„Krone“-Interview

Bilderbuch: „Wir wollen einfach nur Liebe sehen“

Musik
21.02.2019 07:00

Mit „Vernissage My Heart“ veröffentlichen Bilderbuch dieser Tage ihr zweites Album nach „Mea Culpa“ letzten Dezember. Für Aufregung sorgt Österreichs erfolgreichster Pop-Export aber nicht nur wegen der Musik, sondern auch ob der damit einhergehenden Kunstaktionen, wie dem in Sozialen Medien vielfach geteilten „EU-Pass“. Sänger Maurice Ernst nahm sich ausreichend für uns Zeit, um Themen wie den Werdegang der Band, politische Haltungen, Kunst vs. Kommerz und seine Liebe zum Albumformat anzusprechen.

(Bild: kmm)

„Krone“: Maurice, nach „Mea Culpa“ letzten Dezember erscheint nun euer zweites Album „Vernissage My Heart“. Mit eurer EU-Pass-Social-Media-Aktion zum Song „Europa 22“ habt ihr gewaltig für Aufsehen gesorgt. Sogar gestandene Politiker wie Martin Schulz oder Heiko Maas haben da mitgemacht und sich selbst diesen „EU-Pass“ ausgestellt. War der Erfolg in diesen Sphären zu erwarten?
Maurice Ernst: Das hätte ich so nicht erwartet. Als Musiker denkt man eher innerhalb des Kunstwerks und da ging es uns darum, statt einem Musikvideo die modernen Medien zu nutzen. Für mich verkörpert der Song Hoffnung. Es ist eine Ode an meine Generation und mein Lebensgefühl. Dass es mir immer möglich war, frei auf diesem Kontinent zu reisen. So eine Idee erscheint aus dem Nichts und entsteht aus einzelnen Schritten. Es war eine Kunstaktion, genau wie ein Musikvideo. Wir werden keine Wahlkampagne machen, sondern haben nur einen kurzen Moment darauf hingewiesen. Am Ende geht es bei uns trotzdem um die Songs und die Konzerte.

In erster Linie würde ich dieses Statement auch als humanistisch und nicht direkt als politisch betrachten.
Genau. Könnte ich es mir aussuchen, würde ich „One Earth“ schreiben, aber das würde dann unter Umständen keiner verstehen, weil es zu abstrakt und utopisch wäre. Wir wollen mit der Aktion ein Gefühl vermitteln. Wir geben den Leuten die Möglichkeit, etwas damit anzufangen. Für uns ist die Sache damit erledigt.

Die jungen Menschen nehmen Europa tatsächlich anders wahr und wollen etwas verändern. Sie gehen derzeit rundum auf die Straße, um für Klimaschutzziele zu protestieren und wollen den Brexit nicht einfach so hinnehmen. Wollt ihr mit einem Song wie diesem die Welt etwas verbessern?
Ganz konkret in die Richtung geht nur dieser Song. Das Album spielt ein bisschen mit hippieesker Naivität oder mit dem 70er-Gedanken, dass man, wenn alles bröselt, einfach nach oben zu den Sternen blickt und sich die Liebe aus dem All holt. Bei „Frisbeee“ geht es darum, sich die Hände zu reichen. „Kids im Park“ spielt auch mit Nächstenliebe, ohne eine Religionslehrstunde dafür zu sein.

Ein so klares politisches Statement wie „Europa 22“ gab es von euch aber auch noch nie zuvor.
Es hieß oft, Bilderbuch wären keine politische Band, aber ich weiß ehrlich nicht, ob das so stimmt. Wir haben da und dort schon immer Songs gehabt, in der wir eine Haltung zeigten, die automatisch politisch ist. Wir haben uns mit dem Song einen Moment zugetraut, aber das bedeutet nicht, dass wir so weitermachen. Ich wollte nie meine Meinung auf Facebook raushauen, weil ich damit nicht jeden Tag in der Zeitung stehen möchte. Wir machen seit 14 Jahren Musik und manchmal kommt einem so ein Song wie „Europa 22“ in den Sinn, weil man einem Gefühl nachgeht. Wir hatten schon Songs, mit dadaistischeren Ansätzen, die auch eine Botschaft transportierten, aber die Leute finden offenbar nur dann etwas Politisches, wenn es klar und deutlich oben draufsteht. Ich finde es schade, dass Menschen da zu schnell urteilen. Wir sind nur der Hebel für eine Bewegung. Es ist nur Popmusik und wir sind keine Oberlehrer. Wir stellen eine Idee hin, stehen dahinter und dann sehen wir, ob die Leute einen guten Umgang damit finden.

