichzeitig ein Beispiel für „Gold Plating“ darstellt. Ab 1. April 2020 muss laut EU zwar die Herkunft der Hauptzutat angegeben werden - aber nur, wenn sie von der Herkunft des Lebensmittels abweicht. Etwa dann, wenn auf der Wurst „aus Österreich“ steht und das Fleisch aus Deutschland kommt.

Die österreichische Lösung geht einen Schritt weiter - die Herkunft der Hauptzutaten soll immer ausgewiesen werden. Die Lebensmittelindustrie befürchtet dadurch einen Schaden für den Standort. Sowohl Lagerräume als auch Produktionsstraßen müssten dafür angepasst werden. Die Kosten dafür tragen müsse der Konsument, so die Unternehmer. „Wir werden eine Lösung finden, die für alle tragbar ist“, heißt es aus dem Ministerium.

Daten und Fakten

  • 2018 waren insgesamt 1040 EU-Richtlinien in Kraft. Jedes Jahr kommen neue im zweistelligen Bereich dazu.
  • In rund 500 Fällen verschärft Österreich diese Richtlinien. Das nennt man „Gold Plating“.
  • 300 dieser Fälle fallen unter Schutzbestimmungen, wie Konsumenten- und Umweltschutz oder soziale Standards.
  • 40 Richtlinien wurden Ende Februar im ersten „Anti-Gold-Plating“-Paket des Justizministeriums entschärft. Diese Woche stimmt der Nationalrat darüber ab. Weitere 160 Gesetze werden geprüft.
  • Justizminister Josef Moser plant 2019 ein zweites Paket gegen “Gold Plating“.

Teresa Spari, Kronen Zeitung

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