Prozessbeginn im Mai

Sohn des „See-Killers“: „Er ist kein böser Mensch“

Österreich
31.03.2019 06:01

Am 8. Mai beginnt der Prozess gegen Alfred U. - den „See-Killer“. In der „Krone“ spricht jetzt seine Familie. Sein Sohn, dessen Partnerin. „Er ist kein böser Mensch“, sagen die beiden über den Mann, der eine Frau getötet und zerstückelt hat.

Eine Gemeindewohnung in Wien-Landstraße. Alte Möbel, mit billigen Lebensmitteln vollgeräumte Tische, auf dem Boden liegt Spielzeug. Thomas S. und Susanne G. (Namen geändert) sitzen auf einem rostbraunen Sofa, die Frau ist 37, der Mann 35. Beide wirken, als hätten sie schon einiges durchgemacht im Leben. „Unsere Karten standen von Anfang an nicht gut“, sagen sie und schauen auf ihren Sohn Alexander.

Der Achtjährige steht in der Mitte des Zimmers, hält einen Papierflieger in den Händen, zieht damit Kreise: „Ihm soll es besser gehen ...“ Der Satz klingt eher wie eine Hoffnung als ein Versprechen. Der Bub - still, in sich gekehrt, „sehr traurig“, erzählen seine Eltern, „seit diesem Sonntag im April 2018“.

„Und dann sahen wir sein Foto in der ,Krone‘“
Thomas S. und Susanne G. lasen damals, nach dem Frühstück, die „Krone“ ... Ein Bericht über Alfred U. - den „See-Killer“. „Und daneben war ein Foto von ihm. Von meinem Vater“, schluchzt Thomas S. „Im Schock“, so Susanne G., „haben wir Alexander das Bild gezeigt und ihm die Geschichte vorgelesen, das war ein entsetzlicher Fehler.“

„Ich mag den Opa nicht mehr“
Der Bub mischt sich in das Gespräch ein. „Ich mag den Opa nicht mehr“, schreit er. „Er war doch immer lieb zu dir“, versucht die Mutter ihn zu beruhigen. Der Kleine schüttelt den Kopf. Ein Kinderpsychologe hilft dem Schüler dabei, das Geschehene zu verkraften: „Wir glauben, er sagt ihm, dass er nicht mehr an seinen Großvater denken soll.“ Was wäre daran schlimm? „Trotz allem - der Opa gehört doch zu uns.“

Haben ihm Thomas S. und Susanne G. verziehen? „Er ist seelisch krank, nur deshalb wurde er zum Mörder.“ Nachsatz: „Und wir wissen: In seinem Innersten ist er kein böser Mensch.“

„Als Kind glaubte ich, er wäre längst gestorben“
Herr S., Ihr Vater beging von Jugend an wiederholt grauenhafte Verbrechen, saß ständig hinter Gittern. Wie konnten Sie überhaupt eine Beziehung zu ihm aufbauen? „Das geschah spät. Meine Eltern trennten sich, als ich noch sehr klein war, meine Mama schaffte es nicht, mich zu versorgen. Darum wuchs ich in einem Heim auf.“ Verwandte hätten ihm unterschiedliche Dinge über den Vater erzählt. Dass er tot sei, dass er nach Amerika ausgewandert sei: „Erst mit zwölf Jahren erfuhr ich die Wahrheit.“

„Mein Papa wurde damals aus dem Gefängnis entlassen, meine Mutter organisierte ein Treffen mit ihm. Gleich spürte ich eine enge Verbindung zu ihm. Und das blieb auch so, als er bald wieder eingesperrt wurde.“ Verachteten Sie ihn nicht wegen seiner Taten? „Er wurde oft zu Unrecht verurteilt.“

Hat Ihnen das Ihr Vater so gesagt? „Ja, und ich glaube ihm.“ Schließlich sei Alfred U. auch ihm stets zur Seite gestanden, „wenn ich Probleme hatte“. Und das waren - und sind - viele. Thomas S., vielleicht aufgrund seiner Vita, ständig auf der Suche. Nach Nähe? Nach dem Abenteuer? Wechselnde Jobs, sieben Kinder von vier verschiedenen Frauen, außer Alexander sind sie alle - wie einst er selbst - in staatlichen Einrichtungen untergebracht.