Wenn aber eben Personen wie ein Martin Schulz bei dieser Kampagne mitmachen, bleibt die politische Assoziation zu euch nicht aus.
Das ist krass, dass all das in so wenigen Stunden eine solche Entwicklung nahm. Dass es so einen Anklang findet, ist sehr spannend. Die Idee ist auch nicht neu, denn schon zur Jahrhundertwende war Europa sehr offen. Ich will keine Gräben aufreißen oder provozieren, sondern einfach ein bisschen Liebe sehen, ohne das zu kommentieren.

Ich finde, dass bei euren beiden neuen Alben das Gefühl mitschwingt, eure Generation ein bisschen aus dem Virtuellen ins reale Leben zurückholen zu wollen.
„Mea Culpa“ ist mehr in der digitalen Welt verankert. Es geht um die digitale Tristesse, die Liebe zu einer Person über ein Medium und wie man Liebe heute empfinden kann. Es ist eine private Platte. „Vernissage My Heart“ will ein Bild von einer Welt zeichnen, die nicht zynisch und sehr positiv ist. Sie hält manchmal das Schild der Naivität vor sich. Die Textzeile „Alle meine Freunde spielen Frisbee heut Nacht und mir wird wieder klar, die Erde ist flach“ ist ein gutes Beispiel. Im Netz gibt es ja die „Flat Earth Society“. Menschen, die wirklich daran glauben, dass die Erde flach ist. Diese Leute sind in einer Art Ohnmacht, weil ihnen alles über den Kopf wächst. Sie suchen nach Menschen, die dasselbe denken und denen sie die Hand geben können. In Wahrheit ist es eine Flucht in eine Gruppe, die zusammenhält. Wir entkräften diese Welt mit einem Schmunzler und sagen „Passt schon, alles ist gut“. Die Platte hat auch eine digitale Esoterik, aber sie will nur das bunte, gute, lebendige Dasein abbilden. Das Album nimmt sich auch unheimlich viele Freiheiten.

Ihr nehmt euch als Band musikalisch auch immer mehr Freiheiten. Je weiter eure Karriere voranschreitet, umso unberechenbarer scheint euer Sound zu werden.
Darüber habe ich viel nachgedacht. Wir merken erst jetzt, wie wenig wir an das Musikbusiness oder an ein bestimmtes Format gedacht haben. Wo kann die Musik passieren? Radio? Playlist? Wir vier waren zwei Wochen in einem Haus in Kroatien und haben in Ottakring in einem gemieteten Keller zusammengespielt. Wenn man nicht links und rechts schaut, sondern einfach nur Musik macht, kommt man in verwegenste Winkel. Wir reden da noch lange nicht von Avantgarde, sondern von sehr eigenem Pop, der sich viel erlaubt. Der Freiheit den Platz zu geben, daraus zwei Alben zu machen, um die Extreme aufzuteilen, war schön. Wir haben „Mea Culpa“ einfach mal ins Internet gestellt und geschaut, was passiert. „Vernissage My Heart“ hat eine ganz andere Energie.

Die beiden Platten unterscheiden sich stark voneinander, aber zusammengehört ergibt sich dann doch wieder ein großes Ganzes. Auch, wenn man das vielleicht nicht sofort festmachen kann.
Die Alben haben schon Parallelen. Sie sind zu 100 Prozent Zwillinge, aber keine eineiigen. Man entdeckt im einen Charaktereigenschaften des anderen und das finde ich spannend. „Memory Card“ und „Memory Card 2“ sind wie zwei zusammengehörende Augenbrauen. Wenn man an die Musikindustrie denkt, ist die Zugangsweise natürlich schwierig. Wir müssen schauen, wie viel Freiheit sich ausgeht, denn die Luft für Experimente ist dünn. Als Musiker oder Künstler muss man sich einfach etwas zutrauen. Irgendwann kommt darauf Trotz oder Reaktion. Vielleicht werden wir noch schräger und sind glücklich damit, vielleicht machen wir auch mal Schlager. Man weiß es einfach nicht.

