„Intelligentle“

Helgi Jonsson: Die Welt mit sanften Songs retten

Musik
03.04.2019 09:47

Der Isländer Helgi Jonsson ist ein Meister der verträumten Sounds, der sich in seinen Songs regelmäßig in bildgewaltige Welten flüchtet. Acht Jahre nach seinem letzten Album und vielen Touren mit bekannten Künstlern meldet er sich nun mit „Intelligentle“ endlich wieder zurück. Darauf brilliert er nicht nur mit seiner einzigartigen Kopfstimme und santen Klavierklängen, sondern auch mit teilweise harscher Gesellschaftskritik. Mehr dazu verriet er uns im Gespräch.

(Bild: kmm)

2016 war es, die Fußball-EM in Frankreich stand vor der Tür. Beim isländischen Musiker Helgi Jonsson wurde ein kleines Loch in der Herzkammer diagnostiziert, das man mittels einer Routineoperation zustöpseln wollte. Doch das eingesetzte Metallteil tut nach dem ersten Ultraschall nicht ganz das, was von ihm erwartet wird. Es beginnt zu flackern und muss schnellstmöglich wieder raus. Mehr als 200 solcher Operationen wurden davor schon in Island durchgeführt, doch ein solches Problem trat noch nie auf. „Ich bin verdammt glücklich, dass ich noch am Leben bin“, rekapituliert der Vollblutmusiker diese Erfahrung im Gespräch mit der „Krone“, „eine halbe Stunde lang waren sich die Ärzte unsicher, wie es weitergehen soll. Außerdem mussten sie meine Frau fragen, ob sie mich von oben bis unten aufschneiden dürften, denn hätten sie mich geweckt und ich hätte nur einmal kurz gehustet, hätte mich das Metallstück töten können.“

Familienbande
Dieses gefährlich, aber glücklicherweise positiv beendete Vorhaben verarbeitet Jonsson im berührenden neuen Song „Afterthought“. Der Ehemann der dänischen Erfolgsmusikerin Tina Dico war in den letzten Jahren zumindest als Solokünstler kaum in Erscheinung getreten. Das letzte Album „Big Spring“ ist mittlerweile acht Jahre alt, die 2016 veröffentlichte EP „Vaengjatak“ bestand aus ruhigen Klavierstücken, die eigentlich im Zuge der neuen Songs geschrieben wurden, aber doch nicht so ganz zum Rest passten und daher ihren eigenen Raum zur Entfaltung bekamen. Ansonsten war Jonsson in Stockholm zu Ingmar Bergmans 100. Geburtstag auf der Bühne und vor allem sehr viel als Posaunist unterwegs. Etwa mit Sigur Rós, Damien Rice oder Philipp Poisel. Und natürlich ist er auch bei allen Stücken und Entscheidungen seiner Frau Tina, einer dänischen Hitparadenstürmerin, involviert. „Schlussendlich hat meine Frau für mich gewusst, dass ich jetzt wieder die eigene Karriere forcieren müsste“, lacht er, „wir könnten durch ihren Erfolg wohl ewig so unterwegs sein und ich bin auch ein guter Sideman, aber sie merkte, dass mir in meinem künstlerischen Leben etwas fehlt.“

Jonsson ist auch im Gespräch ruhig, besonnen, charmant und von kindlicher Freude durchzogen, wenn er über Töne und Klänge referiert. Mit seiner Frau verbinden ihn mittlerweile nicht nur drei Kinder, sondern auch eine besondere musikalische Symbiose. Beide stecken sehr tief im jeweiligen Prozess des anderen, schreiben und produzieren gerne mit und geben sich ehrliches Feedback. „Wir hatten nie Diskussionen oder Spannungen und zogen immer am gleichen Strang. Wir sind aber überhaupt nicht gleich, nur ergänzen wir uns so gut. In der Musik haben wir eine Sprache gefunden, die wir beide sprechen. Außerdem reisen wir beide so viel, dass es gut ist, miteinander zu arbeiten. Ansonsten würden wir uns wahrscheinlich überhaupt nie sehen.“ Mentale Reisen bietet Jonsson auf seinem neuen Album „Intelligentle“ zuhauf an. Es sind manchmal poppige, manchmal träumerisch-schwelgerische Songs voll Piano- oder Elektronikklänge, die das Kunststück vollbringen, gleichermaßen zeitlos und zeitgemäß zu klingen.