Die Beziehung zu Susanne G.? „Ein ewiges Auf und Ab“, klagt sie, „Thomas hat gerade wieder einmal eine neue Freundin. Manchmal denke ich mir, er hat die Sex-Sucht und die aufbrausende Art von seinem Vater geerbt.“ Ihr Verhältnis zu Alfred U.? „Für mich ist er mein Papa.“

Auch die 37-Jährige war einst ein Heimkind, „nie hatte ich eine echte Bezugsperson“. Und U. habe diesbezüglich „eben einiges aufgefüllt“. Alexander war drei, „als mir Thomas gestand, dass sein Vater im Gefängnis sitzt“. Ein paar Wochen später kam es zu einer ersten Visite von ihr bei Alfred U.

„Ich fand ihn auf Anhieb sympathisch, rasch entstand zwischen uns ein starkes Vertrauensverhältnis. Bis jetzt fühle ich mich in seiner Gegenwart extrem geborgen.“ Warum? „Er hört mir zu, wenn ich über mich rede. Das tut sonst keiner.“

Die Zeit zwischen seiner Freilassung 2016 und der Verhaftung im Vorjahr „war sehr schön. Wir verbrachten viel Zeit miteinander. Thomas, Alexander, er und ich. Wir sind eine richtige Familie gewesen.“ Es gab Kochabende, „die Wochenenden verbrachten wir in der Seehütte in Rust, wir hatten dort richtig Spaß, wir grillten“. Und „der Opa“ habe „so gern“ mit Alexander, „seinem großen Stolz“, gespielt, ihm Lego und Matchbox-Autos gekauft.

„Er schenkte mir so viele Stofftiere ...“
Susanne G. schenkte er Stofftiere: „Weil ich die so mag.“ In ihrer Kindheit habe sie nie welche besessen, „nun sammle ich sie“. Auf den Kästen, der Couch, in Regalen, überall liegen Bären, Hasen und Rehe aus Plüsch: „Die meisten davon sind vom Opa.“

„Wir werden nie aufhören, zu ihm zu halten“, wird das Paar nicht müde zu betonen: „Wir werden ihn nie fallen lassen.“ Zu ihm ins Gefängnis gehen, „bis zu seinem Tod“. Und irgendwann, dessen sind sich die beiden sicher, „wird auch Alexander wieder seinen Opa sehen wollen“.

Der Bub hat sich längst in das zweite Zimmer der Gemeindewohnung zurückgezogen. Er sitzt dort auf einem Bett und blättert in einem Märchenbuch.

Die Tat, die Anklage - und ein schlimmer Verdacht
Die grauenhafte Tat geschah am 28. März 2018. Alfred U., der wegen schwerer Gewaltdelikte an Frauen bereits 32 Jahre hinter Gittern verbracht hatte und damals seit eineinhalb Jahren auf Bewährung entlassen war, tötete in seiner Wohnung in Wien-Brigittenau die Gelegenheitsprostituierte Zsuzsa S. (28). Danach zerstückelte er ihre Leiche, behielt Teile davon in seiner Tiefkühltruhe, „um später davon zu essen“, wie er später gestand. Den Rest versenkte er im Neusiedler See. Mitte April wurden die sterblichen Überreste der Ungarin gefunden, bald kam die Polizei auf U.s Spur - denn der mehrfach Vorbestrafte besaß in Rust eine Hütte.

Der mittlerweile 64-Jährige ist jetzt wegen Mordes und Störung der Totenruhe angeklagt, laut einem psychiatrischen Gutachten gilt er als seelisch hochgradig gestört. Weiterhin laufen Ermittlungen gegen U. Er steht unter dem Verdacht, auch schon 1993, während eines Freigangs, eine Prostituierte ermordet zu haben.

Martina Prewein, Kronen Zeitung

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