Viele eurer Hörer würden schon allein den Zugang zu ganzen Alben als absurd ansehen. Die Generation Spotify wächst mit Singles auf und wird sich nicht allzu intensiv mit den beiden Werken beschäftigen.
Wir wollen Geschichten erzählen und das geht mit Alben am besten. Es ist auch nicht zu unterschätzen, wie man etwas sagt und die Themen setzt. Man kann immer Singles raushauen, aber langfristig hat man nichts zu greifen. Ob ich eine Playlist mache auf Spotify mit zehn Singles oder ein Album rausbringe, darüber kann man streiten. Aber zusammengesetzt werden Dinge am Ende ohnehin immer.

Manche würden behaupten, dass ihr nach dem Erfolg von „Schick Schock“ zunehmend kommerziellen Selbstmord begeht. Eben wegen eurer Experimentierfreudigkeit.
In gewisser Weise haben diese Stimmen recht. Ich bin vor zwei Monaten 30 geworden und unser Weg ist spannend. Mal sehen, wie lange die Menschen Lust haben auf unsere Experimentierfreudigkeit. Ich glaube fix daran, dass man Dinge probieren muss. Die Dire Straits oder Fleetwood Mac waren Bands, die kommerziell und künstlerisch experimentell zugleich waren. Ich habe das Gefühl, heute ist alles so performativ und auf Leistung aufgebaut. Die Einstellung ist sehr breit in der Gesellschaft verankert. Niemand ist ganz davor gefeit, aber die Zeit zum Herumprobieren muss man haben. Ich will die Musik schließlich auch erleben.

Ihr habt spätestens mit „Schick Schock“ den Nerv einer Generation getroffen. Damit verbindet man euch nach wie vor. Ist das ein Druck, den ihr beim Komponieren verspürt? Dass viele immer davon ausgehen, ihr würdet den Soundtrack ihres Lebens schreiben?
Es gibt zwei Ansätze. Entweder du denkst extrem darüber nach, was deine Klientel von dir erwartet oder du gehst mehr Risiken ein und triffst damit vielleicht trotzdem oder gerade deshalb wieder einen Nerv. Ich finde, man merkt sofort, wenn jemand etwas aus Kalkül macht, oder weil er wirklich eine Leidenschaft dafür verspürt.

Bilderbuch sind eine Band, die stets den jeweiligen Zeitgeist gut abgebildet hat. Bleibt da noch genug Platz, um mit den Songs eine gewisse Zeitlosigkeit zu erreichen? Für viele Musiker ist es schließlich ein hehres Ziel, dass ihre Nummern die Zeiten überdauern.
Man muss ein bisschen ein Nihilist sein, denn es gibt keine Garantie dafür, dass das Komponierte die nächsten 50 Jahre hält. Wenn vielleicht zwei Lieder übrigbleiben als „Referenz des Jahrzehnts“, wäre das ohnehin eine Riesenleistung - auch wenn das „nur“ in Österreich passiert. Man darf sich einem Trendwind nicht zu sehr hingeben, muss aber gleichzeitig in Bewegung bleiben und sich umschauen. Die „Schick Schock“ gibt es schon und die Platte wird nicht besser, auch wenn wir noch zwei solche machen. Wir wollen mit der Zeit gehen, ohne uns zu sehr künstlich zu verändern. Wir sind in allem, was wir tun, authentisch. Das unterschätzt man bei uns oft. Es steckt überhaupt kein Konzept dahinter, denn wir sind die klassische Schülerband. Allein schon die 14 Jahre Existenz als Bilderbuch finde ich arg, wenn ich darüber nachdenke.

Bei euren Entwicklungsschritten ist es sicher nicht einfach, dass alle in demselben Tempo kreativ mitziehen können. Wir schafft ihr es dann, dass am Ende doch jeder in der Band mit dem neuen Stil happy ist?
Das lässt man mal mehr, mal weniger zu. Die Romantik in unserer Band ist, dass vier Leute nur das Beste für einen Song wollen. Wir müssen aber trotzdem kommunizieren, uns einigen oder jammen, um in einen Flow zu kommen. Das ist das Unerklärliche, das Bands per se umwebt. Warum etwas klingt, wie es klingt, das ist oft unergründlich und das lässt sich bei Solokünstlern meist leichter erklären. Da kann man einen Menschen zu 100 Prozent lesen. Ich weiß nie, ob Mike nächste Woche mit fünf Tattoos auf der Brust um die Ecke kommt. Und wenn es passieren sollte, würde das etwas mit mir machen und die Dinge wieder verändern. Wir kommunizieren viel und versuchen miteinander eine Vision zu finden.  Ein Sound, ein Beat. Und wenn das jeder spürt, dann arbeiten wir von dort weg weiter.

