Nach Türkei-Wahl:

„AKP kann Aufträge nicht mehr beeinflussen“

Ausland
04.04.2019 14:09

Es ist ein Ergebnis mit großer Symbolwirkung: In der Türkei hat am Sonntag die Regierungspartei AKP von Präsident Recep Tayyip Erdogan zwar insgesamt die Kommunalwahlen gewonnen, aber ausgerechnet in den prestigeträchtigen Großstädten Istanbul und Ankara verloren. „Die Nimbus der Unbesiegbarkeit der AKP ist gebrochen worden, in ihrer Hochglanzfolie gibt es nun Risse“, analysierte der Soziologe und Türkei-Experte Kenan Güngör am Donnerstag im krone.at-Livetalk mit Gerhard Koller. Die Niederlagen der AKP in den wichtigen Wirtschaftsmetropolen hätten ihm zufolge auch große Auswirkungen auf das gesamte Land. „Die AKP kann in diesen strategisch wichtigen Städten nun den öffentlichen Auftragsvergabeprozess nicht mehr beeinflussen.“ Das Klima zwischen Regierung und Opposition könnte dadurch noch angespannter als bisher werden. 

In Istanbul und Ankara regierte die AKP seit ihrer Gründung im Jahr 2001. Erdogan war in Istanbul selbst in den 1990er-Jahre vier Jahre lang Bürgermeister. Vor allem der dortige Verlust des Bürgermeistersessels habe laut Güngör eine große Symbolkraft. „Erdogan hat in jedem bisherigen großen Wahlkampf gesagt, dass diejenige Partei, die in Istanbul gewinnt, auch in der gesamten Türkei gewinnt.“ Schließlich leben 20 Prozent der gesamten türkischen Bevölkerung in Istanbul. „Istanbul ist die größte Wirtschaftskraft der Türkei. Deshalb ist es für die AKP ganz wichtig, dass diese Stadt gehalten wird.“

Wahlanfechtung: Nachzählungen könnten kommen
Am Ende konnte sich dort aber zum ersten Mal seit 25 Jahren ein Bürgermeisterkandidat der Mitte-links-Partei CHP die Mehrheit sichern. Die AKP hat die Wahl bereits angefochten und spricht von Manipulationen. Güngör schloss nicht aus, dass eine Nachzählung der Stimmen in Istanbul stattfinden könnte, schließlich liege die CHP nur knapp 20.000 Stimmen vor der AKP. „Es wäre möglich, dass nach der Nachzählung dann die AKP vorne liegt.“ Auch in anderen Städten könnten noch Nachzählungen stattfinden. 

„AKP hat sich eigenes Industrienetzwerk aufgebaut“
Dass Erdogan neben Istanbul und Ankara mit Izmir und Antalya zwei weitere wichtige Wirtschaftsstädte verlor, könnte längerfristig zum Problem für die AKP werden. „Das Stützsystem der AKP war, ihren Institutionen über die Kommunen Aufträge zuzuschanzen. Das wird jetzt in dieser Form so nicht mehr funktionieren.“ Durch die Privatisierungen habe sich die AKP ein eigenes Industrienetzwerk aufgebaut.

Video: Erdogan verliert Ankara und Istanbul an Opposition

„Regierung könnte Opposition in Großstädten sabotieren“
Das könnte nun aber auch zum Problem für die Opposition in den großen Städten werden. „Sie haben zwar in den dortigen K
ommunen politisch das Sagen, aber die AKP-Regierung im Land könnte sie dort sabotieren.“ Denn bei größeren Bauvorhaben müsse zuvor ein Antrag beim Finanzminister gestellt werden - und dieser sei immerhin der Schwiegersohn von Erdogan. „Man kann sich ungefähr vorstellen, wie das dann abläuft. Die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass die Kommunen von der Erdogan-Regierung vorgeführt werden.“ 

„Das Land ist gespalten und steht wirtschaftlich nicht gut da“
Die Stimmung in der türkischen Bevölkerung sei laut Güngör derzeit sehr aufgeheizt, und das werde wohl noch eine Weile so weitergehen. „Das Land ist gespalten, und das ist nicht gut für die Gesellschaft. Schließlich steht die Türkei wirtschaftlich nicht gut da.“ Aufseiten der Opposition steige jedoch die Zuversicht, das Land verändern zu können: „Es gibt Leute, die sagen, dass das machbar ist.“ 

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