Netz in Bewegung

Nic.at-Chef Richard Wein über die Zukunft des WWW

Web
10.03.2010 18:33
Umbrüche stehen an in der Welt des Internets. Neue Top Level Domains (TLDs), das sind unscharf formuliert die Endungen der Adressen im Web wie zum Beispiel ".at" oder ".com", sollen in großem Stil eingeführt werden. Doch noch ist unklar, wie sich die Öffnung der Vergabe solcher TLDs auch an Firmen und geographische Bezeichnungen auf das WWW auswirken werden. krone.at traf deshalb Richard Wein, Chef der österreichischen Domainverwaltungsstelle Nic.at, um mit ihm über die aktuellen Entwicklungen zu sprechen.

krone.at: Herr Wein, einiges tut sich in der Welt des Internets. Top Level Domains sollen für Firmen und auch geographische Begriffe geöffnet werden, damit es etwa auch Adressen mit der Endung ".cocacola" oder ".wien" geben kann. Wie weit ist diese Entwicklung gediehen?
Richard Wein: Jetzt stehen wir mitten in dem Prozess, wo die ICANN die Anforderungen definiert, wer solche Domains beantragen kann. Welche Bedingungen erfüllt sein müssen, welche technischen Voraussetzungen und auch welche finanziellen Vorausstzungen. Zu erwarten ist, dass wir etwa Anfang 2011 ein Fenster bekommen, wo diese Domains Realität werden können.

krone.at: Das ist relativ spät – die neuen TLDs waren bereits für diesen Frühling angekündigt.
Wein: Es hat sich alles stark verzögert, weil es nicht nur Leute gibt, die glücklich mit dieser Entwicklung sind. Manche Markenmanager sagen: "Das ist doch Wahnsinn. Wir haben es jetzt nach vielen Jahren geschafft, alle unsere Brands in den bestehenden TLDs zu registrieren. Wenn ihr das jetzt wieder aufmacht, haben wir ein Problem." Ich denke da an Marken wie etwa Marlboro oder Coca Cola, die wahrscheinlich in jeder existierenden TLD ihre Domain haben. Wenn jetzt 100, 500, 1.000, oder gar 5.000 neu dazukommen, bedeutet das einen wahnsinnigen Aufwand für die Unternehmen. Andere sagen wieder, dass Themen wie Privacy und Datenschutz ungeklärt sind.

krone.at: Das hat also zu der Verzögerung geführt?
Wein: All diese Diskussionen haben zu der Verzögerung geführt. Aber allerspätestens vor dem nächsten ICANN-Meeting im Juni in Brüssel soll das finale Papier zu den Anforderungen am Tisch liegen. Da gibt es einige: Alleine die Bewerbungsgebühr für eine der neuen TLDs bei der ICANN kostet 185.000 US-Dollar – das ist nur die Gebühr, damit man sich bewerben darf. Da ist sonst noch nichts passiert. Insgesamt rechnet man zwischen Kosten in Höhe von ein bis zwei Millionen Euro, die man haben muss, um so etwas vernünftig auf die Füße zu stellen.

krone.at: Gibt es da bereits konkrete Pläne aus Österreich?
Wein: Es gibt Aussagen, die gehen vom zweistelligen bis in den vierstelligen Bereich - bis zu 10.000 weltweit. In Österreich glaube ich, dass es unter zehn neue TLDs bleiben. Ich kenne zwei – Tirol und Wien. Ich weiß von ein paar Firmen, die OMV, Red Bull, die klassischen großen Marken. Für die macht das Sinn. Aber ich weiß von keinen anderen, die sich aktiv darum bemühen. Vielleicht denken sie darüber nach, aber ob sie konkret interessiert sind, wird sich erst zeigen. Es gibt von der ICANN einen Beschluss, wonach jeder Interessierte einen Vorvertrag unterschreiben muss, der 50.000 US-Dollar kostet. Damit will man Überblick schaffen und die Unsicherheit beseitigen, ob es 50 oder 500 oder 5.000 werden. In den nächsten Monaten wird sich also auch zeigen, wieviele Anträge aus Österreich dabei sind.