Seit Jahren seid ihr auch stilprägend für die gesamte deutsche Poplandschaft, die jahrelang etwas langweilig und gleichförmig war. Ihr wart hauptverantwortlich dafür, dass man neidvoll nach Österreich blickt. Hat das eine Art Druck mitgebracht, immer so innovativ und anders sein zu müssen?
Es ist nicht wirklich Druck. Es stimmt ja auch ein bisschen, was unsere Nachbarn sagen. Das Ganze hat auch etwas mit inneren Kräften bei uns zu tun. Das Palladium in Köln fasst ca. 4000 Leute und wir verkaufen die Location derzeit schon einen Monat davor aus - das ist megageil. Irgendwas passiert immer und es kann auch Städte geben, wo es nicht mehr so gut geht. David Bowie hat in den 90er-Jahren in der Wiener Arena ein Open Air gespielt und es war nicht ausverkauft. Das ist ein Weltstar, der da aber gerade nicht am Gipfel seiner Karriere war. Fünf Jahre später kam er mit seinem Best-Of-Set und füllt die Stadthalle. Was ist also Erfolg und was bist du als Künstler? Was soll noch alles kommen? Ich weiß es nicht, wir wissen es nicht. Im schlimmsten Fall ist Erfolg gar nicht so leiwand, wie er oft wirkt. Man lernt dann später, dass die kleinen Sachen oft mehr wert sind. Es heißt nicht umsonst, dass man die kleinen Erfolge feiern sollte, denn diesen Blick darauf verliert man allzu schnell.

So hätte ich auch den Song „Frisbeee“ verstanden. Dass es darum geht, sich darauf zu besinnen, was einen wirklich glücklich macht. Musstest du das nach den turbulenten und lebensverändernden letzten Jahren bei dir selbst realisieren?
Auf jeden Fall. Ich finde, man kann nie eine Mauer um etwas ziehen, was man darstellt. Denn im Endeffekt ist man das, man verkörpert es. Dinge, die man macht, schleichen sich auch in die Musik ein. Bei unserer letzten großen Deutschlandtour im Frühling haben wir oft Frisbee gespielt. Es waren Situationen wie in Magdeburg um 23 Uhr mit einer Boombox und bei Parkplatzlicht, wo du auf die Abfahrt mit dem Bus in die nächste Stadt wartest. Plötzlich leuchtet es dir ein, dass das ein besonderer Moment war, du etwas darin gesehen hast und dadurch einen Song darüber schreibst. Wir haben etwas gespürt, was uns keiner nehmen kann und ich will die Leute teilhaben lassen an so einem Gefühl. Jeder Song braucht diesen Funken der Echtheit, um Feuer zu fangen.

Viele eurer Songs drehen sich um den Konsumwahn, Oberflächlichkeiten oder die Wohlstandsgesellschaft. Sind die auch alle derart autobiografisch konnotiert?
Ich versuche zusehends ein bisschen aus diesen Themenbereichen rauszukommen. Bei „Schick Schock“ war der ganze Gag auf Materialismus und Kapitalismus aufgebaut. Bei „Magic Life“ haben wir das Konzept schon eingerissen, denn hätten wir den Witz noch einmal erzählt, hätten alle geglaubt, das wäre echt. Auf dem Album hatten wir bereits Europa-Ausflüge, die Metapher war ja gegeben, nur hat es nicht jeder so verstanden. Auf „Mea Culpa“ kommt schon das iPhone X vor, aber für mich ist das einfach ein Synonym für Handy. Ein eigenständiger Markenname. Objekte spielen auf beiden neuen Platten keine so große Rolle mehr und es geht mehr um das Geistige und die Energie. „Frisbeee“ ist noch am stärksten an die klassischen Bilderbuch angelehnt, aber „Vernissage My Heart“ als Album dreht sich viel stärker um Gefühle und abstraktere, nicht greifbare Themen.

Würdest du sagen, dass du auch persönlich mit zunehmendem Alter von materialistischen Gedanken abkommst?
Ich glaube schon. Ich lasse mich von Geld nicht so gut motivieren wie andere Leute. Mir fällt es deshalb auch schwerer, nur Pop zu machen, um Geld zu verdienen. Es ist uns ein bisschen wuascht, ob wir uns einen Porsche oder Maserati leisten können. Manchmal denke ich mir, wäre ich etwas einfacher gestrickt, würden wir anders klingen. Bei uns braucht es aber immer einen gewissen Trotz, um den nächsten Pop zu machen. Die reine Gier, wie etwa Machthunger, muss ausgeprägt sein. Das schlummert in jedem, aber bei uns ist sie nicht so stark, dass es nur darum geht. Künstler wie Kanye haben bewiesen, dass sie anders ticken. Um für die Gier im Rampenlicht zu stehen, gehen sie ziemlich weit.