Intelligenz und Liebe
„Intelligence und gentle - die Welt kann derzeit mehr von beiden Begriffen brauchen. Ein bisschen mehr Gedanken, wenn wir Entscheidungen treffen und ein bisschen mehr Liebe und Sanftheit untereinander und anderen gegenüber.“ Für den Titelsong wagt sich der 39-Jährige gar in futuristische Gefilde und besingt darin ein EU-Projekt, das versucht das menschliche Gehirn zu algorithmisieren und in ein Computersystem einzubauen. „Die Idee dahinter ist, dass man einen Menschen theoretisch hochladen kann. Er könnte für ewig in einem Computer weiterleben und nach seinem Tod mit seinen Lieben interagieren. Den Gedanken dazu finde ich eigentlich schrecklich, aber im Song nehme ich die Perspektive eines Typen ein, der sich dafür bewirbt, in diese Cloud hochgeladen zu werden.“ So sanft die Songs, die er meist mit Kopfstimme und partiell sogar auf Isländisch präsentiert, auch klingen mögen, die Inhalte dahinter sind zuvorderst aus dem Leben gegriffen und sorgen sich vor allem um die Probleme der gegenwärtigen Gesellschaft.

Auf „Eldvatn“ spricht Jonsson metaphorisch den Klimawandel an - die wichtigste und drängendste aller Thematiken, die er auf dem Album besingt. „Der Song ist wie ein Abschiedsbrief. Es legt sich jemand in die Badewanne und diese symbolisiert das Boot, in dem wir alle sitzen. Wir bejubeln die Klimakonferenz in Paris als die beste, die es bislang gab, setzen aber kein Zeichen, wie wir die Ziele einhalten können und nehmen Leiden von Ungeborenen in Kauf. Wir erlauben uns einfach mal so zwei Grad Erderwärmung, sodass ,nur‘ 90 Prozent der Korallenriffs verschwinden werden. Die Verschmutzung der Ozeane führt zu einem Kollaps der Biosphäre, unter dem die gesamte Menschheit leiden wird. Das Schlimmste daran ist aber, dass uns das nicht mehr treffen wird, sehr wohl aber unsere Kinder und Enkelkinder.“

Radikales Umdenken
Seitdem Jonsson dreifacher Vater ist, haben sich auch seine Lebensprioritäten verschoben. „Ich überlege oft, wie es denn ihnen einmal gehen wird, aber andererseits bringen dir Kinder so viel Hoffnung, die das Negative verdeckt. Ich finde es grandios, dass die Kinder fürs Klima auf die Straße gehen. Die Proteste gab es schon früher, aber da wurden alle als Hippies oder Öko-Aktivisten beschimpft. Jetzt merkt aber doch ein Großteil der breiten Masse, dass es längst fünf nach Zwölf ist. Auch ältere Leute verstehen langsam, worum es geht. Vielleicht helfen sie nicht aktiv mit, aber es würde schon reichen, wenn sie den Kids nicht mehr im Weg stehen. Vielleicht können wir dann nicht mehr jeden Tag Fleisch essen oder dreimal im Jahr mit dem Flieger für ein Wochenende nach Paris reisen, aber man muss auch radikaleres Umdenken fördern. Es ist doch schließlich auch radikal, was wir mit unserer Erde tun.“

„Intelligentle“ wollte Jonsson dieser Tage auch in Wien vorstellen, aus dem Konzert wurde vorerst nichts. Neue Termine sollen aber im Herbst folgen. Zu Österreich hat er eine besondere Beziehung, schließlich studierte in Graz und lebte auch eine Zeit lang in Wien. „Mit Beefolk hatte ich damals eine Band in Graz. Das war der Grund, warum ich dann insgesamt doch sechs Jahre hier lebte. Ich muss ehrlich sagen, dass die Lebensqualität hier wahnsinnig hoch ist und mir nie etwas fehlte. Vielleicht war aber auch das mein Problem, warum ich wieder nach Island wollte - es ging mir einfach zu gut. Das Essen ist super, man ist sofort in der Natur, im Sommer ist es warm und ich hatte immer tolle Freunde. Um aber wirklich vorwärts zu kommen, brauche ich manchmal die beißende Kälte Islands.“ Dort entstehen künftig sicher noch weitere Songs, die sich zwischen zwischenmenschlicher Emotionalität und gesellschaftlicher Erweckungserlebnisse befinden. Als Ehemann, Familienvater, Musiker und Hobbymaler ist Jonsson längst angekommen. Und dem Herzen? Dem geht es wieder gut. „Ich fragte den Arzt nach der OP, ob ich nun ein Cyborg sei. Halb Mensch, halb Maschine. Er lachte und meinte, ich wäre halb Mensch, halb Kuh. Sie haben mir nämlich tatsächlich einen Teil eines Kuhherzens transplantiert.“

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