Abschied ohne Wehmut

Manfred Müller: „Die Ära Heller wird fantastisch“

Adabei
12.04.2019 12:00

Ende April geht Manfred Müller als Direktor des traditionsreichen Urania-Puppentheaters in Pension. Er war die Stimme vom Kasperl und nuschelte das „Bussi, Bussi“ von Dagobert wie kein anderer. Traurig ist der bald 70-Jährige über den Abschied nicht. Im Gegenteil, im Gespräch mit krone.at freute er sich auf die „Ära Heller“: „Es wird fantastisch werden.“ Und möglicherweise anders. Denn: Kasperlklon könne man freilich keinen aus dem Hut zaubern.

Müller war in seinem Theater ein „unermüdlicher Selbstausbeuter“, wie Andre Heller ihn im Klappentext des Abonnement-Folders für die nächste Saison liebevoll nennt.

Müller bestätigt das: „Ich habe die ganze Administration gemacht, die Kassa musste ich vorrichten, im Sommer habe ich die Kulissen gebaut für die nächste Saison, die Stücke geschrieben, die Musik, die Puppen geschnitzt. Dann alles von Trautmannsdorf, wo‘s gelagert war, in die Urania, dann habe ich die Vorstellungen gespielt als Kasperl. Alles.“ 51 Stücke habe er geschrieben, 48 davon habe man noch im Repertoire.

Ein rettender Anruf
„Aber das kann sich jetzt alles ändern“, kündigt er an. „Man darf nicht vergessen, dass der neue Eigentümer auch ein sehr kreativer Mensch ist. Sehr fantasievoll. Ich kann mir schon vorstellen, dass ihm da manchmal die Feder juckt.“

In dem Moment, als er schon verzweifelt gewesen sei, habe das Telefon geläutet und Andre Heller wollte ihn sprechen. Heller habe ihm sofort gesagt„Ich will‘s kaufen.“ Unterlagen hätten ihn nicht interessiert. Bilanzen und so weiter seien Heller egal gewesen, dafür hätte er Leute. Er habe nur gesagt: „Ich will es kaufen.“ Am nächsten Tag sei es entschieden gewesen.

Müller ist merkbar zufrieden, in Andre Heller den Richtigen gefunden zu haben, um das Puppentheater weiterzuführen. Sonst wäre die Puppenbühne in der Urania jetzt möglicherweise Geschichte. Er habe im Vorjahr 26 Angebote gehabt, die ihm aber alle nicht wirklich zugesagt hatten. Bis auf einen wäre keiner der Interessenten aus der Kunstbranche gewesen. „Riesenfirmen, Konzerne.“

„Es dürfte fantastisch werden“
„Da hat die Chemie sofort gestimmt. Wir haben gemerkt, wir sind weltanschaulich sehr, sehr, sehr ähnlich. Daraufhin hat sich eine irrsinnig tolle Beziehung entwickelt. Er ist dahergekommen, hat das gesehen und hat gesagt, das ist alles sehr schön, aber das können wir noch fantastischer machen.“

Heller habe Leute und für „alles eine Idee“, freute sich Müller während des Gesprächs sichtlich begeistert über die Zukunft seines Theaters. Heller sei jemand, „der es verwirklichen kann“. Er werde sich das sicher anschauen, wenn es fertig ist. „Es dürfte fantastisch werden.“

Mehr als vier Jahrzehnte erlebte Manfred Müller die Höhen und Tiefen des kleinen Puppentheaters am hinteren Ende der Wiener Urania mit, seit den 1990er-Jahren als Direktor und „Mädchen für alles“. In seinem Haus erlebten Generationen von Vorschulkindern und Schulanfängern die Abenteuer von Kasperl und Pezi, der Großmutti, der Hexe Serafine oder der Märchenfee.

Der böse Dagobert wurde ausgelacht
„In diesen vielen Jahren ist natürlich Etliches passiert“, erzählt er uns. „Mit den Kindern zu arbeiten war wunderbar. Das dankbarste Publikum, das es gibt, und das ehrlichste. Wenn ihnen etwas nicht passt, das kommt sofort raus.“ So sollte der Drache Dagobert ursprünglich ein böses Vieh werden, das nur faucht.