Was sind dann eure Ziele? Den Pop zu revolutionieren und mit jeder neuen Platte die Grenzen noch weiter auszudehnen?
Es geht weniger darum, nach außen zu sagen, wir definieren eure Zukunft als Trend. Wir wollen uns selber kicken und überraschen. Nach 14 Jahren Bandgeschichte ist das das Wichtigste. Vielleicht endet dieser Forschungsdrang auch irgendwann. Veränderung tut weh. Wenn man immer über jede Kante drüberschaut, dann schneidet man sich auch mal daran. Veränderung dauert und ist anstrengend, aber solange sich das ausgeht und passt, machen wir es. Vielleicht kratzen wir auch mal die Essenz aus Bilderbuch heraus und arbeiten mit ihr weiter. Das kann in zwei oder vier Jahren oder noch später sein, das weiß ich jetzt nicht. Ich finde, wir machen spannendere deutschsprachige Musik als das meiste, aber das machen wir auch deshalb, um etwas aufzufüllen, das es nicht gibt.

Der Titel „Vernissage My Heart“ ist an und für sich großartig und lässt extrem viel Raum für Interpretation. Was steckt hinter deiner ganz persönlichen Deutung?
Es ist wie beim Lottospielen - es gibt immer noch ein paar Konstellationen von schönen Wörtern, die man im Internet nicht findet. Das ist wie die Nadel im Heuhaufen finden und der Titel klang sofort wunderschön. Er verkörpert die Botschaft des Händereichens und Herzöffnens und das auf eine kecke Art und Weise. Vernissage ist doch ein elitärer Begriff, vom gelebten französischen Klischee her. Da spielen wir gerne mit und das Cover, das sehr expressiv ist, spiegelt unsere Gefühle wider. Es gibt keine Rücksicht auf Verluste und eine Nummer wie „Kids im Park“ rockt extrem. In „Frisbeee“ singe ich wie ein Kind, auch das ist erst einmal eigenartig. Trotzdem ist das alles einfach geil und jetzt, mit etwas Abstand dazu, bin ich total happy.

Auch bei Bands wie den Twenty One Pilots sieht man gut, dass man heute keine Berührungsängste mehr mit anderen Genres und Experimenten haben muss. Fällt ihr mit eurer Experimentierfreudigkeit in die genau richtige Zeit?
In den 2010er-Jahren haben wir im Pop-Zugang wieder die 80er-Jahre wiedergesehen. So wie etwa Beyoncé - überstilisiert und perfekt dargeboten. Hip-Hop ist heute der größte Pop und ich bin gespannt, wo das hinführt. Es ist allgemein die Frage, wo das ganze Musikbusiness hinsteuert. Man muss natürlich immer ein bisschen mitgehen, aber da sich derzeit so schnell so viel ändert, ist es schwer vorauszusehen, was künstlerisch passiert. Das Business hat sich noch immer nicht ganz gefunden, wie es Musik vertreibt und präsentiert. Als die Alben begründet wurden und Vinyl verkauft wurde, musste man das auch erst einmal begreifen. Pink Floyd haben das Mögliche damals gut ausgelotet. Wenn das Business aber nicht weiß, was es außer Single-Tracks verkaufen will, wird sich künstlerisch nichts revolutionieren. Singles fliegen vorbei wie Sternschuppen, oft schnell und unbemerkt. Man muss als Künstler aufpassen, nicht in den Zwang zu kommen, Songs so zu liefern. Ich glaube nicht, dass das gesund ist.

Eine Künstlerin wie Mavi Phoenix zeigt aber, dass es mit Single-Veröffentlichungen und vereinzelten EPs auch ziemlich gut gehen kann.
Aber irgendwann muss sich jeder Künstler manifestieren. Sie hat noch keine Alben, weil sie wohl noch auf den richtigen strategischen Moment wartet. Ein Album zu machen, hat auch mit Mut zu tun. Ein Album zeigt Schwächen. Singles präsentieren dich immer nur in deiner stärksten Form, aber bei einem Album stellst du dich hin, und ziehst dich quasi aus, machst dich angreifbar. Singles wirken eher bewusst stichelnd oder wollen Komplimente. Das ist ein bisschen wie ein Musterschülerverhalten. Es entsteht aber niemals ein Bild, wo man den Künstler in seiner Gesamtheit versteht.