krone.at: Das ist für viele wahrscheinlich auch eine Kostenfrage.
Wein: Genau, man muss sich die Kosten genau anschauen. Ein, zwei Millionen Euro muss man als Minimum-Startkapital für so eine neue TLD rechnen, hinzu kommen noch die Kosten für zehn Jahre Betrieb und so weiter. Das kann sich vielleicht eine OMV leisten und sicherlich auch BMW. Bei der Stadt Wien wird es da schon schwieriger, denn wer finanziert das? Ist es die Stadt, die Gemeinde, der Tourismusverband? In Tirol hat sich der Tourismusverband dazu durchgerungen, das zu tun. Bei Marken sieht eine eigene TLD natürlich sexy aus – zum Beispiel "Tasche.prada". Für Firmen wie Red Bull, wo ein paar Millionen keine Rolle spielen, sind eigene TLDs sicherlich ein Thema. Die werden aber trotzdem nicht von "Redbull.com" weggehen, sondern eher Unterbrands einführen. Ich habe mit jemandem von BMW gesprochen, der sagte, die zwei oder drei Millionen zum Start schreckten ihn nicht. Was ihn schreckt, ist das komplette Rebranding. Alle Welt kennt jetzt "BMW.com". Jetzt alles auf ".bmw"umzumünzen, in all den verschiedenen Ländern, das kostet dann das Hundertfache von den zwei Millionen Euro am Anfang. Deshalb überlegen sich die Firmen das natürlich.

krone.at: Sind die neuen TLDs eigentlich vor Missbrauch geschützt, oder kann sich jeder, der das nötige Geld hat, etwa die Domain ".bmw" sichern?
Wein: Genau das ist der Streitpunkt, warum sich alles um mindestens ein Jahr verzögert hat. Speziell die Markenschützer sagen: "Wie kann ich mich gegen Missbrauch schützen?" Bei BMW ist es offensichtlich, das ist eine sehr bekannte Marke. Es gibt aber auch nicht so bekannte Marken. Oder nehmen wir das Beispiel Apple: Da gibt es den Apfelzüchterverein aus Kalifornien, es gibt die Firma Apple und es gibt die Plattenfirma Apple. Die Frage dabei ist, wer hier die besseren Rechte hat, wer soll ".apple" bekommen? Sind die Äpfelzüchter schlechter als der Weltkonzern Apple? Das sind Fragen, die derzeit nicht klar sind. Es gibt verschiedene Lösungsvorschläge, vom "first come – first serve" bis hin zur Möglichkeit von Versteigerungen, wenn offensichtlich mehrere Rechteinhaber da sind. Dann bekommt es der, der am meisten Geld hat. Ob das eine gute oder eine schlechte Lösung ist, weiß ich nicht. Es wird aber sicherlich nicht nur Gewinner geben.

krone.at: Besteht nicht die Gefahr, dass das Internet durch eine Flut an neuen TLDs noch unübersichtlicher wird?
Wein: Ja, die besteht. Ich glaube, dass sich der gemeine User auf der Straße überhaupt nicht mehr auskennen wird. Ein, zwei Jahre wenn nicht gar mehr wird es dauern, bis irgendjemand wieder durchblickt. Heute ist man es gewohnt, zu googeln oder in Österreich etwa einfach ".at" als Bezug einzugeben. Das wird sich zwangsläufig verändern. Google auf der anderen Seite ist nicht unglücklich darüber, denn bei spezifischen Einschränkungen werden die Suchtreffer höher. Aber der User, der das Internet nur zum Surfen nutzt, wird am Anfang völlig überfordert sein. Bei 20 neuen TLDs, ist das kein Problem. Aber bei 200 oder 2.000 neuen?

Interview: Stefan Taferner

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