„Kalifat“ besiegt

Geflohen oder tot? Schicksal von IS-Chef ungewiss

Ausland
23.03.2019 21:01

Sein „Kalifat“ ist zerschlagen, doch der Verbleib von IS-Führer Abu Bakr al-Baghdadi bleibt ein Rätsel. Versteckt er sich mit seinen letzten Kämpfern in der syrischen Wüste, ist er im Irak untergetaucht oder längst tot? Auch nach der Einnahme der letzten Bastion der Dschihadistenmiliz Islamischer Staat im Osten Syriens ist Baghdadis Schicksal ungeklärt, obwohl die USA auf seine Festnahme 25 Millionen Dollar (rund 22 Millionen Euro) ausgesetzt haben.

Öffentlich aufgetreten ist der 1971 geborene Sohn einer armen Familie im zentralirakischen Samarra auf dem Höhepunkt seiner Macht im Sommer 2014. Unmittelbar nach der Eroberung der der nordirakischen Großstadt Mossul ruft Baghdadi das „Kalifat“ des Islamischen Staates aus und ernennt sich selbst zum Kalifen. Bei einer Predigt in der Al-Nuri-Moschee forderte er den „Gehorsam“ aller Muslime gegenüber seinem Reich, welches damals nach zahlreichen Blitzoffensiven der Terrorkrieger weite Teile Syriens und des Irak umfasste.

Baghdadi, das IS-Phantom
Seitdem veröffentlichte seine Gruppe in unregelmäßigen Abständen Audiobotschaften, die von Baghdadi stammen sollen. Doch wurde der Iraker, der an Diabetes leidet, nicht wieder in der Öffentlichkeit gesehen. Mehrfach wurde er bereits für tot erklärt, mindestens einmal wurde er verletzt.

„Er ist nur von drei Menschen umgeben: Seinem älteren Bruder Jumua, seinem Fahrer und Leibwächter Abdellatif al-Juburi, den er seit seiner Kindheit kennt, und seinem Kurier Saud al-Kurdi“, sagt der Dschihadismus-Experte Hisham al-Hashemi. Er vermutet die vier in der weitläufigen Badia-Wüste im Zentrum Syriens. Dort sei im vergangenen Juli auch Baghdadis Sohn Hudhaifa al-Badri in einer Höhle von drei russischen Raketen getötet worden.

Geflohene sprechen von „Befehl“ Baghdadis
Der Sprecher der Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF), die den Kampf gegen die Dschihadisten im Osten Syriens anführten, glaubt dagegen nicht, dass der IS-Führer noch im Land ist. Sie hätten „keine Informationen über die Präsenz Baghdadis in Syrien“, sagt Mustefa Bali. Aber einige, die aus der letzten IS-Bastion in Baghouz flohen, gaben an, sie seien dazu von Baghdadi aufgefordert worden.

Theologiestudium statt Anwaltskarriere
Ibrahim Awad al-Badri, wie der IS-Kalif mit bürgerlichem Namen heißt, träumte einmal davon, Anwalt oder Soldat zu werden, doch seine mangelhaften Schulnoten und schlechte Augen verhinderten beides. So studierte er schließlich in Bagdad Theologie, bevor er nach der US-Invasion 2003 als Anführer einer Dschihadistengruppe in den Untergrund ging.

Die Journalistin Sofia Amara, die einen Dokumentarfilm über ihn gedreht hat, sagt, er mache nicht den Eindruck eines „brillanten Manns“, sondern erscheine eher als „geduldig und arbeitsam“. Doch habe der „geheime Planer“ schon früh „eine sehr klare Vorstellung“ von der Organisation gehabt, die er schaffen wollte. Als er 2004 im Februar von den Amerikanern im Gefängnis von Bucca inhaftiert wurde, knüpfte er dafür wichtige Kontakte.

Gefängnis als „Universität des Dschihad“
Das Gefängnis im Südirak galt als „Universität des Dschihad“, da dort radikale Islamisten mit Militär- und Geheimdienstleuten des gestürzten Baath-Regimes von Saddam Hussein zusammenkamen. „Alle haben gemerkt, dass dieser schüchterne Typ ein feiner Stratege ist“, sagt Amara über Baghdadis Zeit in Bucca. Als er im Dezember 2004 aus Mangel an Beweisen freikam, schloss er sich dem Al-Kaida-Führer Abu Moussab al-Zarkawi an. Als erst Zarkawi und dann sein Nachfolger getötet wurden, übernahm der einstige Theologiestudent aus Samarra 2010 unter dem Namen Abu Bakr al-Baghdadi die Führung der Extremisten im Irak.

Indem er frühere Offiziere Saddam Husseins anwarb, machte er aus seiner Guerillagruppe eine schlagkräftige Truppe und nannte sie „Islamischer Staat“ (IS). Sie überrannte im Sommer 2014 die nordirakische Großstadt Mosul und drang binnen weniger Wochen bis vor Bagdad vor. Doch mit Gräueltaten und blutigen Anschlägen brachte er viele Iraker und Syrer sowie die internationale Gemeinschaft gegen sich auf. In den vergangenen Jahren folgte eine Niederlage auf die andere, und nach dem Verlust des letzten Dorfs in Ostsyrien bleiben dem IS-Führer nur noch einige versprengte Zellen.

Irak: Konflikt zwischen Sunniten und Schiiten als Drohpotenzial
Doch die Gefahr eines Wiedererstarkens des IS sowie die Bedrohung durch den Terror besteht nach wie vor. Die chaotischen politischen Verhältnisse im Irak und in Syrien, die den IS einst groß werden ließen, bestehen weiter. Im Irak etwa wurden die vornehmlich sunnitischen Gebiete, in denen der IS herrscht, bei der Rückeroberung massiv zerstört. Mossuls Altstadt liegt komplett in Trümmern. Doch der Aufbau kommt kaum voran. Die Sunniten sehen sich noch immer von der Mehrheit der Schiiten im Irak diskriminiert - das ließ einst viele mit dem IS sympathisieren.

Was passiert nach US-Abzug aus Syrien?
Auch Syriens Bürgerkrieg ist weit von einer politischen Lösung entfernt. Stattdessen droht eine neue Front, denn die Türkei ist zu einer Offensive gegen die syrischen Kurden entschlossen. Ankara sieht in der Kurdenmiliz YPG den syrischen Ableger der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK. Ein US-Abzug würde den Weg für die türkische Armee freimachen. Doch die Kurden haben schon gewarnt: Sollte die Türkei eine Offensive starten, könnte das Chaos dazu führen, dass Tausende IS-Kämpfer aus den Gefangenenlagern entkommen.

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