Kolumne „Im Gespräch“

Demenz: „Vieles verschwindet, die Liebe bleibt!“

Leben
07.04.2019 06:15

Peter und Helene haben viel aufgebaut, oft unter Entbehrungen. Erst im wohl verdienten Ruhestand fanden sie Zeit für sich. Peter war noch nicht lange in Pension, da haben sich die ersten Anzeichen eingestellt. Eine Untersuchung hat Klarheit gebracht: Diagnose Demenz. Die Familie hat erst lernen müssen, damit umzugehen.

„Ich hab mich so gesorgt, dass er für blöd gehalten wird und die Nachbarn ihn schief anschauen“, erzählt Helene. „Ich hab immer sehr darauf geachtet, dass er ordentlich angezogen ist.“ „Zum Schluss hat er mich nicht mehr erkannt, seine eigene Tochter“, erzählt Peters ältere Tochter. „Das war schrecklich für mich.“ „Ja“, sagt ihre jüngere Schwester, „aber er hat viel gelacht, viel mehr als früher. Vater war immer so streng. In der Krankheit ist er weicher und liebevoller geworden. Er hat es genossen, wenn ich seine Wange gestreichelt habe.“

„Wenigerwerden“ ist schwer mit anzusehen
Es ist schmerzhaft, wenn ein Angehöriger an Demenz erkrankt. Ein Mensch, den wir lieben, verändert sich. Erinnerungslücken werden häufiger. Wörter wollen nicht einfallen. Er wirkt verloren, kann sich immer schlechter orientieren. Gegenstände wie etwa ein Messer kann er nicht mehr gebrauchen, Routineaufgaben werden zum Problem. Das „Wenigerwerden“ ist schwer mit anzusehen. Besonders schmerzhaft ist, wenn ein Mensch mit Demenz Familienmitglieder nicht mehr erkennt. Dazu kommt die Scham. Sie hat ihren Grund auch im negativen Bild, das sich unsere Gesellschaft von Demenz macht. Immer wieder hört man, Demenz bedeute einen „Abschied vom Ich“, und Menschen mit Demenz seien nur mehr ein „Schatten ihres früheren Selbst“.

Aber Menschen mit Demenz verlieren ihre Persönlichkeit nicht. Jeder Mensch ist Geschöpf Gottes, eine einmalige Person, ob mit oder ohne Demenz. Die Person ist mehr als ihre geistigen Fähigkeiten. Nicht nur „Ich denke, also bin ich“, sondern: Ich schmecke, also bin ich. Ich rieche, also bin ich. Ich lebe in Beziehungen, also bin ich. Und ganz besonders: Ich fühle, also bin ich.

Menschen mit Demenz leben ganz in ihren Gefühlen
Und sie nehmen sehr genau wahr, wie andere ihnen begegnen: Gehen sie auf Distanz, oder wenden sie sich mir zu? Begegnen sie mir mit Wertschätzung, oder verhalten sie sich respektlos? Oft leiden Menschen mit Demenz weniger unter ihrer Erkrankung als unter den negativen Reaktionen ihrer Mitmenschen. Umgekehrt schafft vertraute Stimmen zu hören, vertraute Hände zu spüren, vertraute Gesichter zu sehen und vertraute Geschichten erzählt zu bekommen Geborgenheit und Wohlbefinden.

Vieles schwindet, wenn ein Mensch mit Demenz lebt. Aber die Liebe bleibt. Peter wusste zwar die Namen seiner Kinder nicht mehr. Aber wusste im Herzen, dass er sie liebt und dass sie ihn lieben.

Pfarrerin Maria Katharina Moser, Kronen Zeitung
maria.moser@evang.at

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(Bild: kmm)



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