Bei seinem ersten Auftritt hätten die Kinder aber schallend gelacht und mit dem Bösewicht war‘s vorbei. Das Stück wurde umgeschrieben und der Fauchdrache lernte ein klein wenig sprechen: „Bussi, Bussi, Hunger und Krautpletschen“, viel mehr brauchte er nicht. Und dass der Dagobert ein Kind hat, wurde nie hinterfragt. Der war ein männlicher Drache und hat halt ein Ei gelegt. „Erst jetzt hat er ja eine Freundin.“

Angefangen hat es mit Katastrophen
Sein Weg zum Theaterdirektor ist kein lustiges Kasperlstück. Angefangen hat es mit Katastrophen. „Angefangen damit, dass Hans Kraus stirbt. Beim Rasenmähen. Allerdings in Gluthitze. Da haben alle Nachbarn gesagt: Sei nicht wahnsinnig, geh rein in den Schatten, mach das nicht, das ist gefährlich.“

Müller erzählt es, als wäre es gestern gewesen, und man merkt ihm die Liebe zum ersten Kasperl-Darsteller Hans Kraus an, der 1995 mit 72 Jahren starb. „Er war ein Sturschädel, düste drei Stunden mit seinem Gartentraktor im Garten umadum, wäscht sich die Hände mit kaltem Wasser, kippt um und ist weg.“

Dann kam die Frage, wie geht es weiter. Theaterchefin Marianne Kraus, die Erfinderin und ursprüngliche Stimme des Pezi, habe ihm gesagt, sie mache nur weiter, wenn es jemand mit ihr macht. Alleine nicht. Noch bevor Kraus beerdigt wurde, bekam er einen Anruf: „Es war skurril und makaber, da kam ein Telefonanruf. Du hast es eh schon gehört. Der Hans ist gestorben. Willst du es mit mir machen, weil allein mach ich‘s nicht. Das war der Wortlaut.“ Müller bat um einen Tag Bedenkzeit, er müsse mit seiner Frau reden. „Die hat dann ja gesagt und am nächsten Tag war es schon fix - und dann ist das Ganze losgegangen.“

„Man kann keinen Kasperlklon aus dem Hut zaubern“
Er wurde zum ORF bestellt und musste ein mehrstündiges Casting machen: „Da wollten sie wissen, wie ähnlich alles ist.“ Sarkastischer Nachsatz: „Wie wenn‘s eine Auswahl gehabt hätten.“ Es war dieselbe Situation wie jetzt. „Man kann nicht irgendwo einen Klon aus dem Hut zaubern.“

Wenig später habe er erfahren, dass die legendäre Theaterchefin an Krebs erkrankt sei. Sie konnte nicht geheilt werden. „Plötzlich war es da auch so weit. Ich war im Spital, als sie gestorben ist.“ Die Premiere stand bevor und er musste einen Pezi aus dem Hut zaubern. „Ich habe meine damaligen Kollegen antreten lassen und sie aufgefordert: Jetzt sagt‘s irgendwas auf Pezi.“ Alexandra Filla, die eigentlich zu klein und für Licht und Ton zuständig war, sprang schließlich ein. Mit Haube und Schal, weil anfangs behauptet wurde, der Pezi sei heiser.

Puppe musste größer gemacht werden
Die Stimme vom Kasperl hat sich vor einigen Wochen ebenfalls verändert. Aber ohne Tarnung: In der „Rotkäppchen“-Aufführung im März 2019, in der Müller den Arien singenden Wolf mimte, der gar keine Interesse daran hat, die Großmutti zu fressen, steckte bereits die Hand des neuen Kasperl-Darstellers Harald Baierl in der berühmten Puppe.

Dieser muss aber nicht in die Rolle hineinwachsen. Im Gegenteil, die Puppe musste für ihn größer gemacht werden, weil dessen Hände größer seien als seine, verriet Müller. Beim Rundgang hinter der Bühne grinste er, als wir Zettel mit den Namen der Hexen und Zauberer des aktuellen Stücks „Dagobert und Lalobe“ entdeckten: „Der Text sitzt noch nicht ganz.“

Die Figur des Kasperl sei eine Symbiose mit dem Puppenspieler und soll nicht nur Kinder, sondern auch Erwachsene unterhalten, erzählt Müller. „Es geht nicht, dass man einfach Kasperl spielt. Die Person, die in den Kasperl schlüpft, muss auch einen menschlichen Background haben. Sie muss sich für die Politik interessieren. Die Gesellschaftspolitik ist wichtig. Was ist da unterwegs? Bejahe ich das oder nicht? Das muss über die Figur rüberkommen.“

