Mit neuem Album

Billie Eilish: Pop-Hoffnung einer ganzen Industrie

Musik
29.03.2019 13:30

Kaum einem Album haben Pop-Fans in diesem Jahr so entgegengeharrt wie dem Debüt der US-Pop-Senkrechstarterin Billie Eilish. „When We Fall Asleep, Where Do We Go?“ ist eine bunte Mischung aus zeitgemäßen Sounds und verzichtet fast vollständig auf opulente Großspurigkeiten. Lassen sich damit reduzierte Pop und das Albumformat retten? Live zu sehen ist Eilish im Sommer beim Frequency Festival.

(Bild: kmm)

Stellen Sie sich vor, Sie sind zarte 17 Jahre jung und auf Ihnen lastet die Bürde der Popmusik-Zukunft. Man kennt Sie aus düster-durchdachten Videos, überhäuft Sie mit Lobpreisungen und merkt Ihr Debütalbum auf Apple Music 800.000 Mal vor. Man stilisiert Sie schon vor den ersten großen Bewährungsproben am heiß umkämpften Markt wahlweise als die neue Lady Gaga, die neuen Nirvana oder das zeitgemäße weibliche Pendant zu Marilyn Manson. Sie werden gleichermaßen von der Punk-, Rock-, Pop-, Hip-Hop- und Trap-Klientel geliebt. Man erwartet im Endeffekt nichts weniger von Ihnen, als dass sie die Popwelt in ihren Grundfesten erschüttern und revolutionieren sollen. Wiederaufbau nach bewusster Zerstörung. Die Uhr wieder ganz zurückstellen, von vorne beginnen und vielleicht auch noch das ausgestorben wirkende Albumformat durch die stürmischen Streaming-Zeiten zu retten.

Abseits üblicher Mechanismen
Als die Kalifornierin Billie Eilish mit ihrem Bruder Finneas den Song „Oceans Eyes“ schreibt, ist sie 13 Jahre jung. Zusammengestoppelt wird die Nummer im Kinderzimmer, nach wenigen Wochen kassiert sie fünfmal Platin und ist aus dem Showbusiness nicht mehr wegzudenken. Das in Los Angeles aufgewachsene Multitalent ist keine Autodidaktin im klassischen Sinne. Sie stammt aus einer Familie voller Musiker und Schauspieler - Kunst und Kultur umfließt ihr Dasein von Kindheitsbeinen an und prägt Eilish schon sehr früh in ausgeprägtem Maße. Mit ihrem vier Jahre älteren Bruder verbindet sie ein undurchdringbares Band, mit dem sie sich schon früh von den üblichen Mechanismen des Pop-Business emanzipiert. Dort, wo seit Jahren die Prämisse „höher, schneller, weiter“ gilt, wird meist auf eine Handvoll Produzenten und gefühlte 452 Songwriter zurückgegriffen. Eilish lässt die Kreativität in der Familie und schert sich einen Dreck um opulente Produktionen oder erwartete Konventionen.

Minimalismus und Zurückhaltung sind ihr auch auf dem Debütalbum das wichtigste Gut. „When We Fall Asleep, Where Do We Go?“ nennt es sich und sorgt bei der täglich wachsenden Fanklientel und der Musikpresse seit Monaten für nervöses Nägelbeißen. Die Plattenfirma behandelt das Werk wie den Heiligen Gral. Es werden auf Anfrage Streams verschickt, die nur wenige Stunden halten, man muss Berichterstattungsembargos unterzeichnen, um den Hype nicht allzu früh im Keim zu ersticken. Ein sonderbar-nervöses Handling in Zeiten der Streamingkultur und der permanenten Verfügbarkeit jedwedes musikalischen Materials. Das Billie-Eilish-Debüt wird von der Industrie bewusst mystifiziert, um auch das aussterbende Format Album wieder verstärkt ins Rampenlicht zurückzuholen. Ihr traut man es gemeinhin am ehesten zu, die Jugend weg vom reinen Playlist-Streamen wieder zurück zum Gesamtprodukt zu kriegen. Ein hehres aber nicht unmögliches Ziel, denn ihr Erstwerk ist zwar nicht offensichtlich konzeptionell, aber eine runde, in sich geschlossene Sache. Die Singles „Bury A Friend“ und „Wish You Were Gay“ rotieren in den Smartphones der Juvenilen auf Anschlag.

Buntes Potpourri
In Songs wie „Bad Guy“, „You Should See Me In A Crown“, „When The Party’s Over“ oder „My Strange Addiction“ geht es nicht nur um die bekannten Sorgen und Nöte eines US-amerikanischen Teenagers, sondern auch um Paranoia, Psychosen und paranormal wirkende Aktivitäten im Kopf der Protagonistin. In Interviews betont Eilish immer wieder, dass sie und ihr Bruder beim Songwriting auf reine Fiktion setzen, wer aber weiß, dass sie am Tourette-Syndrom leidet und sich mit großer Hingabe unnahbar und apathisch inszeniert, der findet genug autobiografische Querschnitte in den Songs. Musikalisch wildert sie bunt durch zeitgemäße Sounds, die mal im Trap, mal im Electro oder auch im Indie-Segment vorkommen können. James Blake oder The xx sind ebenso Referenzen wie ihr großes Idol Lana del Rey, der sie in punkto optischer Düsternis als kleine Schwester dienen könnte. Der kleinste gemeinsame Nenner aller Songs ist die bewusste Reduktion. Von Großspurigkeit und pompösen Pathos ist auf dem Album keine Spur - Eilish ist mit alle ihren Macken und Fehlern eine von uns und als solche vielleicht tatsächlich die einzig vorhandene Rettung für Popmusik abseits von überkandidelten Glitzer und Glamour.

Live zu sehen ist Billie Eilish, die sich heuer erstmals auf großer Europa-Tour befindet, im August beim Frequency Festival im St. Pöltner Green Park. Tickets und weitere Infos gibt es unter www.frequency.at.

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