Album & Interview

Health: Die wilde Schönheit der Aggressivität

Musik
04.03.2019 07:00

Mit „Vol. 4: Slaves Of Fear“ hat das Industrial-Metal-US-Trio Health dieser Tage sein neues Studioalbum veröffentlicht. Vor ihrem gefeierten Gig in der Wiener Arena gab Bassist John Famiglietti einen tieferen Einblick in den originären Klangkosmos der Band aus Los Angeles.

(Bild: kmm)

Mitten aus der wabernden Noise-Szene Kaliforniens fanden sich 2015 vier junge, den Mechanismen des Mainstreams und der vorherrschenden Musik überdrüssige Männer zusammen, um mit einem völlig eigenständigen Soundgebräu und intensiven Liveshows eine neue Duftnote ins Spiel zu bringen. Dass der ausgewählte Bandname Health ungooglebar ist, war ihnen genauso egal wie Erwartungshaltungen von außen. So gelang ihnen mit den ersten beiden Alben „Health“ und „Get Color“, zwei Remix-Werken und dem Soundtrack zum Computerspiel „Max Payne 3“ der Eintritt in neue Sphären. Nicht zuletzt durch ihre wahnwitzigen Videos und der wie ein Damoklesschwert über den Köpfen der Hörer schwebenden atmosphärischen Bedrohlichkeit stilisierten sie sich zu einem Kult-Act, der nicht nur die engen Stadtgrenzen von Los Angeles, sondern schon bald auch die gesamte USA überragen sollte. Touren mit den Crystal Castles oder den Fuck Buttons waren die Folge, obwohl gerade der Spiele-Soundtrack im Underground kritisch hinterfragt wurde.

Zäsur
„Oft mussten wir uns Kritik von all den pseudocoolen Indie-Hipstern anhören, die sich abfällig über Computerspiele mokierten“, erinnert sich Bassist und Bandsprachrohr John Famiglietti im Interview mit der „Krone“, „wir sind aber immer noch verdammt stolz darauf, denn dieser Soundtrack öffnete uns die Türen zu einem neuen und jüngeren Publikum, das sonst wohl nicht auf unsere Musik aufmerksam geworden wäre. Die Kids lesen nicht den ganzen Tag Kritiken auf Pitchfork“, fügt er lachend hinzu. Die Online-US-Musikbibel war Health viele Jahre lang wohlgesonnen, wirft dem zum Trio geschrumpften Kollektiv auf dem brandneuen Werk „Vol 4.: Slaves Of Fear“ aber Stagnation vor. Tatsächlich stellte „Death Magic“ 2015 eine Art Zäsur im Soundkosmos von Health dar. Die krachigen Noise-Referenzen wurden zugunsten von groovigem Metal und wuchtigen Industrial-Einsprengsel zurückgestellt. Damit wurden die Kalifornier gleichzeitig etwas eingängiger, als auch brutaler. Für unverbesserliche Klangpuristen ist eine solche Umwandlung ein Sakrileg.

„Wir haben unseren Sound für ,Vol.4‘ nun verfeinert und sind wieder stärker zurück zu den Anfängen der Band gegangen. Rückblickend ist uns ,Death Magic‘ etwas zu konservativ ausgefallen.“ Der stampfende Groove in „Feel Nothing“ oder das latente Unwohlsein im Sound der Single „Strange Days (1999)“, für das die Band sogar ein Facebook-Messenger-Spiel designt hat, sind Beispiele für die stete Progressivität einer Band, deren Kreativpotenzial noch lange nicht auslotet ist. „Wir kommen aus einer Szene ohne Zonen, die keine Grenzen kennt. All die Bands aus der L.A.-Noise-Szene der frühen 2000er-Jahre haben einen sehr unprätentiösen Zugang zu Musik. Am Wichtigsten ist uns, neu und unverbraucht zu klingen.“ Das Erfolgsgeheimnis von Health liegt in der Ambivalenz begründet. Während maschinell-kalte, durchdringende Riffs und Beats die schiere Aggression widerspiegeln, legt Frontmann Jake Duzsik seine androgyn-sanfte Dreampop-Stimme über die Tracks und sorgt damit für etwas völlig Originäres.

Streaming als Chance
Doch ist es wirklich immer so einfach, dass sich drei kompositorisch als auch menschlich unterschiedliche Individuen im gemeinsamen Kontext so schnell finden? „In der Basis ticken wir drei ziemlich gleich. Wir lieben Classic Rock und die großen Rockmusiker aus bestimmten Bereichen. Die Liste unserer All-Time-Lieblingsmusiker deckt sich ziemlich, was den Zugang zur Musik schon einmal vereinfacht. Wenn wir im Van von Stadt zu Stadt fahren, legen wir einfach die ,Rock’s Greatest‘-Playlists auf.“ Playlists sind ein gutes Stichwort, denn während Health mit Feuereifer an das Konzept Album glauben, sind sie trotzdem nicht zu stur oder vermessen, um die Moderne zu ignorieren. „Streaming ist doch etwas Wundervolles. Dadurch hast du Zugang zu allen Songs einer Band. Ich höre mich oft durch ganze Diskografien und damit auch durch die beschissenen Alben. Das würdest du sonst nie machen, weil du dir sie gar nicht einmal kaufen würdest. Ich bin mir ziemlich sicher, dass unsere Fanbase auch im Online-Zeitalter die Geduld hat, unser Album als Ganzes zu streamen.“

Schon der Albumtitel verrät, dass sie ihrer gemeinsamen Lieblingsband Black Sabbath huldigen, inhaltlich besingt Duzsik wie gewohnt den dystopischen Nihilismus, der sich thematisch keinesfalls zu stark einengen will. Fragen zu einer Querverbindung zwischen Album und politischer Stimmungslage in den USA schieben Health einen Riegel in Form von temporärer Kurzsilbigkeit vor. „Natürlich ist das für unsere Musik nicht unerheblich und wir sind uns unserer Situation durchaus bewusst. Im Endeffekt wollen wir aber einfach rocken.“ Ganz ihrem eigenwilligen Naturell entsprechend, vergleicht Famiglietti die gegenwärtige Musikszene gerne mit Kurt Vonneguts Roman „Schlachthof 5“. „Durch das Internet sind heute Zeitreisen möglich. Alles ist permanent verfügbar und du kannst nach Lust und Laune darin herumspringen. Das ist auch für Underground-Bands wie uns toll, weil wir dadurch ein breiteres Publikum erreichen.“ Health sind keine Grenzen gesetzt, solange der Sound einzigartig und spannend bleibt. „Vielleicht werden wir auch mal eine Bigband und machen Swing-Metal“.

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