Ist es nicht das größte Qualitätsmerkmal für ein Album, wenn es keinen Konsenshit darauf gibt, sondern sieben Menschen sieben verschiedene Songs als ihren Favoriten nennen?
Das kann man nur nie planen. Wenn du acht Nummern schreibst und merkst, eine davon ist ein Überhit - was machst du dann? Stampfst du alle anderen ein? Lässt du den Hit gar außen vor? Wäre alles unlogisch. Man sollte sie alle als Teil von einem sehen und dann eben ein Album daraus machen. Es geht ja nicht immer nur ums Verkaufen. Die Leute denken heute alle immer so Businessmäßig. Das schwappt stark aus den USA rüber, weil alle so ticken. Pi Diddy und Dr. Dre sind Milliardäre. Ich will ihnen nicht Unrecht tun, aber wann haben die das letzte Mal wirklich gute Songs veröffentlicht? Hauptsache Milliardäre sind sie und jeder weiß es. So ticke ich einfach nicht. Vielleicht sitze ich dir in ein paar Jahren aber auch mit Rolex und Pelzmantel gegenüber. (lacht) Ich hoffe einfach, dass wir noch ein paar Jahre so weiterarbeiten können, auch auf dem Niveau von jetzt. Es ist immer eine Frage des Flows. Ich bin kein Solokünstler, sondern wir sind eine Band. Vier Burschen, die zusammen Musik machen und das muss passen.

Aber glaubst du nicht, dass die Gegenwart im Musikbusiness euch und eurer Experimentierfreudigkeit in die Karten spielt?
Das kann ich derzeit nicht beurteilen. Momenten ist es eine rein ideologische Überzeugung, dass wir alles so machen, wie wir es machen. Vielleicht inspirieren wir damit auch andere, das wäre doch schön. Es gibt wirklich ganz wenige Künstler, die mir das Gefühl gaben, dass ich künstlerisch frei wäre.

Was sind die bekanntesten Beispiele?
Zu 100 Prozent war das in den letzten Jahren bei Prince und Kanye so. Bei Prince entdeckte ich viel im Nachhinein und bei Kanye mag ich eher die Vergangenheit. Musikalisch ist er einfach frei. Er ist immer noch Pop, aber nirgends eingeordnet und das spürt man auch bei Prince. Das gibt einem das Gefühl, dass man es auch selbst so machen kann.

Je egoistischer diverse Künstler in ihrer Karriere waren, umso mehr wurden sie für ihren Mut belohnt. Man denke zum Beispiel an David Bowie und all seine unterschiedlichen Alter Egos und Persönlichkeiten.
Du hörst „Let’s Dance“ und plötzlich spannt sich ein Bogen über deine Karriere. Nur die Freiheit, die sich Bowie selbst gewährt hat, hat ihn zu diesem Song gebracht.

Heuer stehen unter anderem noch zwei große Schönbrunn-Konzerte und zahlreiche Open-Airs an. Was darf man sich live von euch erwarten? Immerhin habt ihr in den letzten Jahren auch beim Thema Bühnenshow stark vorgelegt.
Ein guter Trick ist, immer Dinge zu verändern. In Deutschland haben wir letztes Jahr eine kleine Tour mit E-Drums gespielt. Eine Art digitalisierte Rockshow. Davon sind wir nun wieder abgekommen, dafür haben wir einen fünften Musiker für die Shows an Bord. Einen Percussionisten und Synth-Spieler, der alles noch lebendiger macht. Es wird weniger was mit Playback oder aus der Konserve sein, sondern mehr live und offener klingen. Man darf sich nicht ausrasten und muss seine Kräfte in diese Projekte stecken, solange sie da sind.

Bilderbuch sind 2019 auch wieder auf diversen Bühnen sehr umtriebig. In Österreich spielen sie bislang am 24. April im Innsbrucker Dogana, am 24. und 25. Mai zwei Shows in Wien vor dem Schloss Schönbrunn, am 11. Juli beim Poolbar Festival in Feldkirch, am 13. Juli ein Open Air auf der Donaulände in Linz und am 24. August ein Open Air auf dem Messegelände in Graz. Alle weiteren Infos und Tickets für die Konzerte gibt es unter www.bilderbuch-musik.at

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