Kolumne „Im Gespräch“

„Bedeutung haben, ohne bedeutsam zu sein“

Nachrichten
17.02.2019 07:00

Wie geht’s Ihnen eigentlich mit Ihren Neujahrsvorsätzen? Lieber nicht fragen? Wussten Sie, dass zum jetzigen Zeitpunkt bereits mehr als 70 Prozent aller Neujahrsvorsätze gescheitert sind? Sagt man. Inoffiziell. Gesprochen wird darüber natürlich nicht. Scheitern ist schließlich Scheitern - egal, ob es sich dabei um den gescheiterten Vorsatz handelt, ab 2019 auf Mon Chéri zu verzichten und wöchentlich ins Bikram-Yoga zu gehen, ob es um eine gescheiterte Ehe oder den verpassten Stockerlplatz beim Skirennen geht.

Unsere Leistungsgesellschaft misst Menschen an ihren Erfolgen. Sie sind es, die über Selbstbild und soziale Rolle entscheiden. Und ganz gleich, wie viele Ratgeber und Therapeuten uns seit Jahren versichern, dass Scheitern wichtig ist. Dass jeder Rückschritt ein Schritt hin zum Erfolg ist – im Grunde glauben wir es ja doch nicht. Es fühlt sich einfach nicht so an. Keiner will scheitern!

Also winden wir uns heraus. Schuld sind andere: das schlechte Wetter, der untreue Partner, der ungerechte Schiedsrichter. Oder wir versuchen es mit Vertuschen. Immer wieder begegne ich Menschen, die zum Beispiel ihren Job verloren haben und diese Tatsache vor ihren Familien und ihrem sozialen Umfeld geheim halten. Schülerinnen, die es nicht wagen, den Fünfer zu Hause zu beichten. Geschiedene, die vor den Schwiegereltern weiter heile Familie spielen. Sie alle schämen sich, fürchten Achtungsverlust und damit Liebesentzug.

Diesen Teufelskreis wollte Jesus durchbrechen
Er fragte nicht nach Leistung oder Versagen. Für ihn besaß jeder einzelne Mensch Würde und Bedeutung, ohne erst beweisen zu müssen, was er tatsächlich kann. Jesus wandte sich bewusst all jenen zu, die wenig Ansehen hatten, jenen, die von der Gesellschaft geächtet wurden. Mutlose, Versager, die wertete er auf. Dreimal verleugnete Simon Petrus den Herrn, als dieser ihn dringend brauchte. Und ausgerechnet er wurde Oberhaupt der zwölf Jünger und Gründungsvater der Kirche.

Frei sein für alles, was kommt
Als Christin möchte ich es gern mit Jesus halten. Ich möchte mich für eine Welt einsetzen, in der Menschen Bedeutung haben, ohne bedeutsam zu sein. In der Status und Ansehen eben nicht durch „mein Haus, mein Auto, mein Boot“ definiert werden und niemand auf die Idee kommt, gesellschaftlich Benachteiligte und Hilfsbedürftige verächtlich zu machen. Eine Welt, in der Unterschiede, auch unterschiedliche Lebensentwürfe, ausgehalten werden. In der die Menschen das Scheitern nicht fürchten müssen, sondern frei und offen sind, für alles, was kommt. Für jeden neuen Versuch. Es ist die Welt, die wir Christen „Reich Gottes“ nennen.

Evangelische Vikarin Julia Schnizlein, Kronen Zeitung
julia.schnizlein[@]lutherkirche.at

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