Lichttechniker, Giftzwerg und Nikolaus
Er selbst hatte 1973 als Lichttechniker begonnen. Dann kam „Hänsel und Gretel“, klassischerweise im Dezember. „Kraus packte die Puppen aus.“ Besonders die Knusperhexe begeisterte Müller, der vorher ein bisschen Laientheater gespielt hatte. Er habe die Puppe gesehen und gesagt: „Ich habe die kleinen Kinder zum Fressen gern.“ Kraus gab ihm daraufhin die Rolle: „,Du sprichst die Hexe.‘ Von da an habe ich alle Wahnsinnigen gekriegt, alle Zwerge, alle Giftzwerge, alle Bösen.“

Nach eineinhalb Jahren durfte er zum ersten Mal eine Puppe führen. Unterricht gab es keinen „Das weiß man, das hat man in sich oder man hat es nicht“, wurde ihm gesagt. Dann durfte er den Meister Fuchs im „Gericht der Tiere“ mimen. „Das hat sieben Minuten gedauert, ich habe gedacht, ich gehe da ein“, erinnert sich Müller, der es noch nicht gewohnt war, eine Puppe zu halten.

Eine Leidenschaft ist es geworden. Trotzdem ist der Doyen des Puppentheaters nun froh, in den Ruhestand zu treten. Endlich ist es Zeit, die Dinge zu tun, die während des langen Theaterlebens zu kurz gekommen sind, weil immer an noch etwas gedacht werden musste: „Sind die Nikolaussackerln fertig? Ist alles bereit für die neue Saison? Sind noch alle Darsteller da?“ Einmal im Jahr war er auch der Nikolaus und verschenkte an die Besucherkinder Geschenkssackerln. Und da Puppenspieler nur ein Job für sieben Monate im Jahr ist, war verständlich, dass so mancher, wenn er während der Sommermonate einen „sicheren Job“ bekommen hat, dabei blieb. 

Standing Ovations zum Abschied
Für ihn sei jetzt der Moment von „Tschüss, Baba sagen“ gekommen. Vier Generationen von Kindern habe „man durchgeschleust“. Und die Familien werden weiterkommen, dessen ist er sich sicher: „Das sei das Schönste.“

Wir haben es erlebt: Am Ende der Vorstellung seines nun letzten Stücks „Dagobert und Lalobe“ gibt es eine besonders tiefe Verbeugung vom Herrn Direktor und zum Erstaunen vieler Kinder erheben sich die Erwachsenen zu Standing Ovations. Und so manche Mama wischt sich verstohlen eine Träne aus dem Augenwinkel.

Das Lieblingsrezept von Dr. Dr. Guuglhupf
Müller, der in letzten Jahren seine Abonnenten zwischen den Vorstellungen auch mit liebevollen E-Mails unter dem Pseudonym Prof. Dr. Dr. Dipl. Ing. Guuglhupf mit Kasperlgeschichten versorgt hat, die vor dem jeweiligen Stück passiert sind, hat uns zum Abschied sein Lieblingsguglhupf-Rezept verraten. Vielleicht findet sich ja eine Großmutti, die den Dr.-Guuglhupf-Gugelhupf für ihre Familie backen will:

„Man nehme Butter, ein Viertel Kilo, rühre es schaumig, bis es ganz weiß ist und ganz flaumig. Wirklich rühren, eine halbe Stunde rühren. Dann füge man Staubzucker hinein und rühre ihn ein und auch die Eidotter rühre man ein. Füge vorsichtig den Schnee hinzu und rühre dann gesiebt das Mehl hinein. Fülle das ganze Glumpat in eine gefettete Form und schiebe es bei 170 Grad für eine Dreiviertelstunde ins Backrohr hinein und backe es. Und achte immer darauf, dass er nicht zu dunkel wird. Man macht am besten eine Nadelprobe. Dann stürze man das ganze Ding und überzuckere es, und er ist fertig.“ Wir und Manfred Müller wünschen guten Appetit!

Österreichische Kulturgeschichte
Die Urania und seine Puppen sind ein Stück österreichischer Kulturgeschichte, auch wenn es längst andere Kasperlfiguren im TV gibt.

Seit 1953 sendete der ORF, damals RAWAG, „Kasperl im Funkhaus“. Im Herbst 1957 strahlte der ORF die erste Fernsehsendung von „Kasperl und Pezi“ aus, die damals noch live gespielt wurde. Ab Herbst 1960 gab es dann die ersten Aufzeichnungen. Auch „Spin-offs“ wie das Betthupferl mit der Familie Pez - bis 1990 zu sehen - genießen noch heute Kultstatus.

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(Bild: kmm)



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